© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/01 19. Oktober 2001

 
Terror: So meistert die Info-Elite die Nachrichtenflut
Durchs wilde Absurdistan
Eva-Maria Storch

Ich muß mal eben bei CNN.com nachschauen, ob die Welt schon untergegangen ist.“ Zum achtzehnten Mal an diesem Tag zappt Friedhelm die Nachrichtenkanäle im Internet durch. Seit dem Doppelknall im Big Apple besteht sein Leben nur noch aus Doppelklicks. Zuerst ein Anruf im Büro, dann Unglauben. TV oder Radio gab es nicht - also rein ins Netz der Netze, die nötigen Plug-Ins gedownloaded. Seither ist Friedhelm mit dem größten Abenteuer der Welt verlinkt, live eingebunden in eine Story, mit der kein James Bond mithalten kann.

Während er via iTunes US-Internet-Radios abhörte, hatte er sich auch schon das Formular bei Focus.de aufgerufen, mit dem er ein Schnupperabo plus Füllfederhalter bestellen kann - falls er in seinem Leben doch noch einmal einen Brief auf echtes Papier bringt. Einen Mausklick weiter die Money.de-Page, wo er das gleiche Procedere nochmals mitmacht. Diesmal gibt’s eine Armbanduhr, damit er weiß, wann die Stunde schlägt. Selbiges geht auch bei CNN/TIME.com - nur diesmal ohne Werbeprämie. Jetzt kann Friedhelm erst einmal durchatmen: Mit Printmedien ist er bis auf weiteres versorgt - zumal mit der Time auch noch die Fortune gratis ins Haus kommt.

Es ist der 12. September: Jetzt gibt’s noch schärfere Bilder. Wow. Irgendwo muß doch in den Türmen eine Video-Überwachungskamera gelaufen sein. Die hat bestimmt Aufnahmen gemacht, wie das Flugzeug durch die Büros crasht. Wenn nicht, Oliver Stone sichert sich ein paar Tage später schon die Filmrechte. Für den Day after - also für den Fall, daß es uns mal wieder langweilig wird. Friedhelm findet es echt kraß: Krieg in Amerika ist aufregender als die Börsenkurse. Automatisches Fill-in: schon werden die latest news regelmäßig per SMS aufs Handy geschickt. Noch ein Download - und gleich kann er eine Vektoren-Animation der Crashs sehen. Ein Dutzend Wiederholungen, bis es langweilig wird. And once again. Zum Glück haben die Araber so lange gewartet, bis uns die Technik wirklich dabei sein läßt.

Jetzt hat Friedhelm die Entschädigung dafür, daß Big Brother gecancelt wurde, ehe er mit ins mediale Irrenhaus durfte. „Gamaa el Islamija - El Kaida - El Dschihad - GIA - Hamas - Islamischer Dschihad - Hisbollah“ - Friedhelm kennt innerhalb weniger Stunden Köpfe und Historien auswendig. Seit Jurrasic Park konnte er sein Gedächtnis nicht mehr so gut unter Beweis stellen. Jetzt hat er es mit Tyrannosaurus Rexen der menschlichen Spezies zu tun und weiß, daß in Köln der Kalif, also das Oberhaupt der Moslems sitzen soll. Ein paar der Entführer haben in Hamburg studiert, einer sogar Flugstunden über Bonner Flugverbotszonen gemacht. Das kann ja spannend werden. Zumal: Als Bush senior seinen Wahlkampf führte, stand ihm Arnold Terminator zur Seite; Bush junior nahm seinerseits das Star Wars Konzept von Ronald Western Reagan wieder auf und spult gerade „The empire stirkes back“ ab. Ob er auch dazu in der Lage ist, gegen Knobi-van-Kebapi mit dem Krummsäbel zu kämpfen? Die Dialoge glänzen durch Liebe zum Detail und präzise Rhetorik. Während Bush noch arglos an seinem New World Order bastelte, gab das Evil-Mastermind Anweisung: „Überprüft alle eure Sachen. ... Eure Tasche, eure Kleidung, Messer, eure Testamente, eure Ausweise, eure Pässe, alle eure Papiere. ... Stellt sicher, daß euch niemand folgt. Stellt sicher, daß ihr sauber seid, daß eure Kleidung sauber ist, auch die Schuhe.“ Sogar ans Parfum sollte gedacht werden!

