© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/01 26. Oktober 2001

 
Ohne Lernen geht es nicht
von Paul Wilhelm

Die deutschen Hochschulen waren einmal sehr gut: Bis in die dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts waren sie Vorbild in der Welt. Dies ist vorbei. Aber sie holen auf. Aus der Sicht eines bayerischen Hochschulpolitikers möchte ich einige Anmerkungen zu der Frage machen, wie es geschafft werden kann, daß die deutschen Hochschulen wieder sehr gut werden.

Bayern hat als eines der ersten deutschen Länder schon 1998 sein Hochschulrecht ziemlich umfassend reformiert; allmählich ziehen die anderen Länder nach. Ich nenne kurz die wesentlichen Punkte:

l Das Studium ist verkürzt worden, u.a. durch die obligatorische Einführung einer Zwischenprüfung nach dem vierten Semester, durch die Ausweitung der studienbegleitenden Prüfungen, durch die frühzeitige Einführung der international üblichen Abschlüsse, vor allem des nach drei Jahren erreichbaren Bachelor-Abschlusses, aber auch durch deutliche Verstärkung der Tutorien, also der besseren Betreuung in kleinen Gruppen in den besonders überlaufenen Massenfächern, und durch eine Verlängerung der Bibliotheksöffnungszeiten.

l Die Zuweisung von Mitteln und Stellen ist stärker an das Leistungsprinzip geknüpft worden, also weg von der bis dahin überall üblichen „Gießkanne“.

l Die Lehre ist deutlich verbessert worden: Durch die obligatorische Einführung der Studiendekane, durch die Einführung eines Lehrberichts, durch die Bewertung der Lehre durch die Studierenden und die Besprechung der Ergebnisse im Fachbereichsrat.

l Die Eigenverantwortung der Hochschule ist erhöht worden, in Personalfragen ebenso wie in Finanzfragen, und viele Befugnisse sind vom Wissenschaftsministerium auf die Hochschulen übertragen worden.

l Durch die Stärkung der Hochschulleitung und der Dekane, insbesondere bei der Verteilung von Mitteln und Stellen, ist es zu rascheren und häufig auch zu inhaltlich besseren Entscheidungen gekommen; letzteres deshalb, weil der in allen Hochschulgremien nahezu vermeidbare Proporzgedanke eine sachlich oft gebotene „Entscheidung nach Ungleichheit“ nicht selten verhindert hatte.

l Durch die Einführung des Hochschulrates, also durch die Mitwirkung von Fachleuten aus der Wirtschaft und der beruflichen Praxis und von externen Wissenschaftlern, ist der Hochschule Sachverstand von außen zugeführt worden. Der Hochschulrat hat wichtige Befugnisse in allen das Profil der Hochschule prägenden Entscheidungen.

Nun stehen auf Bundesebene wichtige Entscheidungen an. Die Stichworte lauten: Einführung des Leistungsprinzips auch bei der Bezahlung der Professoren und mehr Chancen für den wissenschaftlichen Nachwuchs.

Zum Schlechten zuerst! Man fragt natürlich: Kann es schlecht sein, nach Leistung zu bezahlen? Ich finde: In diesem Falle schon! Der Entwurf der Bundesregierung hat nämlich einen entscheidenden Fehler: Die Bezahlung nach Leistung darf nicht mehr kosten. Dies wollen fatalerweise neben der Bundesregierung nicht nur die meisten Finanzminister, sondern auch die Vertreter der ärmeren Länder, weil sie befürchten, daß sie im Wettbewerb um die besten Köpfe zu kurz kommen könnten.

Das Ergebnis jedenfalls ist: Der von jedem zu berufenden Professor erwartbare Grundbetrag der Besoldung soll künftig sehr viel niedriger sein als heute. Mit dem dadurch eingesparten Betrag sollen „Leistungszulagen“ bezahlt werden. Das Groteske dabei ist folgendes: Weil nach Auffassung auch der Bundesregierung natürlich die Besoldung eines Professors durchaus etwas höher sein soll als die eines Oberstudienrates, soll im Ergebnis jeder - genauer gesagt: fast jeder, wenn man die wenigen als faul Erkannten ausnimmt - ungefähr dasselbe bekommen wie zuvor! Es soll also nicht für eine ganz besondere Leistung, sondern nur für die allgemeine Pflichterfüllung, wie sie von jedem erwartet werden kann, künftig eine „Leistungszulage“ bezahlt werden! So kann die deutsche Hochschule den Wettbewerb um die besten Köpfe gewiß nicht gewinnen!

Vielleicht findet sich in den nächsten Monaten noch ein tragbarer Kompromiß, und vielleicht kann die sonst zu erwartende gigantische Leistungsbewertungs- und Umverteilungsbürokratie nicht vermieden werden. Wenn nicht, wäre ein Scheitern dieses Punktes der Reform kein Schaden.

