© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/01 26. Oktober 2001

 
Willens, aber nicht fähig
Bundeswehr: Für eine militärische Unterstützung der USA fehlt es an materiellen und personellen Grundlagen
Paul Rosen

Wenn die Amerikaner bei der Anforderung von Unterstützung bei ihrem Hauptverbündeten Deutschland nach den Nato-Bestandslisten vorgehen würden, dann dürften sie einige Enttäuschungen erleben. Viel Material, etwa Panzer und Flugzeuge, das die Bundeswehr im Bestand hat, steht als Schrott in den Hallen und Hangars. Mit ihrem letzten Geld, das sie noch hat, erteilt die Bundeswehr jetzt Reparaturaufträge, um ihre ABC-Schutzeinheiten wieder auf den Sollstand zu bringen. Möglicherweise ist es aber bereits zu spät, um den USA noch die von Bundeskanzler Gerhard Schröder versprochene „uneingeschränkte Solidarität“ zukommen zu lassen.

Daß Deutschland im laut George W. Bush „ersten Krieg des 21. Jahrhunderts“ mehr tun muß als die Entsendung von Sanitätern an einen noch unbekannten Kriegsschauplatz, scheint inzwischen so gut wie sicher. Wann der deutsche Beitrag erbracht werden muß und für wie lange, ist allerdings völlig unbekannt. Es gibt einen Brief des SPD-Fraktionsvorsitzenden Peter Struck an seine Abgeordneten, in dem es heißt, eine kurzfristige Sondersitzung des Bundestages, auf der die Truppenentsendung beschlossen werden müßte, sei relativ unwahrscheinlich.

Demnach wäre der Beschluß erst nach dem 5. November zu fassen. Denn dann tritt der Bundestag, der sich zur Zeit in einer Sitzungspause befindet, wieder regulär zusammen. Eine Anforderung der USA gilt nach alledem, was aus Berliner Regierungskreisen zu hören ist, als sicher. Vom CSU-Landesgruppenvorsitzenden Michael Glos stammt der Satz, es sei vorbei mit der Hoffnung, es bleibe beim Einsatz von AWACS-Flugzeugen mit deutscher Besatzung in den USA und bei der Entsendung von deutschen Schiffen ins Mittelmeer. Glos hatte nach einer Unterrichtung der Fraktions- und Parteivorsitzenden durch Bundeskanzler Schröder den Eindruck, deutsche Soldaten könnten bald direkt in militärische Auseinandersetzungen verwickelt sein. Auch Schröder teilte parallel zu einer Pressekonferenz von Glos mit, „in Kürze“ werde von den Amerikanern um deutsche Hilfe gebeten werden.

Aus der bisherigen Berliner Gerüchtelage lassen sich nur wenige Einzelheiten über den bevorstehenden Bundeswehr-Einsatz zusammenreimen: So gilt es als fast schon gewiß, daß deutsche ABC-Spürpanzer vom Typ „Fuchs“ von den Amerikanern angefordert werden könnten, vermutlich diesmal mit Mannschaften, auf die die Alliierten im Golfkrieg noch verzichteten. Die Füchse sind im Bereich der Erkennung von atomaren, biologischen und chemischen Gefahren so ziemlich das beste, was im Nato-Bereich vorzufinden ist. Allerdings sind die Fahrzeuge gegen neue Minentypen nur sehr unzureichend geschützt, im Falle eines direkten Angriffs zum Beispiel mit einer Panzerfaust gelten die Besatzungen als hochgradig gefährdet.

Von den ursprünglich 120 Fuchs-Panzern, die die Bundeswehr besitzt, können höchstens 20 bis 25 Stück den USA zur Verfügung gestellt werden. Der Rest ist entweder im Einsatz auf dem Balkan, wird im Inland gebraucht oder steht defekt in Bundeswehr-Hallen herum. Schon spottet der CDU-Haushaltsexperte Dietrich Austermann, im Bundestag zuständiger Berichterstatter für den Einzelplan von Verteidigungsminister Rudolf Scharping, Schröder könne die uneingeschränkte Solidarität so lange versichern, wie man wegen bedingter Einsatzfähigkeit nicht ernst genommen werde.

