© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/01 26. Oktober 2001

 
„Ein katastrophales Ergebnis“
Interview: Der ehemalige Finanzsenator und CDU-Politiker Peter Kurth über den Ausgang und die Folgen der Berlin-Wahl
Moritz Schwarz

Herr Kurth, die Berliner CDU hat eine gewaltige Niederlage erlitten, seit 50 Jahren hat keine Partei in der Bundesrepublik Deutschland bei einer Landtagswahl einen derartigen Verlust hinnehmen müssen, wie erklären Sie sich das?

Kurth: Ausschlaggebend war wohl, daß wir mit einer Stimmungswahl gegen die CDU konfrontiert waren, und zwar dergestalt, der CDU einen Denkzettel zu verpassen.

Hat die CDU vielleicht auch den falschen Kandidaten aufgestellt?

Kurth: Ich glaube, es wäre keinem Kandidaten der Union in dieser Situation gelungen, eine Niederlage abzuwenden. Denn die CDU wurde als die Partei des Problems Bankgesellschaft Berlin angesehen, was sie der Sache nach aber natürlich nicht ist.

Steht Frank Steffel nun zur Disposition?

Kurth: Nein. Wir müssen nun die Oppositionsrolle inhaltlich und personell überzeugend übernehmen. Die Inhalte sind klar, eventuelle personelle Konsequenzen werden wir ziehen, wenn wir die Niederlage analysiert haben.

Die Bilanz wird zweifellos nicht zugunsten Steffels ausfallen.

Kurth: Nochmal: Auch ein anderer Kandidat hätte die Wahl nicht gewonnen.

War es nicht ein Fehler, mit Frank Steffel eine Person aus dem „System Diepgen“ auszuwählen, statt dem Wunsch der Wähler nach Erneuerung Rechnung zu tragen?

Kurth: Diese Charakterisierung wird Frank Steffel nicht gerecht. Richtig ist natürlich, daß es ihm nicht gelungen ist, ein Desaster abzuwenden, wobei, wie gesagt, es wohl auch keinem anderen CDU-Spitzenkandidaten gelungen wäre, eine Niederlage zu vermeiden.

Höchst bemerkenswert ist allerdings, daß nicht einmal die CDU-treue Klientel in der Wählerschaft von Steffel, der Partei und dem Wahlkampf überzeugt war.

Kurth: Wir würden ein schlechtes Wahlergebnis nun noch mit einem schlechten Eindruck krönen, wenn nun ein jeder in der Partei seine persönlichen Ansichten in der Öffentlichkeit zum besten geben würde.

Sie werden unter der Hand als möglicher Nachfolger für den Landesvorsitz, Alexander Kaczmarek als möglicher Nachfolger für den Fraktionsvorsitz gehandelt. Hat Frank Steffel seine politische Zukunft bereits hinter sich?

Kurth: Der Landesvorsitzende ist vor kurzem erst für zwei weitere Jahre gewählt worden. Er heißt Eberhard Diepgen und steht nicht zur Disposition.

Sollten Sie bei ihrer Analyse zu dem Schluß kommen, daß zu einem gewichtigen Teil der unglaubwürdige Erneuerungsversuch der Berliner CDU das desaströse Wahlergebnis mit verursacht hat, so würde Frank Steffel nächstes Jahr wohl unauffällig in den Bundestag „entsorgt“. Und Eberhard Diepgen hat selbst schon angekündigt, die Stafette zu übergeben.

Kurth: Ich halte solche Spekulationen zum gegenwärtigen Zeitpunkt für sinnlos.

Die SPD war die letzten zehn Jahre an der Regierung der Stadt beteiligt. Warum ging diese Mitverantwortung für die Krise Berlins im Wahlkampf völlig unter?

Kurth: Wir haben natürlich versucht, diese Tatsache zu vermitteln. Aber die Person Klaus Wowereit wurde vom Wähler als Neuanfang akzeptiert, und über ihn wurde damit auch die SPD reingewaschen, obwohl die Verantwortlichen von damals nach wie vor bei der SPD in Amt und Würden sind. Auch die Medien haben sich hier etwas einwickeln lassen.

