© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/01 16. November 2001


Tollwütig geworden
von Matthias Bäkermann

In den westlichen Demokratien wird als eine der höchsten Errungenschaften die Meinungsfreiheit verkauft, anderen Staaten dieser Erde wurden Defizite hierin oft schulmeisterlich vorgeworfen. Doch das hohe Gut der freien Meinungsäußerung ist, so scheint es, mit den Türmen des World Trade Center in sich zusammengebrochen.

In den USA bedienen sich selbsternannte Gralshüter des Patriotismus der kleinsten Äußerung ihrer journalistischen Kollegen, um sie schauprozeßartig im Fernsehen wegen mangelhafter nationaler Gesinnung zu zerreißen. Dabei ist die Tatsache, ob der Wahrheit entsprochen wird, absolut zweitrangig. Mit dieser Gängelung seien laut Umfrage sogar 84 Prozent der Amerikaner zufrieden, denn „harte Zeiten verlangen harte Herzen“. Unter Umständen sollte man auch wieder ein bißchen foltern dürfen, wie in Newsweek und Los Angeles Times mittlerweile laut „nachgedacht“ wird.

In Deutschland wird diesmal besonders schnell der neue „american way of life“ nachgeäfft: Bislang unbescholtene Lehrerinnen aus Sachsen äußerten Amerikakritisches, was andere geschmacklos oder unpassend fanden. Die Konsequenz heißt Berufsverbot, Ausgrenzung oder Umerziehung. Vom „Kollegen“ über die Vorgesetzten bis zur Schulbehörde gibt man seiner Betroffenheit über diesen Meinungsfrevel der Lehrerinnen Ausdruck. In einem ähnlichen Fall aus Siegen schlägt der CDU-Bundestagsabgeordnete Paul Breuer sogar vor, den Übeltäter wegen „geistiger Umweltverschmutzung aus dem Verkehr zu ziehen“ - den Ort dieser Verbannung weiß er (noch) zu verheimlichen.


 
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