© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/01 16. November 2001

 
Pankraz,
M. Houellebecq und der Harem als Swingerklub

Der französische Schriftsteller und Infernal-Erotiker Michel Houellebecq hat vorgeschlagen, man solle statt Bomben Miniröcke und weibliche Dessous, Seidenstrümpfe und Lippenstifte auf Afghanistan schmeißen. Dann würden den von den Taliban gefangengesetzten Frauen schlagartig die Augen aufgehen über die modernen Möglichkeiten des Luxus und der Moden, von denen man sie bisher gewaltsam ferngehalten habe, sie würden ganz wild werden auf diese Sächelchen und würden ihretwegen eine Revolution anzetteln und ihre talibanischen Peiniger davonjagen, ihnen zumindest den Beischlaf verweigern wie einst Lysistrata den griechischen Hopliten.

Wenn es doch so einfach wäre! Wahrscheinlich hat Houellebecq an Ninotschka gedacht, die stramme bolschewikische Politkommissarin aus dem Film von Ernst Lubitsch, die während eines Auslandsauftrags den Verführungen des kapitalistischen Liebeslebens erliegt und ihren sozialistischen Ideen untreu wird. Aber erstens ist der Islam keine bloße Idee, und zweitens sind die islamischen Frauen keine bolschewikische Ninotschka, die sich erst politisch wichtig macht und bei der dann einige Seidenstrümpfe und aristokratische Komplimente genügen, um sie dauerhaft aus der Lebensbahn zu werfen.

Das westliche Klischee zeigt die islamische Frau als ein seit 1.300 Jahren permanent unterdrücktes Wesen, der Willkür der Männer ausgeliefert, bürgerlich rechtlos, jederzeit aus der Ehe verstoßbar, aus der Öffentlichkeit ausgeschlossen, im Falle des Ehebruchs mit allerschwersten, grausamsten Sanktionen bedroht. Angesichts dieses Klischees fragt man sich, weshalb sich die Frauen ein solches Höllenleben jahrhundertelang gefallen ließen, weshalb es im Islam nie auch nur den Ansatz einer weiblichen „Befreiungsbewegung“ gegeben hat, keine Beginen, keine „Hexen“, keine Sufragetten, keine Feministinnen, nichts.

Es gab auch nicht, wie im Westen doch immer wieder, Epochen, da Frauen mitten in der Männerwelt mächtig und prägend wurden, keine gewaltigen Kaiserinnen und Königinnen, keine einflußreichen, öffentlich prunkenden Mätressen, keine Wissenschaftlerinnen wie Hildegard von Bingen, keine Schriftstellerinnen wie das Fräulein von Scudery. Es fehlte offenbar jeder Impetus, „nach draußen“ zu gehen, den Männern auf dem Feld der Öffentlichkeit Konkurrenz zu machen. So etwas läßt sich nicht mit naturgegebener oder anerzogener femininer Inferiorität erklären, es muß vielmehr etwas da sein, das sich als Äquivalent für den Verzicht auf Öffentlichkeit anbietet und das von den Frauen dem öffentlichen Auftritt bewußt vorgezogen wird.

Für Nietzsche, der sich intensiv damit beschäftigt hat, hatte besagtes Äquivalent zwei Namen: erstens den Reiz der indirekten Herrschaft, zweitens den Reiz des Geheimnisses überhaupt. Indirekte Herrschaft ist effektvoller und fruchtbringender als direkte. Sie exponiert sich nicht, sie läuft nicht Gefahr, sich zu blamieren, sie kann sich jederzeit auf sich selbst zurückziehen. Der nach außen Macht ausübende Mann holt sich, so glaubt er, nur „Rat“ im Harem oder abends im Bett neben seiner Frau liegend, aber in Wirklichkeit wird er von ihr gegängelt und dominiert, klug oder schlau am Band der Zuneigung und der Liebe und der heimeligen Gewohnheiten entlanggeführt.

Außerdem ist die Frau als Mutter der Kinder und Hüterin ihrer frühen Jahre die primäre Prägeinstanz eines jeden, weiblichen wie männlichen Lebens. Was sie vermittelt, das kann keine sekundäre Sozialisation in Internaten und Kadettenanstalten je wieder völlig auslöschen, das bleibt und verleiht auch dem Staat und der Öffentlichkeit die wesentlichen Züge. Es ist „Herrschaft des Grundsteins“, auf der alles übrige ruht und auf die es sich bezieht. Kluge Frauen wissen darum und wachen eifersüchtig-bedachtsam über die volle Ausübung ihrer Mutterrolle.

Fast noch eifersüchtiger aber wachen sie, wenn sie wirklich klug sind, über das, was Shakespeare „maiden virtue“ nennt, ihre Tugend, ihre Unerreichbarkeit, bzw. den hohen, enormen Preis, der entrichtet werden muß, wenn man ihnen einigermaßen nahe treten will. Sie machen ein Geheimnis aus sich, das viele zu entdecken begehren und an dessen Pforte nur wenige, im Grunde nur einer, rühren dürfen.

Das ist ein riskantes Spiel mit hohen Einsätzen, man kann dabei leicht zum Opfer roher Gewalt, ungerechter Gesetze oder auch schrecklicher Vereinsamung werden. Doch allem Anschein nach ist es ein für die Seele sehr lohnendes Spiel, das man öffentlichen Augenblickstriumphen im Stil westlicher Schönheitswettbewerbe vorzieht. Die Entscheidung darüber, wo sich Frauen besser „selbstverwirklichen“ können, in der Deckung des Hauses oder auf dem öffentlichen Markt, als „Besitz“ eines Familienclans oder als öffentliche Stripteasefigur - diese Entscheidung steht durchaus noch aus. Nicht einmal Houellebecqs Spitzenhöschenbomben über Afghanistan würden darüber Klarheit bringen.

In der Türkei ist Pankraz äußerst klugen und aufgeweckten, zudem sehr hübschen Studentinnen begegnet, die das Kopftuch nicht abgelegt, sondern im Gegenteil erst im Laufe und aufgrund ihres Studiums angelegt hatten. Es war, wie sie glaubhaft versicherten, ein Akt der Freiwilligkeit und der Einsicht. Woraus man schließen kann, daß nur äußerst ungebildete, eben von den selber tumben Taliban künstlich von jeglicher Bildung ferngehaltene Mädchen auf das Dessous-Bombardement reagieren würden.

Und was für die Dessous gilt, das gilt möglicherweise auch für das ganze „Frauenbild“, das sich westliche Knallköpfe wie Houellebecq ausdenken. Sie schließen von sich selbst auf andere, sie denken, ganz Asien müsse so aussehen wie ein thailändischer Swingerklub für Westreisende in Bangkok - und wundern sich dann und werden aggressiv, wenn sich dieser Eindruck als Illusion erweist. Dafür kann Asien nichts, nicht einmal die Taliban können etwas dafür.


 
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