© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/01 26. Oktober 2001


„Wirklich komische Vorwürfe“
Interview: Fidesz-Fraktionsvorsitzender József Szájer verteidigt die Politik seiner Regierung
Alexander Barti

In Ungarn wurde die sozial-liberale Koalition unter Gyula Horn 1998 von einer Mitte-Rechts-Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orbán abgelöst. Außer den Linksliberalen (SZDSZ) und den Sozialisten (MSZP) gibt es seitdem auch noch eine rechte Opposition, die „Partei der Ungarischen Wahrheit und des Lebens“ (MIÉP). Ihr Vorsitzender ist der Schriftsteller István Csurka. Seit dem Machtwechsel erlebt Ungarn einen in der Region beispiellosen Wirtschaftsaufschwung.

Herr Szájer, in der „FAZ“ vom 17. Oktober 2001 war zu lesen, daß die Erfolge der Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán nur möglich waren durch das Sparpaket des früheren sozialistischen Finanzministers Lajos Bokros. Hat demnach die Mitte-Rechts-Koalition nichts zum Aufschwung des Landes beigetragen?

Szájer: Das stimmt überhaupt nicht. Denn wenn wir uns anschauen, wie die sozialistische Horn-Regierung zum Bokros-Paket gekommen ist, dann sehen wir, daß die Regierung rund ein halbes Jahr lang praktisch nichts getan hat. Sie lavierte hin und her, und ab und zu warnte man vor einem wirtschaftlichen Desaster, wie es in der mexikanischen Peso-Krise geschehen ist. Die monatelange Untätigkeit führte erst dazu, daß sich die wirtschaftliche Lage verschlechterte, so daß das Bokros-Paket beschlossen wurde. Wir Jungdemokraten (Fidesz) sind der Meinung, daß es natürlich auch nützliche Elemente im Bokros-Paket gab, so zum Beispiel die stufenweise Abwertung des Forint. Davon abgesehen wollte das Sparprogramm vor allem psychisch auf die Gesellschaft wirken. So wurden zum Beispiel Studiengebühren eingeführt, die Familienunterstützung gestrichen oder die Zahnbehandlung verteuert. Alles Dinge, die, wie wir heute wissen, überflüssig und sinnlos waren, denn sie brachten praktisch kaum Einnahmen für den Staat. Die Fidesz hat nach der Regierungsübernahme die restriktive Wirtschaftspolitik nicht fortgeführt, sondern expansive Maßnahmen ergriffen. Wir haben gezeigt, daß man wirtschaftliche Probleme nicht mit der Drosselung der Sozialausgaben und mit einem Anstieg der Inflation bewältigen muß.

Des weiteren schrieb die „FAZ“, die „weitsichtige Rentenreform“ der Sozialisten sei „mit deutlichen Nachteilen für die Privatversicherten“ geändert worden. Außerdem sei die „dringend notwendige Gesundheitsreform“ und die Modernisierung des Bildungswesens nicht angepackt worden. Sind diese Vorwürfe berechtigt?

Szájer: Das sind wirklich komische Vorwürfe, denn selbst die uns gegenüber sehr kritischen Zeitungen in Ungarn würden so etwas nicht sagen. Im Bereich der Bildung zum Beispiel ist praktisch ein Durchbruch gelungen. Ungarn hatte bis vor kurzem im Vergleich mit anderen Ländern in Europa eine der niedrigsten Raten von Hochschulabsolventen. Während der Mitte-Rechts-Regierung sind die Einschreibungen an den Unis sprunghaft angestiegen. In den letzten fünf Jahren haben sich die Studentenzahlen verdoppelt. Außerdem wurden die Gehälter der Lehrer merklich angehoben. Was das Gesundheitswesen betrifft, so ist das eine langwierige Entwicklung, mit der auch die anderen europäischen Staaten zu kämpfen haben. Während die Sozialisten praktisch nichts getan haben, haben wir damit begonnen, die Praxen zu privatisieren, damit sich dort etwas verbessert, wo die Menschen am meisten mit der Medizin in Berührung kommen. Jetzt beginnen wir, die Krankenhäuser finanziell zu stabilisieren und zu modernisieren, wobei wir im wesentlichen das deutsche Modell verwirklichen wollen. In der Rentenfrage agierte die vorherige Regierung nur halbherzig: von den staatlichen Renten wurden die Gelder in die privaten Rentenkassen umgeleitet; durch die zwei Millionen „staatlichen“ Rentner war die Regierung gezwungen, die bei der Umschichtung entstandenen Löcher zu stopfen, was eine enorme finanzielle Belastung darstellte. Die jetzige Regierung hat die Umschichtung nicht eingestellt, aber sie will das staatliche Sicherungssystem stärken, indem sie die Privatrente nicht zwingend vorschreibt.

