© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   44/01 26. Oktober 2001


Die CDU in der Falle
Nach der Berlin-Wahl: Der Union fehlen Partner zur Rückkehr an die Macht
Alexander Barti

Die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus ist ein beispielloses Desaster für die Christdemokraten geworden. Der Absturz von 40,8 (1999) auf 23,7 Prozent wird dabei - nicht nur von den abgewählten Abgeordneten - zu Recht als existenzielle Gefährdung empfunden. Dabei ist es letzlich völlig unerheblich, wer die Schuld an den Verlusten der Union hat. Die einen sehen die Medien in der Verantwortung, die anderen bemängeln das falsche Datum, wieder andere bemühen den 11. September, der eine sachliche Auseinandersetzung verhindert habe. Sie alle mögen recht haben, trotzdem treffen sie nicht das eigentliche Problem der CDU: Sie steht alleine da in einer Parteienlandschaft, die sich in den letzten Jahrzenten weiter differenziert hat. Allerdings nicht zugunsten der Bürgerlichen.

Die Grünen haben sich vor zwanzig Jahren in Strickpulli, Parka und Vollbart auf den Weg gemacht, um heute als eloquente Partner im Maßanzug den Sozialdemokraten zur Seite zu stehen. Dabei ist es völlig unangebracht, ihnen immer wieder Opportunismus und „Verrat“ an ihren Ideen vorzuwerfen, denn die Grünen repräsentieren in hohem Maße die (west-)deutsche Wohlstandsgeneration, die zwar gegen das Abholzen der Regenwälder protestiert, aber trotzdem im neuen Saab in den Skiurlaub fährt. Greenpeace-Aufkleber auf der Heckscheibe und nachhaltiges Aktienpaket im Depot. Zwar sind die Grünen also durch und durch bürgerlich, mit der Union wird es in naher Zukunft trotzdem keine Koalition geben, weil sich die Sozialisation im „alternativen“ Milieu mit den „Rechten“ nicht verträgt.

Neu hinzugekommen ist die PDS, die es geschickt verstanden hat, sich als „Anwalt des Ostens“ zu plazieren. Daß ihr die schwere Erbschaft der sozialistischen DDR-Diktatur nur halbherzig - wenn überhaupt - vorgehalten wurde, ist nicht ihr Verdienst. Vielmehr zeigt die sanfte Behandlung der einstigen Kerkermeister durch die westlichen Eliten, wie sehr jene mit ihnen verstrickt waren. Die vielen dokumentierten Duzfreundschaften zwischen DDR- und West-Politikern sprechen Bände. Bei so wenig echter Kritik ist es nicht verwunderlich, daß der PDS-Keller voll ist mit SED-Leichen, die mittlerweile bis in die gute Stube stinken: Ob orthodoxe Kommunisten à la Sahra Wagenknecht und Ulla Jelpke oder Antifa-Kämpfer wie Angela Marquardt, sie alle können unbehelligt den militanten und linksextremistischen Rand einbinden, der Deutschland samt seinem Rechtssystem zum Teufel wünscht.

Wenn die Union die nächsten Jahrzehnte nicht dauerhaft Oppositionsbänke drücken will, muß sie schleunigst ihre Strategie überdenken. Das Dogma vom Kampf gegen alles, was rechts neben der Union steht, gehört auf den Schrotthaufen der seligen Bonner Republik.

In dem Propagandafeldzug „gegen Rechts“, der letztlich vor allem gegen die Bürgerlichen gerichtet war, hat die CDU übersehen, daß es sehr wohl konservative Wählerschichten gibt, die beim Drängeln in die Neue Mitte nicht mitgemacht haben. Sie wenden sich enttäuscht von der Politik ab und bleiben bei Wahlen immer häufiger zu Hause, weil sie sich nicht „zwischen Pest und Cholera“ (Kardinal Ratzinger über SPD und CDU) entscheiden wollen. Diesen integren rechten Rand kann die CDU nicht mehr einbinden, weder verbal durch markige Sprüche, und schon gar nicht durch eine konservative Politik. Diese Aufgabe müßten andere Parteien übernehmen, die mit ihrem Programm die natürlichen Verbündeten der „rechten Mitte“ wären. Mit einer fünf- bis zehnprozentigen Rechtspartei hätte die Union eine Koalitions-Alternative in den Parlamenten, die den nötigen Ausschlag zur Regierungsbildung leisten könnte. Unter Umständen durch ihre Duldung einer bürgerlichen Regierung, wie das mit umgekehrten Vorzeichen zwischen SPD und PDS geschieht.

