© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/01 09. November 2001

 
Kolumne
Selbstbewusstsein
Klaus Hornung

Seit dem Mauerfall 1989 gibt es eine Reihung historischer Daten, die etwas Mythologisches an sich hat: 9. November 1918 - deutscher Zusammenbruch am Ende des Ersten Weltkrieges; 9. November 1923 - gescheiterter Hitler-Putsch in München; 9. November 1938 - die Schande der von der Partei gesteuerten Brandanschläge gegen Synagogen und jüdische Einrichtungen; 9. November 1989 - der Fall der Berliner Mauer und der Beginn der Wiedergewinnung der deutschen Einheit.

Die drei erstgenannten Daten waren in der Tat Marksteine einer unglücklichen Geschichte der Deutschen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, des „Totalitären Zeitalters“. Der 9. November vor nun zwölf Jahren sah die Deutschen zum ersten Mal seit langem wieder als „ein glückliches Volk“ (wie selbst der damalige Regierende Bürgermeister Berlins, Walter Momper (SPD), einräumte). Und das galt auch für die folgende Zeit: Die ersten freien Wahlen zur DDR-Volkskammer am 18. März 1990 und die Jahre des Sich-wieder-Kennenlernens der Deutschen, als die Westdeutschen nach Quedlinburg, nach Rügen und in den Spreewald kamen und die Deutschen aus der ehemaligen DDR nach Hamburg, München und Aachen fuhren.

Doch dann begannen die „Mühen der Ebenen“: Der nationale Aufbruch und der Wahlsieg der „Allianz für Deutschland“ verloren bald ihren Glanz. Die Landsleute in den neuen Ländern fühlten sich nicht selten - und oft mit Recht - von den Westdeutschen bevormundet und über den Tisch gezogen, von den fliegenden Händlern des Beginns über die Versicherungsagenten bis zu manchen Ungeheuerlichkeiten der Treuhand, die nicht selten dieses Namens spotteten. Die politische Klasse war zumal voller Argwohn, der Deutschen könne sich ein neuer „Nationalismus“ bemächtigen. Helmut Kohl hegte die Hoffnung, „blühende Landschaften“ aus der Portokasse finanzieren zu können und verschonte die Deutschen von der Botschaft, daß die Einheit nicht ohne Opfer zu gewinnen war. Heute, zwölf Jahre danach, scheint das Klagen und Jammern zu überwiegen.

Da ist es höchste Zeit, sich wieder an das Glück des 9. November 1989 zu erinnern, sich vor dem damaligen überraschenden, neuen nationalen Selbstbewußtsein nicht zu fürchten. Mehr denn je scheint es nötig, wieder eine „Allianz für Deutschalnd“ zu bilden, die den guten Willen der Patrioten von Rechts bis Links zusammenfaßt. Der 9. November 1989 ist ein Appell an die nationale Normalität der Deutschen.

 

Prof. Dr. Klaus Hornung ist Politikwissenschaftler und Präsident des Studienzentrums Weikersheim.


 
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