© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/01 26. Oktober 2001

 
Das neue Herz des alpenländischen Humors
Satire: In der niederösterreichischen Provinz ist ein neues Karikaturmuseum eröffnet worden
Ekkehard Schultz

Daß viele Österreicher ein Talent zum Humor, insbesondere zum sogenannten schwarzen Humor besitzen, ist weit über die Grenzen der Alpenrepublik unbestritten. Daß sich Österreich zudem mit einigen der bedeutendsten Namen der zeitgenössischen Karikatur schmücken kann, geht ebenfalls über das Wissen eines kleinen Kreises von Eingeweihten hinaus.

Doch in der Begründung eines eigenständigen Karikaturmuseums waren die als humorlos verschrieenen Nachbarn Deutschland oder Frankreich dem Völkchen zwischen Bodensee und March mit bereits etablierten Einrichtungen wie dem Wilhelm-Busch-Museum in Hannover eine doppelte Nasenlänge voraus: ein Nachholbedarf, der endlich nach Befriedigung lechzte.

Seit dem 29. September gehört diese Durststrecke der Vergangenheit an. Allerdings nicht im Dickicht der Wiener Museenlandschaft, sondern in der niederösterreichischen Provinz, genauer im Kremser Ortsteil Stein, direkt gegenüber der lokalen Polizeiwache, schlägt nun das Herz des alpenländischen Humors. Das Publikumsinteresse an den Eröffnungstagen ließ sich von derartigen läppischen Hindernissen nicht schrecken - ganz im Gegenteil: Der große Ansturm von über 4.000 Besuchern am Eröffnungstag überraschte selbst die größten Optimisten. Das geduldige Publikum nahm teilweise Wartezeiten von mehreren Stunden in Kauf.

Der moderne, extra zu diesem Zweck errichtete Flachbau verfügt über 550 Quadratmeter Ausstellungsfläche, von der ein gutes Viertel für Wechselausstellungen genutzt werden kann. Weit mehr als die Hälfte der Ausstellungsfläche steht für Präsentationen des populären Künstlers Manfred Deix zur Verfügung, dessen besondere Bedeutung auch bei der Namensverleihung berücksichtigt wurde. So liest man auf dem entsprechenden Logo: „Karikaturmuseum Krems - Deix Haus“. Neben Deix wird mit einer Dauerausstellung auch das Werk des Karikaturisten Gustav Peichl („Ironimus“) gewürdigt, der als Architekt zur maßgeblichen Gestaltung des Hauses beitrug.

Daß das neue Museum nicht nur der einheimischen Karikatur gewidmet ist, unterstreicht die erste Wechselausstellung des Hauses, in der unter dem Titel „Alles Karikatur - das gezeichnete 20. Jahrhundert“ der Versuch unternommen wird, dem Besucher einen Überblick über die Vielfalt der im Bereich Karikatur/kritische Grafik gepflegten Stile zu ermöglichen, die die Entwicklung im gerade zu Ende gegangenen Jahrhundert prägten. Prominente Karikaturisten aller Epochen wie die Simplizissimus-Künstler Thomas Theodor Heine und Olaf Gulbransson; Heinrich Zille, George Grosz, Erich Ohser (O.W. Plauen), Herbert Sandberg, Jean Effel, Peter Arno bis zu Ronald Searle und Tomi Ungerer sind mit Werken vertreten. Außerhalb des europäisch-angloamerikanischen Raumes wird besonders die japanische Karikatur gewürdigt, u.a. mit Werken von Fujiko, Kenji Morita und Takao Kusahara.

Es liegt in der Konsequenz einer solchen Ausstellung, daß sie eine Beschränkung bei der Auswahl treffen muß, zumal die Ausstellungsmacher mit dem Ehrgeiz angetreten sind, dem Besucher nur Originalgrafiken zu präsentieren. Allerdings fällt neben der eher spärlichen Behandlung der zwanziger und dreißiger Jahre auf, daß sich der Blick des „Gezeichneten Jahrhunderts“ relativ einseitig nach Westen richtet: So fehlt nicht nur die russische Karikatur vollständig, sondern auch der ost- und südosteuropäische Bereich. Gerade unter Berücksichtigung der politischen Umbrüche der achtziger und neunziger Jahre hätte die Integration von Künstlern des ehemaligen Ostblocks in das Präsentationskonzept sicherlich interessante Einblicke versprochen.

Von dieser Einschränkung abgesehen ist der Rückblick aufschlußreich: Vergleicht man Zeiten und Stile, so stellt man fest, daß seit Beginn des vergangenen Jahrhunderts die politische Karikatur zunehmend die gesellschaftliche Karikatur und die humoristische Illustration verdrängte. Im Zeitalter der Ideologien wurden die zunächst als Korrektiv zu gesellschaftlichen Mißständen genutzten Zeichnungen immer mehr zur Waffe an der Propagandafront. Damit wurde aus dem Karikaturisten als Konfliktseismograph vielfach ein Lohnzeichner politischer Parteien, der lediglich das tagespolitisch erwünschte Wort und Bild in eine künstlerische Form transkribierte.

