© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/01 09. November 2001

 
Erich Honecker, Staatschef a. D.
Eine hintergründige Arbeit über die letzten Jahre des ehemaligen SED-Generalsekretärs und Staatsratsvorsitzenden der DDR
Ursula Ueberschär

Auf dem Büchermarkt der letzten Wochen ist nicht nur die Arbeit Reinhold Anderts erschienen, die sich mit der Zeit nach dem Sturz des ehemals Mächtigsten der DDR befaßt, sondern auch das Buch „Staatschef a. D. Die letzten Jahre des Erich Honecker“ von Thomas Kunze. Dieser versucht mit ganz anderen Methoden zu erfassen, wie Honecker und Personen seines Umfeldes rational und emotiv den Untergang der DDR verarbeiteten. Durch das Prisma des Sturzes Honeckers werden wesentliche Ursachen der Lebensunfähigkeit des Sozialismus erfaßt.

Thomas Kunze, Historiker und Germanist, bearbeitet den Zeitabschnitt vom Sturze Honeckers in der DDR bis zu seinem Tode im Mai 1994 in Chile überaus systematisch. Sehr umfangreiche und solide Recherchen (zahlreiche schriftliche Quellen, vielfältige Interviews mit Zeitzeugen und Akteuren auf nationaler und internationaler Ebene) eröffnen interessante und differenzierte Einblicke in die Persönlichkeitsstruktur des ehemaligen Staatsratsvorsitzenden der DDR und seiner Frau Margot.

Vor dem Leser entsteht das Bild eines zutiefst vom Kommunismus überzeugten, politisch gläubigen Menschen, der nur unzulänglich für sein hohes Amt gebildet, aber durchsetzungsstark war, und der alle Menschenrechtsverletzungen in der DDR - auch die gröbsten - als politisch notwendig ansah. Seinen eigenen Untergang und auch den des sozialistischen Systems verstand er nicht. Er glaubte auch nach seiner Entmachtung fest daran, alles für die Menschen in seinem Lande und „den Sieg des Sozialismus in der ganzen Welt“ getan zu haben.

Demgegenüber ist Margot Honecker - wie auch aus einem in der Einleitung des Buches geschilderten und teilweise zitierten Briefwechsel mit ihr hervorgeht - eine egozentrische, eitle Frau voller Machtarroganz und Karrierestreben. Sie war und ist immer linientreu um ihrer Selbst willen.

Sehr spannend wird die „Verschwörung“ der Polit-Kamarilla um Honecker geschildert, die in der Sitzung des Politbüros der SED am 17. Oktober 1989 einstimmig (mit der Stimme Honeckers) die Absetzung des 1. Sekretärs des ZK der SED beschließt, um sich selbst zu retten. Jedoch erfolglos. Ein Räderwerk ist durch den Massenprotest in Gang gekommen, welches Erich Honecker stürzt und den Sozialismus mit ihm untergehen läßt.

Aus Wandlitz verjagt und quasi obdachlos geworden, landet er nach Krankenhausaufenthalt und schwerer Operation, nach Kirchenasyl in den Bodelschwinghschen Anstalten in Lobetal sowie später im Militärhospital der sowjetischen Besatzungsmacht in Beelitz. Von hier aus gelangen er und seine Frau schließlich in die chilenische Botschaft nach Moskau als „die letzten Flüchtlinge der ehemaligen DDR“. Margot Honecker kann von Moskau aus zu ihrer Tochter Sonja nach Chile ausreisen, während ihr Mann vom neuen Machthaber in Rußland, Boris Jelzin, an die Bundesrepublik Deutschland übergeben wird. Dem 80jährigen wird der Prozeß gemacht.

Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang Kunzes kritische Bewertung der Vorgehensweise der Justizorgane der BRD, die den Staatschef a. D. für seine Vergehen mit bürgerlichem Rechtsanspruch verfolgen und damit scheitern. Sie können keine rechtlichen Handhaben für begangenes politisches Unrecht schaffen. Der Prozeß gegen Honecker zieht sich in die Länge. Von einem Strafverfahren gegen ihn wird jedoch abgesehen - da der Angeklagte „das Ende des Strafverfahrens nicht mehr erreicht“. Ein vom Autoren als „Juristenposse“ bezeichnetes Rechtsverfahren nimmt sein Ende. Die letzten Lebensmonate verbringt Erich Honecker in Chile, von der deutschen Öffentlichkeit nahezu unbeachtet.

Die umfangreiche Arbeit von Kunze ist äußerst unterhaltsam und liest sich interessant. Der Autor lotet in seiner Schilderung die letzten Lebensjahre der Person Erich Honecker wesentlich tiefer aus, als dieses das Buch von Reinhold Andert tut. Sie ist ein gelungener Beitrag zur Aufbewahrung neuester deutscher Nationalgeschichte.

Thomas Kunze: Staatschef a.D. Die letzten Jahre des Erich Honecker. Links Verlag, Berlin 2001, 222 Seiten, Abbildungen, 38 Mark


 
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