© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/01 09. November 2001

 
Große Schwester, kleiner Bruder
Der Liedermacher und Publizist Reinhold Andert beschreibt, wie Margot Honecker 1976 die Ausbürgerung Wolf Biermanns aus der DDR inszenierte
Jörg Bernhard Bilke

Die Ausbürgerung Wolf Biermanns am 16. November 1976 war nach Ansicht des Liedermachers Reinhold Andert eine abgekartete Sache, das Entsetzen im Gesicht Biermanns über den „infamen Schachzug“ des Politbüros nur gespielt. Der jähe Übertritt ins „kapitalistische Ausland“ hat eine Vorgeschichte, die Jahrzehnte früher, während des Zweiten Weltkriegs, einsetzt. Im Jahr 1940 wurde in Halle die elterliche Wohnung der 1927 geborenen Schusterstochter Margot Feist ausgebombt. Da der Vater als Kommunist eingesperrt war, zog die Mutter mit den Kindern Margot und Manfred nach Hamburg in die Wohnung der Kommunistin Emma Biermann, deren Mann, Wolf Biermanns Vater, als Jude und Kommunist ins Konzentrationslager Auschwitz verschleppt worden war, wo er 1943 umgebracht wurde. In Hamburg wuchsen Margot Feist und Wolf Biermann bis zum Kriegsende wie Geschwister miteinander auf. Als der Vater aus dem Konzentrationslager Buchenwald entlassen worden war, kehrte die Familie zurück nach Halle.

Nach 1945 machte Wolf Biermanns „große Schwester“, die neun Jahre ältere Jungkommunistin Margot Feist, in Halle und Ost-Berlin Parteikarriere. Es gelang ihr, Edith Baumann den Ehemann, den 1912 geborenen Saarländer Erich Honecker, auszuspannen und ihn 1953 zu heiraten. Im gleichen Jahr holte sie ihren „kleinen Bruder“ Wolf Biermann aus Hamburg in den „Arbeiter- und Bauernstaat”“ und besorgte ihm einen Internatsplatz, so daß er das Abitur ablegen und studieren konnte.

Diese Vorgeschichte des Paktes zwischen Margot Honecker und Wolf Biermann vom Herbst 1976 kann man jetzt in Reinhold Anderts neuem Buch nachlesen, das unter dem Titel „Nach dem Sturz. Gespräche mit Erich Honecker“ erschienen ist (siehe auch die Besprechung auf Seite 15).

Die beiden Liedermacher Wolf Biermann und Reinhold Andert konnten sich schon zu DDR-Zeiten nicht ausstehen! Obwohl beide Sänger literarisch verpackte Kritik an Staat und Gesellschaft vortrugen, war ihr Ausgangspunkt zu verschieden: Biermann hatte immer das hehre Menschheitsziel des Kommunismus vor Augen, wenn er das Wohlleben der „alten Genossen“ im SED-Staat geißelte, die ihre Ideale von einst verrieten, um ihre unumschränkte Machtfülle zu behaupten. Mit „Marx- und Engelszungen“ gegen die verspießerte SED-Diktatur anzusingen, das traf die verluderte Funktionärsklasse an der empfindlichsten Stelle. Folglich wurde Wolf Biermann am 5. Dezember 1965 von Klaus Höpcke im Neuen Deutschland als „Antikommunist“ beschimpft und zehn Tage später auf dem Dezemberplenum mit Auftrittsverbot belegt. Reinhold Andert dagegen, der sich lediglich über Widrigkeiten im DDR-Alltag ärgerte, wurde danach als Gegensänger zum mundtot gemachten Wolf Biermann aufgebaut und veröffentlichte 1973 die politisch harmlose Schallplatte „Blumen für die Hausgemeinschaft“.

Die Sekretärinnen mußten das Vorzimmer verlassen

Wie Reinhold Andert in seinem Buch mitteilt, ließ Margot Honecker den Kontakt zu ihrem Zögling Biermann auch dann nicht abreißen, als sie 1963 als Ministerin für Volksbildung zur mächtigsten Frau in der SED-Hierarchie aufgestiegen war. Wenn der „kleine Bruder“ mit neuen Liedern im Ministerium vorsprach, hatte er ungehinderten Zutritt. Während die Sekretärinnen das Vorzimmer verlassen mußten, sang Wolf der Margot seine frechen Lieder vor. Die Ministerin scheint sich köstlich amüsiert zu haben, wenn der unerbittliche Biermann „leitende Kader“ wie Horst Sindermann, Paul Verner und Walter Ulbricht gnadenlos besang. Wie Andert urteilt, muß es heute als „fromme Legende“ angesehen werden, „daß Biermann mit seinen Liedern politisch oder sozial etwas in der DDR bewegen wollte“.