Auch andere Unterstützungsszenarien haben ein gemeinsames Symptom: Durch die Haushaltskürzungen der neuen und der alten Bundesregierung sind größere Leistungen nicht oder fast nicht möglich. Die ziemlich ratlosen Berliner Korrespondenten, die ihre Redaktionen täglich mit neuen Listen von deutschen Hilfsangeboten erfreuen sollen, verfielen schon auf die unmöglichsten Sachen: So wurde tatsächlich geschrieben, deutsche Transall-Flugzeuge sollten Hilfsgüter über Afghanistan abwerfen - völlig vergessend, daß diese Flugzeuge anders als die US-Transporter Afghanistan nur mit mehreren Zwischenlandungen erreichen könnten. Die Bundeswehr verfügt nicht über strategische Verlegefähigkeit, so daß dieser Hilfsbeitrag, ganz abgesehen von der sprichwörtlichen technischen Unzuverlässigkeit der alten Transall, völlig ausscheidet. Zynisch könnte man formulieren, daß die Amerikaner vermutlich genauso lachen würden, wenn das deutsche Kontingent mit JU-52-Maschinen daherkäme.

Gewiß, in den Amtsstuben der Bonner Hardthöhe träumen deutsche Generäle davon, mit einer ganzen Division nach Afghanistan zu gehen. An der Hilfsbereitschaft scheint es nicht zu fehlen. Doch es fehlt die materielle und personelle Grundlage. Es wird von Kennern der Bundeswehr sogar darauf hingewiesen, Teile der Generäle und Truppenführer seien „kriegslüstern“. Wenn das stimmt, ist das ein schwerwiegender Vorwurf, worüber Scharping eine Untersuchung einleiten sollte.

Von Scharping stammt der Fingerzeig, die Bundeswehr könne mehr als Sanität und Logistik - „viel mehr“. Damit hatte Scharping bereits den Hinweis gegeben, was die USA noch im Sinn haben könnten: Neben den ebenfalls als vorbildlich geltenden Sanitätern, die über einen eigenen Airbus, eine Art fliegendes Hospital verfügen, kommen eventuell noch Aufklärungsflüge oder auch Kampfeinsätze deutscher Tornado-Flugzeuge in Betracht. Die Seeaufklärer vom Typ „Breguet Atlantic“, die in der Tagespresse genannt wurden, sind 35 Jahre alt und gehören ins Museum, aber nicht auf einen Kriegsschauplatz des 21. Jahrhunderts.

Gedacht werden könnte allerdings an den Einsatz der Division „Spezielle Operationen“ (DSO), die gerade im Zuge der Bundeswehr-Reform aufgebaut wird. Diese Truppe, die aus mehreren Fallschirmjäger-Einheiten und dem für den Kampf gegen Rebellen ausgebildeten „Kommando Spezialkräfte“ (KSK) besteht, ist aus dem bisher bekannten Anforderungsprofil der USA am besten zu gebrauchen. Wie der bisherige Afghanistan-Feldzug gezeigt hat, scheuen die US-Generäle die Bildung längerer Fronten am Boden. Da grüßen die schlechten Erfahrungen aus dem Vietnamkrieg, aber auch noch aus der Schlußphase des Zweiten Weltkriegs im westdeutschen Hürtgenwald.

Die US-Truppen greifen heute zuerst mit der Luftwaffe an, zerstören den gegnerischen Widerstand aus der Luft so weit wie möglich und gehen erst dann mit kleineren Einheiten am Boden vor. Die Besetzung größerer Landstriche auf fremden Kontinenten scheint nicht geplant zu sein. Sollte dies wider Erwarten und entgegen des bisherigen Verhaltens der US-Streitkräfte doch der Fall sein, hätte dies für die Deutschen einen viel höheren Preis: Dann wären auch Landstreitkräfte gefragt, die allerdings weder Schröder noch Scharping in größerer Zahl haben. 5.000 bis 10.000 Mann wäre die Größenordnung, die die Bundeswehr maximal für eine längere Zeit einsetzen könnte. Denn durch den Balkan-Einsatz ist die Truppe weitgehend gebunden.

Vom Umfang der deutschen Maßnahmen hängt auch das Schicksal der rot-grünen Koalition in Berlin ab. Schröder, der offenbar entschlossen ist, als erster Kriegskanzler in die Nachkriegsgeschichte einzugehen, dürfte auf die Befindlichkeiten seines grünen Partners wenig Rücksicht nehmen. Was die Berliner Militär-Koalition hingegen bald braucht, ist frisches Geld. Und das wird sie sich bei den Bürgern durch Steuererhöhungen holen, nicht nur bei Rauchern und Autofahrern.


 
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