© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/01 23. November 2001

 
Die Behauptung der eigenen Identität
Sprachenvielfalt: In Berlin fand ein Kongreß autochthoner Minderheiten in Deutschland statt
Matthias Bäkermann

Das Jahr 2001 wurde durch die Initiative des Europarates und der Europäischen Union zum „Europäischen Jahr der Sprachen“ ausgerufen. Damit soll für das Sprachenlernen und die Vielsprachigkeit in Europa geworben werden. Vor diesem Hintergrund wurde am 16. und 17. November in den Berliner Landesvertretungen von Niedersachsen und Schleswig-Holstein zum Kongreß „Sprachenvielfalt und Demokratie in Deutschland“ aufgerufen.

Ziel des Kongresses, der schätzungsweise 120 bis 150 Teilnehmer umfaßte, war die Information über die Regional- und Minderheitensprachen in Deutschland und eine Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Sprachpolitik. Besonders die Aspekte der autochthonen Gruppen der Sorben, der Nord- und Saterlandfriesen, der dänischen Südschleswiger sowie der Sinti und Roma sollten näher betrachtet werden. Dabei wurden die unterschiedlichen Schwierigkeiten deutlich, mit denen die jeweiligen Gruppen in der Praxis konfrontiert sind.

Vorab wurde in drei Vorträgen die theoretische Standortbestimmung vorgenommen. Els Oksaar, estnische Sprachwissenschaftlerin an der Universität Hamburg, schilderte die Vorzüge der Sprachenvielfalt aus wissenschaftlicher Sicht. Die politische Beziehung der Demokratie zur Mehrsprachigkeit wurde aus europäischer Sicht von Philip Blair, Direktor der Zusammenarbeit für Kommunale und Regionale Demokratie beim Europarat, erläutert. Dabei stellte Blair die grundsätzliche Problematik dar, daß Minoritäten durch das Prinzip der Mehrheitsentscheidungen per se benachteiligt seien, außer daß die Akzeptanz seitens der Majorität im Gesellschaftsvertrag manifestiert würde. Gerade in dem föderalen Prinzip Deutschlands sei die Voraussetzung dafür eher gegeben als beispielsweise im zentralistisch gegliederten Frankreich, daß zudem den citoyen grundsätzlich als Franzosen definierte. In diesem kritikwürdigen Kontext sei die in Frankreich unzulässige Formulierung des korsischen Volkes zu verstehen. Skeptisch stand Blair auch der kulturellen Selbstverwaltung gegenüber, die der Minderheit die Mittel der Gesamtheit vorenthalten würde.

Der Betrachtung der Sprachenvielfalt aus deutscher Sicht nahm sich Stefan Oeter an, Staatsrechtler an der Universität Hamburg und Mitglied des Expertenkomitees für die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen des Europarates. In einer Reflexion der gegenwärtigen deutschen Minderheitenpolitik sprach Oeter in bissiger, teilweise polemischer Art und Weise die „Arroganz der deutschen Leitkultur“ an, mit der ein Zuviel an Integration gerade der Autochthonen eingefordert würde. Allerdings wies Oeter auch auf den Einfluß hin, der außerhalb der Politik den Bestand kleiner Sprachgruppen gefährde. „Die ideale Situation ist irreal, in der die Sprachgruppe wie in einem Reservat vegetiere, allen Einflüssen der Medien entzogen und dem Verbot einer Heirat mit einem Außenstehenden unterworfen.“ Als besonders wichtig für den Spracherhalt sei laut Oeter der langjährige Schulunterricht der Minderheitensprache bis zur akademischen Lehrerausbildung, um die Sprache nicht langfristig zu einem „Küchenidiom“ verkommen zu lassen, welche den Gebrauch bei komplexeren Darstellungen nicht mehr zulasse. Diesen Anspruch weitete Oeter am Schluß selbst auf die Zuwanderer, als nicht autochthone Minderheit, aus.

Abschließend wurde von den jeweiligen Angehörigen der Minderheiten ihre Situation vorgestellt. Der Vertreter der Sorben stellte das Witaj-Projekt vor, daß, auf dem Prinzip der Immersion beruhend, den frühest möglichen Spracherwerb propagiert. Die Crostwitzer Schulschließung (JF berichtete) stehe dieser Strategie allerdings entgegen.

Der Bestand der Saterfriesen, der kleinsten autochthonen Minderheit, ist langfristig in der Existenz gefährdet. Die nur 2.000 saterfriesisch Sprechenden besitzen - außer der schulischen Sprachvermittlung auf Basis von Arbeitsgemeinschaften - keine vorhandenen Erziehungsstrukturen. Durch die Ansiedlung von einigen tausend Aussiedlern wird die eigene Situation zudem noch durch diesen zusätzlichen Integrationprozeß erschwert. Bei den Sinti gibt es die Praxis, daß ihre rein kryptische Sprache nur oral weitergegeben wird und nicht niedergeschrieben existiert. Damit ist die Kontrolle über den Spracherhalt allein bei ihnen selbst angelegt.

Der Moderator dieses letzten Teiles, der Kieler Philologe Henning Wode, verstand es leider nicht, den Kongreß zielorientiert zu beenden und ließ zu, daß sich die Thematik zuletzt durch die Beschäftigung mit Lappalien zerfaserte. Beispielsweise wurde das existenzielle Problem der alltäglichen Dislozierung der Minderheiten durch arbeitsmarktpolitische Zwänge komplett ausgeklammert. Dabei sind die anwesenden Minderheiten besonders betroffen, da sie fast ausnahmslos in strukturschwachen Regionen beheimatet sind. 


 
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