Der Zuschauer zu Hause war später sogar mit dabei, wie die Attentäter Geld vom Automaten holten. Nach dem Rückschlag erklärte Mr. Bean Laden: „Dies ist eine Schlacht zwischen dem Glauben und dem Unglauben… Der Heilige Krieg gegen die Juden und Christen hat begonnen“ Friedhelm kräuseln sich vor Spannung die Zehennägel.

Doch dann das Ende der Trueman-Show. Einen Monat nach dem Anschlag entpuppt sich alles als Fake. Nachrichten entstehen in Hollywood - dort wo auch Neil Armstrong seine Apollo Raumkapsel in den Sand gesetzt hat. Berti von der Sesamstraße schaut Osama bin Laden bei Plakaten angeblich protestierender Pakistani über die Schultern ( http://www.n-tv.de/2777023.html ). Also: Alles Quatsch! Friedhelm dachte sich gleich, daß man mit Teppichmessern kein Flugzeug kapern kann. Besser war nur noch der Witz mit der KSK „Deutschlands härtester Kampftruppe“; n-tv schrieb: „… besser als die Delta Force … Die Experten sind mit den modernsten verschlüsselten Funkgeräten, Wärmebild- und Nachtsichtgeräten, digitalisierten Landkarten, Laptops und anderen Kommunikationseinrichtungen ausgerüstet.“ Gerüchten zur Folge sollen auch aufklappbare Handys als Nahkampfwaffen eingesetzt werden („Beam me up“).

Langeweile kennt Friedhelm nicht mehr. Den Weg zur Arbeit nutzt er, um sich per Focus, Money, Time und Fortune Hintergrundwissen zu sichern. Er weiß gar nicht, wohin mit diesen vielen Fakten und kommt mit dem Lesen kaum noch nach. Je größer die Informationsflut, umso größer die Angst etwas verpaßt zu haben. Ganze 20 Sekunden dauert es jetzt noch, bis die Rundfunkanstalten von einem GAU erfahren. Was aber, wenn man mal kein Radio hört oder im Fernsehen den falschen Kanal eingestellt hat? Was, wenn man gerade in einen vergifteten Big Mac beißt, von dem man erst eine Minute später erfährt, daß er tödlich war? Döner ißt Friedhelm auf jeden Fall keinen mehr. Schon früher hatte er mal gehört, daß in der weißen Sauce nicht jugendfreie Zutaten enthalten sein sollen. Was aber, wenn da jetzt noch andere Sachen verpanscht werden?

Zum Lachen ist Friedhelm nicht mehr, seit er einem Freund schrieb, eMehl sei besser als Mehl in einem Schneckenpost-Umschlag. Daraufhin wurde sein Strato-Account nach Anthrax abgescannt. Okay, es gibt noch einen anderen Kalauer: In New York sollen Manager jetzt mit dem Flugzeug direkt ins Büro fliegen können … Lustige Flash-Animationen von biegbaren Türmen bis hin zu Download-Spielen kann man im Netz kostenlos beäugen. Ebenso ’ne Sammlung doofer Sprüche, z.B. vom Audio-Sadisten Karlheinz Stockhausen, der die Anschläge vom 11. September als „das größte Kunstwerk“ bezeichnete, das es je gegeben hat. In London sollen Wettbüros schon Wetten entgegen nehmen, ob der nächste Anschlag in den USA oder Großbritanien geschehen wird.

Solange spielen Osama und seine Freunde Dungeons and Dragons. Hunderte von Metern unter den afghanischen Bergen bereiten sie sich auf den Winter vor. Was aber, wenn es Mr. Bean Laden schon gar nicht mehr gibt? Was, wenn sein Gesicht tatsächlich von einem Chirurgen so entstellt ist, daß man ihn gar nicht mehr erkennen kann? Tja, dann könnte man wieder die Sippenhaft des Elefantenmenschen einführen, schließlich hat Osama sage und schreibe 51 Geschwister, nichts Außergewöhnliches für die Söhne Ismaels. Falls die Sippe bis dato aber auch über den Jordan ist, kann man alles sicher virtuell zusammenfrickeln (so wie bei Arnis „Running man“). Vorausgesetzt: Nach Microsoft wird nicht auch noch Apple oder SUN mit biologischen Waffen angegriffen. Zuzutrauen ist diesen Islamisten ja alles - auch wenn sie sich damit selber den Geldhahn zudrehen: Ohne Geld würden die bestimmt noch auf ihren Kamelen sitzen.

Fazit: Man braucht sich gegenseitig - und am allermeisten die Info-Elite, d.h. all jene, die sich ohne Finge-brechen durch Internet und Flimmerkisten zappen können. 


 
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