© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/01 16. November 2001

 
Die Taliban als Hilfsziel
Afghanistan-Krieg: Westliche Staaten sind zum Sieg kaum in der Lage
Klaus Hammel

Aus dem Geflecht miteinander verbundener Fragen beim bevorstehenden Einsatz der Bundeswehr im Afghanistan-Krieg verlangen drei Sachverhalte wegen ihres Gewichts eine gründlichere Betrachtung: die Rechtmäßigkeit des Einsatzes, seine Erfolgsaussichten und die momentan absehbaren Umstände, unter denen der Einsatz erfolgen wird.

Die Nato hat zwar nach Artikel 5 des Atlantikvertrages den Bündnisfall erklärt, eine Aktivierung der militärischen Kommandostruktur hat jedoch nicht stattgefunden. Das bedeutet, die Einsätze in oder um Afghanistan werden nicht durch die multinationalen Befehlsstellen der Nato geführt, sondern - bisher ausschließlich - durch die USA und Großbritannien. Man muß daran erinnern, daß nach bisherigen Vorstellungen die Unterstellung nationaler Truppen unter das Bündnis eines formellen Aktes bedurfte, die jeweiligen nationalen Kontingente nur begrenzt für die Führung der Operationen unterstellt wurden und die Operationspläne zum Einsatz der Truppen der nationalen Zustimmung unterlagen.

Auch bei einer großzügigen Auslegung läßt sich ein Einsatzraum, der den halben Globus umfaßt - so der Beschluß des Bundeskabinetts, Grundlage der bevorstehenden Parlamentsdebatte - nicht aus dem Artikel 6 des Atlantikvertrages ableiten. Eine Rechtfertigung des Handelns kann sich folglich insgesamt nicht auf Bündnisgrundlagen stützen.

Nun zieht die Bundesregierung als Rechtsgrundlage für den Einsatz zusätzlich die UN-Resolution 1368 und den Artikel 51 der UN-Charta (Recht auf Selbstverteidigung) heran. Völkerrechtler bezweifeln jedoch, ob die Resolution 1368 es erlaubt, das Taliban-Regime mit der Terrororganisation Bin Ladens gleichzusetzen. Die nach der Zusammensetzung des Bundeswehrkontingents wesentliche Zielsetzung der Bundesregierung für den Einsatz lautet: „ … sowie Dritte dauerhaft von der Unterstützung terroristischer Aktivitäten abzuhalten“. Auch bei dieser Generalklausel sind starke Zweifel angebracht, ob sie durch das Selbstverteidigungsrecht abgedeckt sind. Die Angriffshandlungen gegen Afghanistan haben ein Beispiel gesetzt, das ohne große Phantasie auf Dritte übertragen werden kann. Wer diese Bedenken als nebensächlich abtut („außergewöhnliche Lagen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen“), sollte sich vor Augen führen, was auf Deutschlands Straßen ablaufen würde, wären die gegenwärtigen Regierungsparteien noch in der Opposition.

Die Frage nach dem Erfolg der Aktionen gegen Afghanistan ist eng mit der Rechtsproblematik verbunden. Denn nur bei einem ersten Schritt zur Zerschlagung des internationalen Terrorismus wären außergewöhnliche Maßnahmen, die zu angeblich unvermeidbaren „Begleitschäden“ bei der afghanischen Bevölkerung führen - vielleicht - zu rechtfertigen.

US-Verteidigungsminister Rumsfeld hat vor einigen Tagen zugegeben, Osama bin Laden wäre sehr wahrscheinlich gar nicht mehr aufzufinden. Westliche Staaten sind mit ihrem Streitkräftedispositiv überhaupt nicht in der Lage, den Kampf gegen den Terrorismus zu führen. So werden die Taliban als Hilfsziel genommen, weil sich nur so ein „Erfolg“ mit herkömmlichen Streitkräften erzielen läßt. Fatal wird sich dabei nicht nur die Doktrin des Westens auswirken, durch eine Maximierung der Schäden beim Gegner eine Minimierung eigener Verluste anzustreben, sondern auch die Abstützung auf das korrupte und gleich fundamentalistische System der Nordallianz. Die USA waren in der Wahl ihrer Hilfstruppen noch nie zimperlich, wie die Beispiele der korrupten Diktaturen von Batista (Kuba) und Diem (Nordvietnam) während des Kalten Krieges zeigen.

Durch diplomatische Schritte hat sich die Bundesregierung bemüht, Äußerungen Donald Rumsfelds zurechtzurücken, die USA hätten endlich den immer dringlicher werdenden Hilfsangeboten der Regierung Schröder nachgegeben. Sucht man nach Beweggründen für diese Hilfsangebote und den Drang, notfalls auch mit unzureichenden Mitteln „dabei zu sein”, stößt man angesichts der Weigerung der Bundesregierung bis vor wenigen Wochen, die Streitkräfte finanziell angemessen auszustatten, zwangsläufig auf Begriffe aus dem Bereich der Psychiatrie. Einer der wenigstens einigermaßen rationellen Auslöser könnte sein, daß ein Wettlauf zwischen den Bündnispartnern der USA eingesetzt hat, bei der sich Schröder und Fischer von niemandem in „Bündnissolidarität“ übertreffen lassen möchten. Im Falle des Falles will man mit auf dem Podest der Sieger stehen.

Die Amerikaner legen ohne Beteiligung ihrer Bündnispartner die politischen und militärischen Zwecke ihres Militäreinsatzes fest, sie bestimmen den Kräfte-Einsatz und die Art der Durchführung, sie üben das Monopol in der Verfügbarkeit und Weitergabe über die Informationen aus, die in der Region oder weltweit die Grundlage für das Handeln sind. Ohne eigene Mitspracherechte erfolgt der Einsatz der Bundeswehr als eine Hilfstruppe der Amerikaner.

Fragt man sich, warum die USA bei ihren eigenen Kapazitäten solche Hilfsangebote überhaupt akzeptieren, dann mag es ihr Interesse sein, möglichst viele Staaten des Westens mit ins Boot zu nehmen, um bei einem Scheitern der Strategie die Verantwortung dafür auf viele Schultern zu verteilen. 

 

Klaus Hammel, Oberst a. D., zuletzt Chef des Stabes Wehrbereichskommando IV/1. Gebirgsdivision


 
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