Immer wieder liest man in deutschen Zeitungen, die Transparenz der Regierungspolitik habe nachgelassen, öffentliche Aufträge würden regierungsnahen Unternehmen zugeteilt. Gibt es Anzeichen für solche Verstrickungen, zum Beispiel beim Autobahnbau?

Szájer: Gleich nach dem Regierungsantritt hat die Fidesz damit begonnen, die verschiedenen gesellschaftlichen Sicherungssysteme, die im Verbund mit Arbeitnehmern und Arbeitgebern gleichsam korporativ verflochten und eine Brutstätte der Korruption waren, zu zerschlagen. Dadurch wurde die halbstaatliche Postbank, die mit den Sozialversicherungen ebenfalls verflochten war und die die staatlichen Gelder in privaten Taschen versickern ließ, ebenfalls „neutralisiert“. Außerdem wurde das Strafgesetzbuch im Bereich der Korruption verschärft. Der Erfolg dieser Maßnahmen ist nicht ausgeblieben, denn Transparency International hat uns auf dem „Korruptionsindex“ um einige Plätze heraufgestuft. Das Gesetz der staatlichen Ausschreibungen stammt aus der Horn-Ära und funktioniert nicht, da es nicht flexibel genug ist und auf den Wettbewerb keine Rücksicht nimmt. Was die Autobahnen betrifft, so konnten bisher nur Konsortien die Aufträge erhalten, die mit dem Autobahnbau Erfahrung hatten, und das waren fast immer ausländische Unternehmen. Meine Regierung will, daß die enormen Investitionen an ungarische Unternehmen gehen, die auch sonst als Subunternehmer am Bau beteiligt sind. Dabei gibt es zwei Bedingungen: Sie müssen billiger sein und sich direkt, ohne ausländischem Hauptinvestor, bewerben.

Wie stark ist UngarnsWirtschaft von den Terror-Anschlägen in den USA betroffen, vor allem die Fluggesellschaft Malév?

Szájer: Natürlich wird auch das ungarische Wirtschaftswachstum von den Veränderungen in der EU und in den USA betroffen sein, da rund zwei Drittel des Außenhandels mit der EU abgewickelt wird. Noch gibt es aber keine Rückschläge, da die Regierung mit dem „Szécsenyi-Plan“ ein umfassendes Konjunkturprogramm aufgelegt hat, mit dem das Wirtschaftswachstum von vier bis fünf Prozent gehalten werden kann. Die Malév hatte schon vor den Anschlägen wirtschaftliche Probleme, die sich jetzt noch verschärft haben. Die Fluggesellschaft bekommt staatliche Unterstützung, um soweit gestärkt zu werden, daß sie den Wettbewerb in der EU bestehen kann.

Im April/Mai 2002 wird in Ungarn gewählt. Nach den aktuellen Umfragen gibt es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Regierung und linker Opposition. Würde die Fidesz unter Umständen auch mit der rechten Oppositionspartei MIÉP ein Bündnis eingehen?

Szájer: Nein! Eine Koalition mit der MIÉP schließt jeder Fidesz-Abgeordnete eindeutig aus. Außerdem wird die MIÉP auch nicht gebraucht, denn die neuesten Umfragen besagen, daß der Bürgerblock vor den Sozailisten führt. Selbst bei einem ausgeglichenen Ergebnis ist die ungarische politische Landschaft zweipolig geworden, was von dem Wahlrecht noch gefördert wird, so daß der Sieger keines Koalitionspartners bedarf. Im übrigen braucht die Regierung auch jetzt nicht die Stimmen der MIÉP.

Wie lautet Ihre Prognose zum EU-Beitritt?

Szájer: Nun, wir hoffen, daß Ungarn ab dem 1. Januar 2004 Mitglied der EU wird. Auf den verschiedensten Foren, zum Beispiel in Göteborg, wird dieses Datum immer wieder genannt. Gleichwohl glauben wir Ungarn, daß wir im Prinzip schon fertig zur Aufnahme sind; wir warten auf die EU bzw. auf die anderen Aufnahmekandidaten.

 

Dr. József Szájer wurde am 7. September 1961 in Sopron (Ödenburg)/Ungarn geboren. 1980 Abitur, anschließend Jurastudium an der ELTE Universität Budapest. 1986 Auslandsstudium an der Universität von Oxford (Balliol College), 1988 Forschungsaufenthalt an der Universität von Michigan/USA. Gründungsmitglied des Bundes der Jungdemokraten (Fidesz) 1988, seit 1990 Mitglied des Ungarischen Parlaments. Seit 1998 Vorsitzender der Kommission zur EU-Integration; Fraktionsvorsitzender der konservativ-liberalen Partei Fidesz.

 

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