© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/01 23. November 2001

 
Der Coup des Kanzlers
Schröders einziges Ziel ist Machterhalt
Fritz Schenk

Für Schröder war es ein Pyrrhussieg, für Deutschland eine außenpolitische Niederlage: Die Abstimmungsvorlage und das Abstimmungsergebnis über die Vertrauensfrage vom vergangenen Freitag. Mit eben zwei Stimmen über der erforderlichen Mehrheit siegte der Kanzler bei einer Frage, die im Interesse des deutschen Ansehens im westlichen Bündnis eine breite Zustimmung erfordert und bei staatsmännischem Weitblick des Kanzlers auch erhalten hätte, nämlich die nach dem Grundgesetz erforderliche Zustimmung des Deutschen Bundestages zum Einsatz deutscher Streitkräfte außerhalb des Nato-Vertragsgebietes.

Nur dies zur Abstimmung gebracht, hätte allerdings verdeutlicht, daß dieser Kanzler bei Entscheidungen von übergeordnetem Staatsinteresse weder in seiner Partei, aber erst recht nicht in der Koalition mit den Grünen, über die erforderliche Mehrheit im Deutschen Bundestag verfügt. Da Schröder aber eben kein Staatsmann, sondern reiner Parteipolitiker ist, suchte er den Umweg über die Vertrauensfrage und schreckte dabei durch Nötigung einzelner Abgeordneter auch nicht vor Beschädigung der verfassungsrechtlichen Unabhängigkeit der nur ihrem Gewissen verantwortlichen Abgeordneten zurück. Denn daß die parlamentarische Opposition diesem Kanzler nicht grundsätzlich das Vertrauen aussprechen kann und konnte, hat Schröder natürlich gewußt. Daher eben die roßtäuscherische Verquickung der Vertrauensfrage mit der Entscheidung über die Militäreinsätze der Bundeswehr. Somit ist er leichtfertig ein Deutschland schädigendes Hasardeurspiel eingegangen.

Als der Kanzler diesen Weg eingeschlagen hatte, standen die Verhältnisse in Afghanistan noch ganz anders als zur Zeit der Abstimmung am vergangenen Freitag. Gesetzt den Fall, die Erfolge der afghanischen Nordallianz (die ja eindeutig den von den linken Abweichlern im Regierungslager kritisierten amerikanischen Militärschlägen zuzuschreiben waren) wären noch nicht eingetreten gewesen: Schröder hätte eine eklatante Niederlage erlitten, der Beschluß über die Militäreinsätze wäre gescheitert. Dieses Risiko überhaupt eingegangen zu sein und die Disziplinierung seiner Partei und des grünen Koalitionspartners über die deutschen Staatsinteressen gestellt zu haben, disqualifiziert den Kanzler und erhöht die Verantwortung der parlamentarischen Opposition, einen Machtwechsel so bald wie möglich herbeizuführen.

Doch da offenbart sich das zweite Dilemma der deutschen Gegenwart: Auf absehbare Zeit traut kein ernsthafter Beobachter der Union zu, daß sie einen Regierungswechsel herbeiführen könnte. Wäre nämlich der Fall eingetreten, daß der Kanzler nicht das Vertrauen seiner Koalition (wie knapp auch immer) erhalten hätte, die Union hätte diese Regierung nicht durch ein konstruktives Mißtrauensvotum ablösen können. Wahrscheinlich wäre es zu vorgezogenen Neuwahlen gekommen, und ebenso wahrscheinlich ist, daß Schröder mit dieser Variante sogar geliebäugelt hat. Die Grünen sind ihm nur noch lästig. Die Gemeinsamkeiten mit ihnen waren aus der Sicht Schröders ohnehin nicht allzu groß und sind längst aufgebraucht. Doch die Union plagt sich nicht nur mit halbfertigen Programmen, sondern vor allem mit der leidigen „K“-Frage: Mit welchem Spitzenkandidaten (und ganz besonders geht es natürlich auch um die mögliche Kandidatin) will sie gegen Schröder ins Rennen gehen, wer soll und kann es sein, der dem Kanzler „das Fürchten“ beizubringen in der Lage ist, wie es die CDU-Vorsitzende Merkel nach der Abstimmungsfarce vom vergangenen Freitag „angedroht“ hat? Vor dieser Union fürchtet sich derzeit niemand, am wenigsten der Kanzler.

Gerhard Schröder ist nämlich schon einen Schritt weiter und rüstet die SPD für den Wahlkampf zum nächsten Bundestag auf. Für ihn kann dieser praktisch jederzeit beginnen. Dabei weisen nur wenige Zeitungen - aber in keiner Weise das Fernsehen - darauf hin, daß diese Regierung nicht eines der von ihr propagierten Probleme gelöst hat. Schröder wollte sich vor allem an der Verringerung der Arbeitslosigkeit messen lassen - sie ist heute höher als bei seiner Regierungsübernahme. Deutschland ist europäisches Schlußlicht bei der Wirtschaftsentwicklung. Die Steuer- und Abgabenlast der vollbeschäftigten Durchschnittsbürger ist gestiegen, wie die Beiträge und Zuzahlungen im Gesundheitswesen. Bleiben jene Reformen, die vor allem Leib- und Magenkost der Grünen waren: gleichgeschlechtliche Partnerschaften, Ökosteuern, Asyl- und Ausländerrecht, nicht zu vergessen der Atomausstieg, der sich immer mehr als Augenwischerei entpuppt, mehr Kosten als Nutzen bringt und international gesehen an Deutschland vorbei läuft. Die Liste müßte verlängert werden durch all die Punkte, die letztlich den Unmut in der Wahlbevölkerung auslöste, der zu den ständig abnehmenden Wahlbeteiligungen oder dazu geführt hat, daß Ergebnisse wie das Anwachsen der PDS in Berlin und den neuen Ländern oder der Blitzstart von Ronald Schill in Hamburg möglich wurden. Den Kanzler und seine Partei hat das bisher jedenfalls noch kaum aus der Fassung gebracht. FRITZ SCHENK

 

Fritz Schenk, war von 1971 bis 1988 Co-Moderator, zuletzt Redaktionsleiter des ZDF-Magazins, danach bis zu seiner Pensionierung 1993 Chef vom Dienst der Chefredaktion des ZDF.


 
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