© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/01 02. November 2001

 
Verlöschen im Nichts
Der neue Roman von Christian Kracht irritiert
Günter Zehm

Dieser kleine Roman, gerade vor der letzten Frankfurter Buchmesse erschienen, hat schon eine interessante Rezeptionsgeschichte. Er wurde von den Rezensenten sofort voll angenommen und leidenschaftlich besprochen. Man war betroffen, aufgeschreckt, einige empörten sich, so der treffliche Karl Corino im Hessischen Rundfunk, der von einem Machwerk und einem Anschlag der „Generation Golf“ auf die Würde der Literatur sprach.

Nun ist Christian Kracht jun. (35), Sohn des legendären Hamburger Generalbevollmächtigten Axel Springers, Christian Kracht sen., tatsächlich so etwas wie die lupenreine Verkörperung der „Generation Golf“, also jener westdeutschen, mit einem goldenen Löffel im Mund geborenen Abkömmlinge reicher Eltern, die erst in den Jahren nach der Wiedervereinigung ins geistige Leben eintraten und die sich ganz dem sogenannten Lifestyle ergeben haben, die Klamotten, Accessoires und Modesachen für wichtiger halten als Ideen und daran ihr Genügen finden. Corinos Mißtrauen gegenüber einem solchen Autor ist verständlich.

Aber Krachts Text rechtfertigt dieses Mißtrauen nicht. Es ist die Geschichte zweier blasierter Weltenbummler aus der „Generation Golf“, die 1979 in Teheran in den Beginn der iranischen Revolution geraten, von denen einer schnell zu Tode kommt, während der andere nach Tibet weiterzieht, dort den heiligen Berg Kailasch umwandert, von chinesischen Soldaten gefangengenommen und in ein Arbeitslager eingeliefert wird, wo man ihn mittels schrecklicher Torturen „umerzieht“. Nichts an dieser Geschichte wirkt ambitiös, wichtigtuerisch oder gar zynisch, wie Corino unterstellt.

Ihr Stil ist von reporterhafter Knappheit und dennoch von großer Wucht und Eindringlichkeit. Es sind grelle Schlaglichter auf einzelne Szenen: eine monströse Oberklassenparty in Teheran direkt vor Ausbruch der Unruhen, ein einsames Sterben in einem heruntergekommenen Arme-Leute-Krankenhaus, lamaistische Gebetszeremonien in der dünnen Luft des Transhimalaja, Hunger und Demütigung im „Gelben Gulag“ des Mao Tsetung. Alles bleibt vollkommen unkommentiert, obwohl in der Ich-Form erzählt wird; das Ich des Erzählers ist eine Hohlform, ein bloßer Wahrnehmungsapparat nach außen und nach innen, ein leerer Eimer.

Und just aus dieser Leere und Hohlheit wächst ein Schrecken, der sich gegen Ende hin immer mehr steigert und schließlich ins beinahe Parodistische umkippt, gleichsam vor sich selber erschrickt. Der Erzähler, der bis dahin vor allem die Accessoires und Modesächelchen registriert hat, die Berluti-Schuhe und Cecil-Beaton-Pullover, registriert nun mit gleicher Genauigkeit die an ihm selbst vollzogenen Foltermethoden der Mao-Tse-tung-Leute, die körperlichen Mißhandlungen, die grotesken Rituale der „Selbstkritik“. Er will das nicht im geringsten moralisch beurteilen, ist vielleicht gar nicht in der Lage dazu. Berluti-Schuhe und Elektroschläge, Cecil-Beaton-Pullover und Selbstkritik - es ist alles eins, man muß mit allem einverstanden sein.

So etwas läßt sich natürlich im Stile von Corino und anderen Kritikern als Dummheit und seelische Unempfindlichkeit denunzieren. Dann gilt es aber, sich damit bekanntzumachen, daß der Autor Kracht alles andere als dumm oder unempfindlich ist. Seine Sprache ist von raffinierter Einfachheit. Und es gibt in seinem Buch viele Anspielungen auf abgelegene, gleichwohl interessante Bildungsgüter (so auf frühere exquisite Orientreisende wie Robert Byron und Christopher Sykes), es waltet eine - an der Accessoire-Verliebtheit der „Generation Golf“ geschulte - Sensibilität für fremde Welten und deren Details, die man bewundern muß. Dieses „Roman“ genannte Buch ist als eine Art japanisches Haiku komponiert, in dem das Ungesagte mindestens so hörbar mitschwingt wie das Gesagte.

Beim Umwandern des heiligen Berges Kailasch registriert der Ich-Erzähler auf seiten seiner tibetischen Mitwanderer eine seltsame, zärtlich-respektvolle Ehrfürchtigkeit ihm gegenüber, manchmal flüstern sie über ihn, und er glaubt die Silben „Body Shattva“ zu vernehmen. Dabei bleibt es,und erst beim zweiten Lesen fällt einem die Episode auf. Die tibetischen Mönche (die später wie der Ich-Erzähler selbst, von ihm getrennt, von den Chinesen abgeführt werden) haben den kleinen blonden Weißen, der da, wie von weither angeweht, so einsam um den Kailasch robbte, für einen Boddhisatwa, für eine Reinkarnation des Buddha, gehalten, für einen Sendboten aus dem Großen Nichts, das Nirwana heißt und dem wir alle entgegenstreben.

Auch das ist eine große Feinheit des Textes, hinter der man keinen gewöhnlichen Schreiberling der „Popgeneration“ sehen mag. Klamottensucht der westlichen Wohlstandsjugend und Umerziehungssucht der maoistischen Polit-Soldateska - sie finden ihren gemeinsamen Nenner im Nirwana, sie bedeuten nichts oder „das Nichts“, der Leser kann darüber rätseln, wohin die Reise gehen soll und ob es überhaupt noch eine Reise gibt und ob ihr Pfad erleuchtet sein wird oder in Dunkelheit gehüllt.

Christian Kracht 1979. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001, 183 Seiten, geb., 34, 80 Mark


 
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