Überwiegend gut ist hingegen der zweite große Punkt der Berliner Vorschläge, die Einführung der frühen Selbständigkeit des wissenschaftlichen Nachwuchses durch die Schaffung sogenannter Junioren-Professuren. Die Junioren-Professur soll künftig die wichtigste Voraussetzung für die Berufung zum Professor auf Lebenszeit sein. Junge Spitzenkräfte sollen auf diese Weise früher, in einer Position als Professor auf Zeit, volle Verantwortung übernehmen können.

Deutsche Nachwuchswissenschaftler, die in die USA gegangen und dort geblieben sind - von denen immerhin in den letzten vier Jahren drei einen Nobelpreis errungen haben -, nennen übereinstimmend die fehlende Eigenständigkeit des Arbeitens in Deutschland als Hauptgrund für ihren Weggang. Dies wird nun geändert werden, und die langjährige Abhängigkeit, wie sie die Habilitation, die heute die Hauptvoraussetzung für den Professorenberuf ist, mit sich bringt, wird damit ein Ende haben.

Ein weiterer ganz besonders wichtiger Punkt ist: Kann es auch einen Wettbewerb um die besten Studenten geben? Hier hat sich in den starren Strukturen der hier angesprochenen Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) im Sommer einiges bewegt. Der von den Hochschulen gebildete Beirat der ZVS fordert nun, die Hochschulen sollten deutlich mehr, nämlich bis zu 50 Prozent der Studenten, in den zehn „harten“ Numerus-Clausus-Fächern nach ihrer speziellen Eignung auswählen können. Er fordert außerdem, die Hochschulen sollten den ersten Zugriff haben. Die kalte Dusche ist dann leider auch gleich gekommen: die Wissenschaftsminister sehen das nicht ganz so, aber sie wollen darüber sprechen. Der bayerische Wissenschaftsminister Hans Zehetmair wird sich in diesen Gesprächen für die vom Beirat angestrebte Änderung weiterhin stark machen.

Bayern handelt dort, wo ein Land dies nach der Rechtslage allein tun kann; die entsprechenden Beschlüsse sind soeben von der CSU-Fraktion gefaßt worden. Es handelt sich um zwei Punkte:

1. In allen Fächern des örtlichen Numerus Clausus - wenn also an einer Hochschule mehr Bewerber als Plätze zu verzeichnen sind -, soll die Hochschule künftig 50 Prozent auswählen können und nicht 30 Prozent, wie es in Bayern bisher der Fall ist. Dabei soll vor allem die Eignung für das angestrebte Fach durch fachbezogene Tests und Auswahlgespräche ermittelt werden.

2. In allen übrigen Fächern wird Bayern auf Antrag einer Hochschule durch Erweiterung der Experimentierklausel des Hochschulgesetzes die Möglichkeit einer Eignungsfeststellung eröffnen. Auch hier soll eine möglichst große Übereinstimmung der Anforderungen des Fachs mit den Neigungen und Fähigkeiten des Bewerbers gesucht werden. Die Prognose über den Studienerfolg, wie sie die Abiturnote ermöglicht, soll durch ergänzende Eignungsfeststellungsverfahren noch verbessert werden.

Im Ergebnis werden auf diese Weise die für das gewählte Fach besten Studierenden an die für sie beste Hochschule kommen. Ein wichtiges Stück Wettbewerb um die besten Studenten!

Die Sache hat einen ganz wichtigen weiteren Effekt: Durch frühzeitige Prüfung und Selbstprüfung wird die Zahl der Studienabbrüche stark abnehmen, wie sich überall dort gezeigt hat, wo es bereits solche Verfahren gibt.

Entscheidend ist also mehr Wettbewerb - um die besten Professoren und um die besten Studenten. Entscheidend wichtig ist aber auch mehr Geld für die Hochschulen in Deutschland. Der Steuerzahler wird künftig vermutlich auch in den bessergestellten Ländern nicht all das an Mitteln bereit-stellen können, was zur Verbesserung der Studiensituation unter den Bedingungen einer Massenuniversität und was im scharfen Wettbewerb um die besten Nachwuchswissenschaftler gebraucht werden wird. Deshalb wird es unvermeidbar sein, auch über - selbstverständlich sozial verträglich gestaltete - Studiengebühren für das Erststudium ernsthaft nachzudenken. Es muß jedenfalls auch finanziell alles getan werden, um in der großen Menge der Studierenden die Besten herauszufinden und sie zu fördern. Denn diese Besten braucht unser Land vor allem.

 

Dr. Paul Wilhelm, 65, Jurist und Staatssekretär a.D., ist seit 1970 CSU-Abgeordneter im Bayerischen Landtag und Vorsitzender des Ausschusses für Hochschule, Forschung und Kultur


 
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