© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/01 19. Oktober 2001

 
CD: Oper
Ansteckend
Michael Tunger

Wenn sich im November anläßlich des Todestages des Begründers des Musikgymnasiums der Regensburger Domspatzen und ehemaligen Regensburger Domkapellmeisters Prälat Theobald Schrems (1893-1963) wieder viele ehemalige Domspatzen in Regensburg treffen, wird eine neu erschienene CD sicher für Überraschung und Freude sorgen.

Die Doppel-CD dokumentiert die einzigartige Leistung vieler Domspatzen-Generationen, die in den Jahren von 1930 bis 1956 unter Theobald Schrems die bekannte Märchen-Oper von Engelbert Humperdinck (1854-1921) in über 200 Aufführungen von Regensburg über Berlin bis Buenos Aires, Montevideo, Sao Paulo, 1944 in Nürnberg zwischen Fliegerangriffen und 1945 nach Kriegsende als Wiedereröffnung der Theatersaison im Münchener Prinzregententheater dargeboten haben. Mit diesen Aufführungen und dem liturgisch-musikalischen Dienst im Regensburger Dom St. Peter erlangten die Domspatzen unter Schrems Weltruf.

Schrems verfiel nicht der Versuchung, die meistersingerliche Dichte und Fülle der Tonsprache Humperdincks allzu opernhaft darzubieten. „Hingegen wachten Gemessenheit und Zucht des Interpreten festlicher Palestrina-Messen und ergreifender Karwochen-Lamentationen auch über dieser großformatigen Partitur“, schrieb Joseph Thamm 1954 in der Mittelbayerischen Zeitung. Der Musical Observer, New York, konstatierte am 26. September 1931: „Der Gesang zeichnet sich aus durch die Freiheit der Nuancierung, durch die Schönheit des Klanges und den Glanz der Steigerungen. Wir staunen über die Schönheit dieser Knabenstimmen, über ihre Kraft und Schulung.“

Bei der Opernarbeit wurde Schrems assistiert von seinem Neffen Hans Schrems (Stimmbildung) und Franz Löffler (Regie). Hänsel und Gretel, Sandmann und Taumann sangen und spielten Domspatzen-Solisten. Selbst die anspruchsvolle Partie der Mutter übernahmen bis 1938 Domspatzen. Die Rollen von Vater und Hexe wurden meist mit ehemaligen Domspatzen besetzt. Der Kinderchor, der teilweise auch aus als Mädchen verkleideten Buben bestand, wurde gleichfalls von Domspatzen gestellt. Ansteckender Eifer erfaßte alle, wenn für die Oper monatelang gesungen, gespielt und getanzt wurde. Kurt Erkes, ehemaliger Domspatz und langjähriger Chorerzieher unter Schrems, der die Edition der CD mit Ulrich Kraus kreiert hat, erzählt: „Wir haben mit unseren Gesangslehrern und dem Regisseur in einem halben Jahr an jedem Wochenende ehrenamtlich die Oper einstudiert. Wer ist heute hierzu bereit? Oft hat dieselbe Besetzung an einem Tag zwei Aufführungen gesungen, nachmittags für die Kinder und abends für die Erwachsenen.“

Bei der CD handelt es sich in erster Linie um einen Live-Mitschnitt einer Aufführung von 1954 in der Staatsoper München. Eine Szene mit den Berliner Philharmonikern, die 1933 aufgezeichnet wurde, beweist im Vergleich die gleichbleibende hohe Gesangskultur aller Domspatzen-Generationen unter Schrems bei einer Auswahl von ungefähr 60 Knaben im Alter von acht bis dreizehn Jahren. Vereinzelt anzutreffende leichte rhythmische Schwankungen im Zusammenspiel von Sängern und Orchester wirken keinesfalls störend, bezeugen sie doch die Unbefangenheit und Leichtigkeit des kindlichen Schauspiels, das in seiner Natürlichkeit in so reizvollem Kontrast zu der groß angelegten Oper steht.

Auf jeden Fall muß man auch heute bestätigen, was der Regensburger Musikkritiker Wilhelm Schmitt einst feststellte: „Wer bei dem ’Abendsegen‘ und der folgenden Pantomime nicht im Innersten getroffen wurde, hatte dreifaches Erz um die Brust .“ Die CD ist deshalb allen Musikliebhabern zu empfehlen, die sich den Sinn für das Außergewöhnliche und Anmutige bewahrt haben.


 
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