© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/01 02. November 2001

 
Almosen statt rechtlicher Etablierung
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22. November 2000 zum EALG
Peter Ruess

Einen entscheidenden Meilenstein der Perpetuiierung von Unrecht setzte das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil vom 22. November 2000, in welchem es dem zu Recht unter vielfältigem Beschuß aus Fachliteratur und Presse stehenden Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz (EALG) aus dem Jahr 1994 den „Persilschein“ der Verfassungsgemäßheit erteilte.

Die Kritik soll nicht ansetzen an Feinheiten der Wertberechnung oder sämtliche Einzelheiten dieser in fast allen Punkten verfehlten Entscheidung aufarbeiten. Die zentrale Frage lautet schlicht und ergreifend, ob die Bundesregierung der ihr seinerzeit durch die ersten Bodenreformentscheidungen auferlegten Pflicht nachgekommen ist, eine Entscheidung zu schaffen, oder nicht vielmehr dem Gericht, dem Volk und allen voran den Geschädigten dadurch spottet, daß sie eine Rechnung aufmacht, bei der in vielen Fällen nichts, in anderen relativ zum Verkehrswert Trinkgelder herausspringen. Letzteres ist unbestreitbar der Fall.

Ein reales Beispiel hierzu ist der Fall eines Alteigentümers, dem die Bundesrepublik Deutschland 5.000 Hektar von Kommunisten enteignetes Land nicht zurückzugeben bereit war, dies nach den unseligen Urteilen aus Karlsruhe auch nicht mußte und sich nun anschickte, eine Entschädigung zu berechnen: Wie hoch soll diese nun sein? Eine erste laienhafte Vermutung mag den unbedarften Beobachter dazu verleiten, hier den vom Staat am Markt auch realisierten Erlös von über 20 Millionen Mark als Größenordnung heranzuziehen. Weit gefehlt. Der Betreffende erhält eine Summe von etwas mehr als 30.000 Mark, diese freilich erst 2004 oder später, wenn allein die Zinsen des Verkaufserlöses dem Staat ein mehrfaches eingebracht haben. Zu Recht hat das Landgericht Berlin entschieden, daß man diesen Vorgang als einer Hehlerei vergleichbar bezeichnen darf, denn nichts anderes ist es. Das sind keine Verbalinjurien der Opfer gegen die Verantwortlichen, vielmehr ist das Verhalten der Verantwortlichen eine Beleidigung der Opfer und des Rechtsstaates.

Eine faire und übrigens auch juristisch zwingend gebotene Entschädigungsregelung wäre doch gewesen, daß Vermögen, welches sich noch in Staatshand befand, zurückzugeben gewesen wäre, abzüglich der Aufwendung des Staates für die bis dahin erfolgte Verwaltung. Eine Schutzwürdigkeit des Staates, rechtswidrig konfisziertes Eigentum Privater zu behalten, ist nicht anzuerkennen. Selbst eine Verkehrswertentschädigung erscheint bei Objekten in Staatshand nur dann ausreichend, wenn die Restitution aus zwingenden Gründen ausgeschlossen ist. Nach deutschem Recht, Europarecht und allgemeinem Völkerrecht genießt die Bestandsgarantie des Eigentums Vorrang vor der Entschädigungsgarantie. Für das nicht mehr rückgabefähige Vermögen kommt nur die Verkehrswertentschädigung in Betracht. Die Regelung im EALG ist also nicht nur politisch falsch, da sie den Staat zu Lasten der Opfer kommunistischer Willkür bereichert, sie ist auch juristisch - insbesondere mit Hinblick auf die Europäische Menschenrechtskonvention - unhaltbar.

Warum also hat das Verfassungsgericht diese mit Händen zu greifende Entstellung des Rechts hingenommen, ja sogar mit dem Ritterschlag der Verfassungskonformität entlassen? Dies liegt an den höchst erfolgreichen Lobbyversuchen der Bundesregierung, die u.a. behauptete, es drohe der Staatsbankrott oder mindestens eine finanziell unerträgliche Lage, wolle man alle Alteigentümer in Höhe ihrer Verluste entschädigen. Das Zumutbarkeitskriterium liegt hier jedoch vollends neben der Sache. Das Vermögen kam unrechtmäßig (vielfach mit Waffengewalt und unter Mißachtung von elementaren Rechten der Betroffenen) in staatlichen Besitz der DDR, und es gelangte durch die Wiedervereinigung in staatlichen Besitz der Bundesrepublik.

Diese Zusammenhänge waren der Bundesregierung bekannt. Somit war die Bundesrepublik ungerechtfertigt bereichert, und zwar durch ein Vermögen, das von der DDR rechtswidrig vereinnahmt worden war. Diese Bereicherung (und nur diese) herauszugeben kann in keiner zivilisierten Rechtsordnung eine Belastung darstellen, es sei denn, man folgt der marxistischen Auffassung von der fehlenden Bestandskraft des Privateigentums. Man muß nicht Jurist sein, um dies zu verstehen. Aber anscheinend bedarf es eines juristisch gefärbten Denkens und eines falsch verstandenen Loyalitätsgefühls dem Staat gegenüber, um es nicht zu begreifen.

Das Verfassungsgericht führte in seiner Entscheidung vom 22. November 2001 weiter aus, schwerwiegenderes Unrecht wie Schaden an Leib und Leben könne auch nicht einer angemessenen Kompensation zugeführt werden, daher entfalle eine solche Pflicht auch für die eigentumsrelevanten Akte. Dies ist eine nicht rational begründbare Perversion des allgemeinen, nicht nur in der deutschen Verfassung verankerten Gleichheitssatzes, die sich den Vorwurf politischer Gefälligkeitsjustiz gefallen lassen muß. Will man einem, dessen Vater von den Kommunisten erschlagen und enteignet wurde, allen Ernstes damit mitteilen, er müsse das damals geraubte Land beim Staat belassen, denn auch der Mord an seinem Vater wäre nicht voll entschädigungsfähig?

Armes Deutschland. Wie tief muß man in Sozialneid, überzogenen Autoritätsglauben, politische Blindheit und generelle Gleichgültigkeit versacken, um bei solchen Urteilen nicht aufzustehen?

 

Peter Ruess ist Jurist und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bayreuth.


 
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