© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/01 19. Oktober 2001

 
All die schönen Pferdestärken
Kino II: Der Reiz des Verbotenen in „The Fast and the Furious“ von Rob Cohen wird die Polizei beschäftigen
Claus-M. Wolfschlag

Von illegalen Autowettrennen erfuhr der Autor das erste Mal, als er im letzten Jahr nachts eine Tankstelle an einer Frankfurter Ausfallstraße aufsuchte und sich wunderte. Die Tankstelle quoll über vor jungen Menschen in ausgelassener Stimmung, trinkend, die Musikanlage aufgedreht. Getunte Fahrzeuge aller Typen hatten das gesamte Areal zugeparkt. Kurze Zeit später unterband dann die Polizei die illegalen Rennen im öffentlichen Straßenraum, die Szene zog an eine andere Stelle. Nun hat sich Rob Cohen dieser Thematik angenommen, hat sie als Szenerie für einen Kriminalfilm gewählt oder den Kriminalfilm wie eine Schablone über seine Schilderung der Straßenrennszene gelegt.

Herausgekommen ist dabei keine intellektuelle Meisterleistung. Aber das war wohl auch nicht beabsichtigt. „The Fast and the Furious“ ist ein Streifen, der sich in erster Linie an ein jugendliches Publikum richten soll. Dementsprechend sind die Dialoge recht schlicht angelegt, kreisen um Themen wie Freundschaft, Elternliebe, Zuneigung, Abstecken von Rangordnungen. Auch der Handlungsrahmen ist eher einfacher Natur und erscheint verhältnismäßig unglaubwürdig.

Seit einiger Zeit ermitteln Polizei und FBI aufgrund mehrerer brutaler Überfälle auf Trucks. Die Lastwagen werden dabei immer wieder von mehreren Pkws bei voller Fahrt geentert und entführt. Die wertvolle Ladung wird schließlich gestohlen. Die Ermittler vermuten die Täter in der illegalen Straßenrennszene. Aus diesem Grund wird der junge Agent Brian (Pad Walker) in die Szene eingeschleust. Wie die anderen Jungen bastelt er nun Tag und Nacht an seinem getunten Auto herum, steckt Geld in neues Equipment, fährt mit bei nächtlichen Wettkämpfen. Dabei freundet er sich mit Dominic (Vin Diesel) und - noch intensiver - mit dessen Schwester Mia (Jordana Browster) an. Eine Zeitlang kann Brian seine Identität gegenüber mißtrauischen Szene-Mitgliedern verschleiern, aber als herauskommt, daß Dominic und dessen Freunde hinter den Überfällen stehen, gerät Brian in einen Konflikt zwischen seiner beruflichen Aufgabe und seinen freundschaftlichen Gefühlen.

Eine schlichte Geschichte also, nicht vollständig stimmig, aber darum geht es auch nicht. Rob Cohen („Dragonheart“) wollte einen Actionkrimi schaffen, rasant, von einem Tempo, das die Zuschauer in die Autositze der Fahrer katapultieren sollte. Und das ist ihm gelungen. „The Fast and the Furious“ enthält furiose Renn- und Verfolgungsszenen, besticht nicht durch extreme Gewaltdarstellungen, sondern durch das Tempo seiner Inszenierung. Cohen, der selbst Zeuge der Macht und Anziehungskraft dieser ominösen Subkultur bei nächtlichen Rennen in den Industrie-Außenbezirken von Los Angeles war, beschreibt die von ihm eingefangene Welt: „Es ist ursprünglich und real. Es ist eine Welt, die ihre eigenen Regeln aufstellt, ihre eigene Sprache spricht, ihre Riten der Durchführung, ihre Helden und Bösewichte sowie das Knirschen der Getriebe zum Lebensinhalt hat.“ Und wahrlich, alle Energie der Protagonisten scheint in ihre Autos zu fließen, das Auto wird zum Lebensmittelpunkt, und Cohen stellt gar einen Bezug zum Cowboy-Mythos her: „Unser Film beschäftigt sich mit den wichtigsten Themen eines klassischen Westerns - Loyalität, Verrat und Freiheit. Statt der Pferde haben wir die sogenannten Pferdestärken.“

Doch noch ein anderer Aspekt an diesem auf ein MTV-Publikum zugeschnittenen, stark musikalisch getriebenen Streifen ist interessant. Es scheint, als habe die Frauenemanzipation nie stattgefunden. Im Ab- oder Zerrbild der unteren sozialen Schichten, die lieber an ihren Autos herumschrauben, als eine Berufsausbildung zu absolvieren, sind die Geschlechterrollen traditionell festgelegt. Männer sind die Macher, die ganzen Kerle in Muskelhemden, die das Lenkrad bedienen, Siege einfahren, die Gruppen und Veranstaltungen organisieren. Frauen hingegen tragen alle bauchfreie Oberteile, möglichst enge Shorts, kreischen als Statisten den Männern in den Muskelhemden blöde Kommentare zu, um sich dann von jenen ins Bett ziehen zu lassen. Befruchtung als einzige Lebensaufgabe ­- eine archaische Welt, zwischen Lachgas-Einspritzer und Vergaser. Nur ganz selten spielt eine Frau auch in der Männerliga mit, und wirkt dann sogleich so übertrieben machohaft, daß sie die eigene Unsicherheit aufgrund der ungewohnten Rolle kaum verbergen kann.

„The Fast and the Furious“ dürfte zahlreiche jugendliche Nachahmungstäter animieren, ebenfalls mit 150 Stundenkilometern durch Innenstädte rasen ­- was den Reiz des Verbotenen, des Abenteuerlichen, der Freiheit hat, wird von Jugendlichen als Freizeitkick aufgegriffen und nach den Regisseuren wieder doch nur die Polizei beschäftigen.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen