© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/01 09. November 2001

 
Vom totalen Krieg weit entfernt
Finanzmarkt: US-Kriegsanleihen ein symbolischer Akt - Regierung hofft auf ungebremsten Konsum
Ronald Gläser

Es ist der größte Rüstungsauftrag, den das Pentagon je vergeben hat: Entwicklung und Bau des neuen amerikanischen Kampfflugzeugs F-35. Für wenigstens 200 Milliarden Dollar (etwa 436 Milliarden Mark) produziert der amerikanische Flugzeughersteller Lockheed Martin den Jet voraussichtlich ab 2008 serienmäßig. Die Stückzahl wird sich ersten Schätzungen zufolge auf 3.000 belaufen.

Diese Nachricht vom vergangenen Monat zeigt, welche finanzielle Herausforderung die neue Weltlage für die Vereinigten Staaten mit sich bringt. In den letzten Clinton-Jahren konzentrierte sich die politische Debatte in den USA vielfach auf Steuersenkungen und den Abbau des Haushaltsdefizits. Die Bedrohung der USA wird seit den Terroranschlägen als absolut angenommen. Sie verbietet die Frage nach der Notwendigkeit solcher Rüstungsinvestitionen. Derlei Kritik würde schnell als unpatriotisch gebrandmarkt.

In diesen Zusammenhang gehören auch die Kriegsanleihen, deren Aufnahme vom amerikanischen Parlament unlängst beschlossen wurde. Eine entsprechende Gesetzesvorlage ist von dem Senator Mitch McConnell aus Kentucky und dem Repräsentanten John Sweeney eingebracht worden. Beide sind Republikaner, aber auch die Demokraten stimmten in beiden Kammern fast ausnahmslos für das Gesetz. Mit einem Veto des Präsidenten ist auch nicht zu rechnen.

Augrund der langfristigen Planungszeiten werden entsprechende Anleihen voraussichtlich erst in anderthalb Jahren gezeichnet werden können. Sie unterscheiden sich lediglich hinsichtlich ihres Namens von konventionellen Anleihen, die die USA am heimischen Kapitalmarkt aufnehmen. Außerdem ist von einer Finanznot der US-Regierung nichts zu spüren. Die Aufnahme einer solchen Anleihe hat also mehr demonstrativen Charakter.

Im amerikanischen Bürgerkrieg waren beide Regierungen gezwungen, sich vor allem durch solche Anleihen zu finanzieren. Auch im ersten Weltkrieg wurde der unermeßliche Kapitalbedarf durch Kriegsanleihen gedeckt. Damals wurden die festverzinsten Papiere propagandistisch als Liberty Bonds in Umlauf gebracht. In Vorbereitung des Eintritts in den Zweiten Weltkrieg gab die US-Regierung dann zunächst Defense Bonds aus. Nach der Attacke der Japaner auf den Marinestützpunkt Pearl Habor wechselte man die Bezeichnung in War Bonds. Diese letzten Kriegsanleihen verschafften der Regierung immerhin einen finanziellen Spielraum von 185 Milliarden Dollar. Auch diesmal waren zunächst andere Bezeichnungen für die Anleihen im Gespräch, so etwa Victory Bonds oder Unity Bonds.

Seitdem hat sich keine US-Administration mehr genötigt gesehen, Kriegsanleihen aufzunehmen, obwohl der Kalte Krieg als dauerhafter Ausnahmezustand angesehen wurde. Selbst während des Koreakrieges oder für das letzte große Wettrüsten Anfang der 80er Jahre reichten die konventionellen Einnahmequellen des Staates aus. Sogar während des Vietnamkriegs konnte auf Kriegsanleihen verzichtet werden.

Die amerikanische Wirtschaft ist - trotz einer zu erwartenden Rezession - in guter Verfassung. Dies verstärkt den Eindruck, daß diese jüngste Maßnahme eher einen symbolischen Charakter hat. So argumentieren selbst die Vertreter der Regierung und des Parlaments. Vertreter der Finanzwelt unterstrichen den psychologischen Effekt der Anleihe als „moralische Unterstützung“ im Kampf gegen den Terrorismus.

Selbst die eigentlichen Profiteuere, nämlich Vertreter des US-Finanzministeriums, hielten ihre Begeisterung in Grenzen. Einerseits kann man gleichsam verzinste US-Anleihen auch jetzt schon erwerben. Andererseits, so eine Sprecherin des Treasury Departments, hoffe man ebenso auf eine ungebrochene Konsumfreudigkeit der Amerikaner, die die Wirtschaft erfolgreicher ankurbele. Das verdeutlicht, daß Amerika weit von einem Szenario des „Totalen Krieges“ entfernt scheint.

Vielleicht ist die Aufnahme einer Kriegsanleihe, die erst in mehreren Monaten auf den Markt kommt, ein anderes Indiz. Schon jetzt droht, daß der Irak in den Konflikt mit hineingezogen wird. Und der US-Verteidigungsminister Rumsfeld äußerte vor kurzem die Befürchtung, Osama bin Laden werde seinen Jägern entgehen. Sollte sich der Konflikt also zeitlich und räumlich ausweiten, so könnten die USA das Geld brauchen. Dann stände der altertümlichen Kriegsanleihe eine Renaissance bevor. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich die Krisenzeiten zunehmend auf das Gemüt der Amerikaner auswirken, so daß sie sichere Anlageformen bevorzugen.

Eine Rezession wurde schon vor dem 11. September erwartet. Auch in Deutschland ist sie spürbar, sinkt das Wirtschaftswachstum 2001 doch in den Nullkomma-Bereich. Jetzt aber haben verschiedene Branchen zusätzlich zu leiden. Insbesondere die Flugzeugindustrie befindet sich in einer schwierigen Phase. Staatliche Fördermaßnahmen - wie der eingangs geschilderte Riesenauftrag an Lockheed Martin - könnten den Niedergang ganzer Wirtschaftszweige mildern.

Zur Zeit erscheint dies aber als pure Spekulation. Der amerikanische Gesetzgeber weiß, wie wichtig die Wirtschaftskraft des Landes ist. Jedes staatliche Abschöpfen des Kapitalmarktes verringert die Mittel, die privaten Unternehmen zur Verfügung stehen und erhöht die Zinsen. Im Zuge der Welle des Patriotismus haben amerikanische Politiker noch ganz andere Maßnahmen ins Spiel gebracht: Steuervergünstigungen für Reisen, die mehr als 100 Meilen vom Wohnort des Steuerzahlers entfernt liegen; ebenso für Reisen nach New York; freier Eintritt für Feuerwehrmänner und Polizisten in die Nationalparks. Derlei Schnellschüsse würden unter normalen Umständen als populistisch kategorisiert. Aber sie kennzeichnen den politisch motivierten, ökonomischen Aktionismus auf dem Kapitol in Washington.

 

Plakatwerbung für US-Kriegsanleihen im Ersten Weltkrieg: Nach 1945 wurden weder der Korea- noch der Vietnamkrieg mit „War Bonds“ mitfinanziert. Im 21. Jahrhundert steht zunächst vor allem die „moralische Unterstützung“ durch die neuen Kriegsanleihen im Mittelpunkt des Interesses.


 
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