Nur wenige künstlerisch Etablierte konnten sich dieser Entwicklung entziehen, die im Ersten Weltkrieg ein extremes Ausmaß erreichte. Oft stieß die Autonomie des Karikaturisten bereits in der Wahl des Publikationsorgans auf Schwierigkeiten. Mit dem Siegeszug der politischen Karikatur war es den meisten Künstlern nahezu unmöglich, für eine Vielzahl von Zeitungen zu arbeiten, da ihre Ausrichtung nun vermeintlich eindeutig dekliniert war. In deren Folge war eine derartige Verflachung von Darstellungen und Inhalten zu verzeichnen, daß letztlich auch die künstlerischen Ansprüche sanken. Die damit einsetzende pauschale Abwertung von Karikaturen als wenig geachtes Gebrauchsgut hat bis heute Auswirkungen auf den Ruf der Zeichner und Texter. Dabei stellen gute Karikaturen ein unterschätztes Gut dar, das es nur wiederzuentdecken gilt: Allein die Vielfalt der in dem „Gezeichneten Jahrhundert“ vertretenen Werke zeigt, daß die Möglichkeiten des „spitzen Stiftes“ viel größer sind, als der oberflächliche Betrachter ahnt. In diesem Sinne hat auch das neue Karikaturmuseum eine durchaus nicht zu unterschätzende Funktion; kann doch dem Besucher demonstriert werden, daß die Verbindung von Politik/Journalistik, Humor und Kunst durchaus das Tagesgeschäft zu überleben vermag, solange dem Karikaturisten Freiraum zur eigenen Gestaltung und Besetzung von Themen gelassen wird. So haben Karikaturen dann Dauerwert, wenn sie die prägnante Handschrift eines Künstlers tragen, der es versteht, eigene Schwerpunkte zu setzen, und in der Ausführung seinen eigenen Bezug zum Gegenstand spüren läßt.

Eine besondere Delikatesse dürfte die Dauerausstellung mit Karikaturen des bekannten österreichischen Künstlers Manfred Deix bieten, dessen Zeichnungen auch jenseits der Alpenrepublik eine große Anhängerschaft haben. Mit einer Gesamtfläche von 320 Quadratmetern, auf der dauerhaft Exponate des Künstlers ausgestellt werden können und regelmäßig ausgewechselt werden, zählt sie zu den Publikumsmagneten.

Der große Erfolg von Deix ist zweifellos auf das große Repertoire des Künstlers zurückzuführen. Deix verzichtet weitestgehend auf Themen mit eindeutig tagespolitischen Bezügen und widmet sich bewußt in der Tradition der alten Gesellschaftskarikatur Themen, die vielfach wegen ihrer Komplexität und der ihnen innewohnenden Ambivalenz gescheut werden, wie zum Beispiel Gewalt, Überalterung, Gentechnik und politische Selbstdarstellung. Dabei erreicht es der Künstler vielfach, daß nicht nur die karikierte Person, sondern zugleich auch der Nachbar, Freund, Anhänger und Gegner zu einer positiven oder negativen Stellungnahme förmlich gedrängt werden.

Immer wieder konfrontiert Deix sein Publikum mit Begrifflichkeiten, die sich im gesellschaftlichen Alltag durchgesetzt haben, hinter denen sich aber lediglich hohle Phrasen verbergen. In Deix’ Karikaturen „menschelt“ es förmlich, weil er es versteht, eine scharfe Kritik mit einer großen Liebe zu seinen gezeichneten Figuren zu verbinden. So erkennt sich jeder ein kleines Stück in den Karikaturen selbst. Eine eindeutige Aussage wird zumeist vermieden - vielmehr wird durch gekonnte Überspitzung die Frage nach den Ursachen menschlichen Verhaltens gestellt. Diese wiederum sind zumeist sehr simpler Natur: Hinter der unberührbaren Fassade treten uns in Deix’ Karikaturen die Sucht nach Selbstdarstellung, Mißtrauen und Mißgunst im öffentlichen wie im privaten Raum, die unbefriedigte Sehnsucht nach Abenteuer und die jedes Nachdenken im Keim erstickende Hysterie auf Schlagzeilen der Tages- und Wochenpresse entgegen. Auch wenn man sich den äußerst frechen Provokationen nicht immer anschließen mag, spricht doch für Deix, daß er sich weitestgehend einseitigen politischen Stellungnahmen enthält und stets auch den Mut hat, bei gleichzeitiger energischer Vertretung seiner Anliegen mit den von ihm karikierten Personen in einen Dialog zu treten.

Die zweite Dauerausstellung ist dem Werk von Gustav Peichl gewidmet, dessen karikaturistische Hauptschaffensperiode in die fünfziger und sechziger Jahre fällt. Ein wiederholtes Thema seiner Karikaturen ist die Fragwürdigkeit der praktischen Dauerregierungskoalition zwischen Volkspartei und Sozialisten, mit allen Nachteilen wie der proporzmäßigen Aufteilung von Posten und Ressorts im Staat nach Parteibuch - ein sicherlich heute noch genauso aktuelles Thema.

Insgesamt sollte ein wichtiges Anliegen des neuen Karikaturmuseums der Anspruch sein, den Blickrahmen des Betrachters zu erweitern und zu einem weniger oberflächlichen Gebrauch mit dieser Kunstform anzuregen. Mit einer verstärkten Beachtung von Künstlern aus den Reformstaaten Mittel- und Osteuropas könnte das Karikaturmuseum Krems zudem ein besonderes Profil gewinnen. Der Deix-Bonus sollte dabei als besondere Herausforderung dienen.

 

Karikaturmuseum Krems, Steiner Landstr. 3a, A-3500 Krems-Stein. Täglich geöffnet von 10 bis 18 Uhr. Info: 00 43 / 27 32 / 90 80 20.

Die Ausstellung „Alles Karikatur - Das gezeichnete 20. Jahrhundert“ wird bis zum 26. Mai 2002 gezeigt. Der von Severin Heinisch und Walter Koschatzky herausgegebene Katalog mit 320 Seiten kostet 49,90 Mark.


 
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