Heute ist so eine Partei weit und breit nicht zu erblicken. Die Republikaner, die genau diesen Rolle hätten spielen können, sind heute diskreditiert und marginalisiert. Daß sie in Berlin auf nur 1,3 Prozent (1999: 2,7 Prozent) gekommen sind, obwohl die aktuellen Debatten ihrem Programm entsprechen, zeigt das ganze Ausmaß ihres Scheiterns.

Eine andere vertane Chance war die DSU in Mitteldeutschland, die von der Union nur bei der ersten freien Volkskammerwahl gegen die PDS in Stellung gebracht wurde. Aus kleinkariertem Kalkül um Posten und Mandate ließ man die potentielle „CSU des Ostens“ verhungern, ohne ihre Stimmen halten zu können. Das rächt sich jetzt bitter, denn bis heute wird die CDU im Osten als Mischung aus „West-Import“ und „Blockflöte“ verstanden.

Mit der Schill-Partei in Hamburg könnte sich ein zarter Silberstreif am Horizont zeigen. Aber wenn man beobachtet hat, wie rüde die Hanseaten-CDU ihren Konkurrenten angegangen ist, wie sehr man betonte, daß man mit „Rechts“ nichts zu haben wolle, zweifelt man an der Einsicht der Union. Spätestens bei der nächsten Wahl wird der Linksblock von SPD, Grünen und PDS, unterstützt vom „liberalen“ Kulturestablishment, den „Rechten“ ordentlich einheizen, so daß Schill aufpassen muß, zwischen diesen Fronten nicht zerrieben zu werden. Außerdem droht der Wackelkandidat FDP schnell wieder die Seiten zu wechseln, wenn der Wind aus einer anderen Richtung weht. Daß unter solchen Umständen, die deutlich die Lage in der gesamten Republik widerspiegeln, von Kulturhoheit und Regierungsmacht nicht die Rede sein kann, liegt auf der Hand. Aber das will man in der Union noch immer nicht sehen. Anders kann man nicht erklären, wieso Angela Merkel immer wieder betonte, die Berlin-Wahl sei eine landesspezifische Angelegenheit, Konsequenzen für die Bundespartei ergäben sich nicht. Deutlicher kann man seine Realitätsverweigerung nicht dokumentieren.

Der Unterschied zwischen der Union und der Neuen Sozialdemokratie ist praktisch nicht mehr vorhanden. Darüber schimpft man gerne, aber man übersieht, daß die Konturlosigkeit der „Volksparteien“ schlicht die Beliebigkeit ihrer Wähler - also die der Mehrheit des Volkes - widerspiegelt. Daraus folgt, daß man man Nischen-Parteien gewähren lassen muß, unter Umständen einen kernigen „Juniorpartner“, der nur ein oder zwei Politikfelder beackern kann, diese dafür aber besonders eindeutig.

Forderungen von Innenminister Schily (SPD) haben inzwischen CSU-Qualität und lassen Merkel & Co. ziemlich alt aussehen. Aber jetzt geht es nicht um die nächste oder übernächste Wahl, sondern um eine langfristige Rückkehr zur Macht. Wenn die Christdemokraten dabei die Hilfe eines potentiellen Partners rechts von ihr nicht gezielt in Anspruch nehmen will, könnte aus der vermeintlichen Rückkehr sehr schnell ein Marsch in die politische Wüste werden. 


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