Was wollte er dann? Vermutlich nichts weiter als nach Westdeutschland auszureisen, endlich wieder vor einem Publikum aufzutreten und nebenbei auch noch begehrtes Westgeld zu verdienen. Daran ist gewiß nichts Verwerfliches zu finden, anrüchig wird es nur dann, wenn man weiterhin als Kommunist auftritt, der als „Klassenkämpfer“ durchs Land zieht.

Wolf Biermanns Einfluß auf seine DDR-Anhänger schmolz, trotz des Berufsverbots von 1965, dahin - in Westdeutschland, wo seine Bücher und Schallplatten erschienen, war er bekannter als in Ost-Berlin. Aber seine Opposition war unehrlich, nicht wirklich ernst gemeint, er wußte, daß er nichts riskierte, da Margot Honecker ihre schützende Hand über ihn hielt. Das wäre anders gewesen, „wenn er, wie manche seiner DDR-Kollegen, den Widerstand gegen die DDR-Politik auch gelebt hätte“. Dann hätte er aber seinen Status als „staatlich anerkannter Staatsfeind“, wie er sich selbst gern nannte, aufgeben müssen. Aber auf Jahre hinter Zuchthausmauern zu verschwinden wie sein einstiger Freund Siegmar Faust, dazu verspürte er wenig Lust, zumal sein öffentlichkeitswirksames Bild als „Dissident, Aufrührer und Staatsfeind“ von den DDR-Behörden täglich „frei Haus“ geliefert wurde: Die auffällige, aber niemals bedrohliche Bewachung seines Hauses in der Ost-Berliner Chausseestraße sollte höchste Gefährdung signalisieren, aber gerade davor bewahrte ihn sein Bonus als Sohn eines Juden und Kommunisten.

Irgendwann im DDR-Volksbildungsministerium muß dann der Plan einer „Ausbürgerung“ ausgeheckt worden sein, wobei Margot Honecker und Wolf Biermann durchaus unterschiedliche Interessen verfolgten: Hier der „mutige Sänger“ Biermann, der „seinen Staat“ niemals verlassen wollte, der aber hinterrücks ausgebürgert wurde, und dort die allmächtige Ministerin, die den Sänger noch am Vorabend der Ausreise, am 12. November 1976, in seiner Wohnung aufsuchte, um letzte Absprachen zu treffen, und die mit der Abschiebung nach Köln drei politische Ziele auf einmal erreichen konnte: Biermann konnte im ummauerten SED-Staat mit seiner „staatsfeindlichen Hetze“ keinen ideologischen Schaden mehr anrichten, gleichwohl besang er im „westdeutschen Exil“ diesen Staat, der ihn ausgespuckt hatte, als das „bessere Deutschland“, und drittens hatte er als SED-Kritiker die intellektuelle DDR-Opposition in die Öffentlichkeit gelockt, wo sie verfolgt, verhaftet, abgeurteilt oder ausgebürgert werden konnte. Während Wolf Biermann nie ein Zuchthaus von innen gesehen hat wie seine Freunde Siegmar Faust und Jürgen Fuchs, bekamen DDR-Lehrer für den Besitz von Biermann-Liedern auf Tonband mehrjährige Zuchthausstrafen zudiktiert.

Im Westen wurde er durch die Vermarktung als „Protestsänger“ zum reichen Mann, der sich ein Haus in Hamburg und eine Mühle in Lüneburg kaufen konnte. Dennoch zog er jahrelang durchs Land mit dem Lied „Ich als Kommunist“. Im April 1982 durfte er schließlich die Mauer überqueren und an der Beerdigung seines Freundes Robert Havemann teilnehmen. Und das soll den Beobachter nicht hellhörig machen? Heute ist Wolf Biermann Chefkorrespondent der Berliner Tageszeitung Die Welt. Wie sich doch die Zeiten ändern. 


 
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