Erstaunlich ist, daß die SPD sich ihren Koalitionspartner nun aussuchen kann, während die CDU stigmatisiert in der Schmuddelecke steht. Sogar eine Koalition mit der PDS zieht man in Erwägung, während die CDU als unberührbar gilt.

Kurth: Daß eine sozialdemokratische Partei ein Ergebnis von noch nicht einmal 30 Prozent in Berlin für einen Sieg hält, zeigt, wie weit es mit der SPD gekommen ist. Die Sozialdemokraten sind weit unter ihren Möglichkeiten geblieben, es ist lediglich unser katastrophales Ergebnis, das diesen Umstand verdeckt.

Demütigend für die Union ist auch, daß um die 33.000 Wähler der CDU zur PDS gewandert sind.

Kurth: Ich glaube, der Wähler billigt derzeit keiner der angetretenen Berliner Parteien eine große Problemlösungskompetenz zu. Da es keine Koalitionen zu wählen gab, sondern nur Parteien, hat die CDU ein schlechtes Ergebnis erzielt und die SPD ein noch akzeptables. Das kann aber nicht als Deutung verstanden werden, der Wähler wolle Rot-Rot und auf keinen Fall die Große Koalition. Wir waren im Wahlkampf oft mit Wählern konfrontiert, die sich grundsätzlich als CDU-Wähler sahen, nur uns diesmal nicht wählen wollten.

Vor der Wahl erinnerte sich die CDU mal wieder des Antikommunismus. Mit der Warnung vor der PDS scheint sie sich aber nur selbst lächerlich gemacht zu haben. Kein Wunder, entdeckt sie den Antikommunismus doch nur zu Wahlkampfzeiten. Wie sollen die Bürger einen Antikommunismus ernst nehmen, den die CDU selbst nicht ernst nimmt?

Kurth: Die CDU ist eine antikommunistische Partei und praktiziert ihre Überzeugung auch außerhalb des Wahlkampfes. Aber wenn Sie sehen, daß in einem Bezirk wie Berlin-Mitte jeder Zweite PDS wählt, kommt man nicht umhin, sich mal zu fragen: „Wie kommt das?“ Die PDS wird von den Menschen kaum als radikalsozialistische Alternative verstanden, sondern vielmehr als Brücke zur eigenen Vergangenheit. Die Menschen sehen in der PDS die Partei, in der sie ihre eigenen Lebensläufe wiedererkennen. Ich gebe ihnen ein Beispiel: Im Ost-Berliner Bezirk Hellersdorf-Marzahn hat mein Kollege Mario Czaja für die CDU über 27 Prozent erzielt! Wie hat er das gemacht? Erstens hat er ergründet, welche kommunalen Themen gibt es, zu denen die PDS schweigt. Zweitens hat er die PDS nicht als kommunistische Partei gebrandmarkt, das weiß sowieso jeder, sondern er hat sie an der Problemlösungskompetenz gepackt. Das mag ideologisch Interessierten zu lasch sein, ich aber halte das für den richtigen Weg.

Nach der Wahl vom Sonntag ist die CDU als Verlierer bloßgestellt, die SPD umstrahlt der Glanz und Charme des Sieges, und für die Zukunft übt man schon einmal Rot-Gelb. Keine rosigen Aussichten für die Bundestagswahl 2002.

Kurth: Das war eine Berliner Wahl mit Berliner Ursachen und Motiven. Und was die Bundestagswahl angeht: Die SPD liegt acht Prozent unter ihrem Ergebnis von 1998. Moritz Schwarz

 

Peter Kurth im JF-Gespräch in seiner Berliner Wohnung. Kurth, 41, studierte Jura und war Abteilungsleiter bei der Deutschen Bank. 1994 wurde er Staatssekretär in der Berliner Senatsverwaltung für Finanzen, von 1999 bis 2001 war er selbst Finanzsenator. Für die CDU, der er 1978 beitrat, gewann er bei der Wahl am vergangenen Sonntag ein Direktmandat.

 

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