© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/01 09. November 2001

 
Pankraz,
Herbert Kremp und die Abschaffung des Krieges

Von Herbert Kremp stammt die sarkastische Anmerkung, die unsichtbaren Befehlsströme des internationalen Terrorismus flössen genauso reibungslos wie die Finanzströme des internationalen Kapitals. Der neue Terrorismus sei „die elendeste und treffendste Karikatur der Globalisierung“.

In der Tat sind die Analogien frappierend. Sowohl „neue Wirtschaft“ (new economy) als auch „neuer Krieg“ (protractiv war) mogeln sich um staatliche Regelungen herum oder ignorieren sie kaltlächelnd. Beide wenden sich gegen das „ Einhegen“ von spontaner, naturwüchsiger Dynamik, ihr Feld ist jeweils „die ganze Welt“ (One World), ihr Zweck liegt jeweils in ihnen selbst.

Das Kapital will sich immer nur selbst vermehren, der Krieg, zumindest der uneingehegte „neue Krieg“, ernährt sich aus sich selbst, kennt keinen regulären Friedensschluß. Der von ihm angepeilte Sieg liegt in utopischen Fernen, in irgendeinem religiösen oder sozialpolitischen Endzustand, der nie heraufdämmern kann.

Während sich die klassischen, gehegten Kriege, die von Staat gegen Staat geführt wurden, auf festumrissenen Territorien abspielten, ignoriert der „neue Krieg“ Länder- und Völkergrenzen. Was es in seinem Verlauf allenfalls gibt, sind momentane regionale Verdichtungen. Aber auch dort sind keine klaren Fronten mit klar identifizierbaren Flaggen und Feldzeichen erkennbar, sondern es herrscht Guerillataktik bzw. Kommandogruppentaktik, je nachdem, wie stark die eigenen Kräfte und die des aktuellen Gegners eingeschätzt werden.

Zu Recht fragen sich Militärhistoriker, ob man diese Art von Gewaltausübung überhaupt noch als „Krieg“ bezeichnen kann. Natürlich gab es auch schon in Zeiten „klassischer“ Kriegführung vielerlei Strategien, die dem Idealbild des gehegten Krieges widersprachen: U-Bootkrieg, Luftschläge gegen die Zivilbevölkerung, Partisanenaktionen. Doch gegenüber solchen „Entartungen“ hat der „protractiv war“ eindeutig eine neue Qualität erreicht. Er ist nicht die Deformation einer bestimmten historischen Gestalt, sondern eine Gestalt sui generis, die ihrerseits noch gewisse Merkmale der alten, überwundenen Gestalt mit sich trägt.

Hier liegt auch der Grund für die prinzipielle Unterlegenheit der Amerikaner in ihrem „Krieg gegen den Terror“. Sie sind noch weitgehend auf das „klassische“ Kriegsbild eingestellt, setzen auf „High Tech“ und quantitative Überlegenheit, während es längst auf ganz andere Qualitäten ankommt, auf Kamikaze-Mentalität und Todesbereitschaft der Kämpfer beispielsweise, auf den unverbrüchlichen Zusammenhalt dieser Kämpfer im Stil von Blutsbrüderschaft, auf Geheimhaltung, Infiltrationsfähigkeit, schnellste, komplizierte Technik möglichst meidende Mobilisierbarkeit und selbstverständlich auf das, was man „Propaganda“ nennt, also den Kampf um die Seelen, um mentale Zustimmung und Dauersympathie.

Amerikas Propagandastrategen sind ganz auf die „Macht der Bilder“ fixiert. Sie glauben, daß es nichts Überzeugenderes gibt als ein Bild, ein Schreckensbild, ein Wohltätigkeitsbild, ein Bild der Machtdemonstration usw. Folglich lancieren oder unterdrücken sie Bilder, nicht bedenkend, daß es - gerade in der Welt des Islams mit seiner Tradition der Bilderlosigkeit und des Bilderverbots - oft mehr auf das ankommt, was man nicht sieht, als auf das, was man sieht.

Um auf die Analogie zwischen Kapitalströmen und Terrorströmen zurückzulenken: So wie man die Bewegung des internationalen Finanzkapitals nicht sehen kann, höchstens seine kulturellen und sozialen Folgen, so kann man auch das Terrornetz und seine Verabredungen nicht sehen. Wenn im „protractiv war“ (vulgo: Terrorismus) etwas zu sehen ist, ist es immer schon passiert, wir sehen nur die Folgen dieses neuartigen „Krieges“, nicht ihn selbst. Und die Masse der mehr oder weniger Beteiligten (und sogar der - scheinbar - noch Unbeteiligten) bekommt das schnell mit und richtet sich danach, orientiert sich zunehmend an Parolen und an Freitagspredigten statt an Bildern.

Man muß sich fragen, ob es bei den augenfälligen Analogien zwischen Finanzkapital und Terror wirklich nur um Analogie geht, ob also der Terror wirklich nur eine Karikatur der westlichen „One-World“-Ideologie und der Globalisierung ist, wie Herbert Kremp meint, oder ob ursächliche Zusammenhänge bestehen, ob das eine das andere eventuell bedingt und mit ihm steht oder fällt. Nur durch genaue Antworten auf derlei Fragen lassen sich Strategien gegen den Terror entwickeln, die nicht selber Terror sind, sondern den Kern jenes Humanums bewahren, das sich nicht zuletzt in der Idee von der „Einhegung“ des Krieges manifestiert hat.

Festzustehen scheint schon jetzt: Die hohnvolle Mißachtung des Staates, wie sie in den letzten Jahren um sich gegriffen hat, die ebenso frechen wie albernen „Theorien“ über seine Abschaffung, respektive Ersetzung durch ökonomische Konzernstrukturen, haben mitgeholfen, dem Terror das Feld zu bereiten. Staat ist eben nicht nur Bürokratie und Gewaltmonopol, sondern der einzig vorstellbare Garant für gediegenes, einigermaßen modernes menschliches Zusammenleben, die kostbarste Errungenschaft menschlicher Stammesentwicklung, die sich denken läßt.

Und festzustehen scheint auch: Die vom Westen ausgehende Propaganda für das bloße „Mehr“ („ich will mehr“), das ewige Hochkitzeln der bloßen Lebens- und Habensgier, das scheußliche, arrogante Auftrumpfen des Westens mit seiner angeblichen Überlegenheit in Technik und Lebensgestaltung - all das hat zumindest mitgeholfen, die Gegendämonen wachzurufen, die nun mit gleicher Münze heimzahlen, die nun ebenfalls auftrumpfen und hochkitzeln und darüber in Seinsvergessenheit verfallen. Der Terror ist keine Karikatur, sondern ein Spiegelbild. Wer ihn bekämpfen will, muß sich früher oder später ins eigene Gesicht blicken.


 
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