© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/01 23. November 2001

 
Wege des Trauerns
Kino: „Das Zimmer meines Sohnes“ von Nanni Moretti
Ellen Kositza

Heimische Szenen wie aus dem Bilderbuch: Der Vater ist erfolgreicher Psychoanalytiker mit großem Familiensinn, die Mutter arbeitet in einem Verlag und ist ihren beiden halbwüchsigen Kindern eine verständnisvolle Freundin. Sohn Andrea ist ein liebenswerter Taugenichts, Irene (sehr überzeugend: Jasmine Trinca) eine begeisterte Basketballspielerin, beide frei von Pubertätsmacken: Die Familie als Hort der Wärme und der Liebe, ein in seiner trauten Geborgenheit beinahe unwirkliches Bild voller Lachen, Umarmungen und innigen Gesprächen.

Diese anheimelnde Szenerie, in ihrer glückseligen Harmonie nur durchbrochen von den psychopathischen Selbstreferaten der kranken Existenzen auf Papas Couch, bestimmt die erste Filmhälfte und wird vom denkbar schwersten Schicksalsschlag zerrissen: Andrea ertrinkt beim Tauchen in einer Grotte. Das Leben der Hinterbliebenen gerät dadurch vollkommen aus den Fugen, so wie die Liebe sie einst einte, läßt die Trauer Eltern und Schwester nun vereinzeln. Die Familienbande zerspringen in sich, und auch nach außen geraten die drei in eisige Isolation. Weil ihn die egomanischen Neurosen seiner Patienten anwidern, sieht sich der Analytiker nicht mehr in der Lage, seinen Beruf auszuüben, seine Frau wiederum fühlt sich in ihrer Trauer alleingelassen, und die umgängliche Irene bricht in Aggressionen aus.

Wenige Wochen nach dem Tod des Sohnes kommt ein Brief für ihn an, es ist ein Liebesbrief von einem Mädchen, Arianna, das Andrea ohne das Wissen seiner Eltern während eines Ferienlagers kennengelernt hatte. Die Mutter benachrichtigt die ahnungslose Arianna vom Tod des Freundes. Andreas geheime Liebe lehnt jedoch ab, von der trauernden Familie besucht zu werden. Bald steht das Mädchen jedoch unverhofft vor der Tür, und eine Möglichkeit zur Heilung des familiären Seelenschmerzes tut sich auf.

„La stanza del filgio“ erhielt in Cannes die begehrte „Goldene Palme“, daneben den italienischen Filmpreis „David di Donatello“ als dreifache Auszeichnung: prämiert wurde damit der beste Film 2001, die beste Hauptdarstellerin und die beste Musik. Zuletzt durfte der vielgelobte Film im Oktober die österreichische Viennale eröffnen.

Regisseur Moretti, der hier zugleich den Familienvater spielt, ist in der italienischen Filmbranche bekannt als eitler wie leichtfüßiger Selbstdarsteller. Er betreibt ein eigenes Kino in Rom, besitzt eine Produktionsfirma und lobt regelmäßig einen Nachwuchspreis für Jungfilmer aus. Als ausgewiesener Linker und einer ihrer italienischen Wortführer drehte er zuletzt einen Anti-Berlusconi-Spot, in früheren Filmen wie „Liebes Tagebuch“ (1994) spielte er sich gerne selbst.

Selbstgefälligkeiten wie Politik bleiben außen vor in seinem neuen Film, diesem rührenden Drama um die Wege des Trauerns. Das ist fein und dem Thema wohl angemessen. Fast wähnt man sich pietätlos, wenn man während der stockenden Szenen, die bei aller Intimität anständige Distanz wahren, hin und wieder auf die Uhr schaut. Ein feiner Film für kühle Herbstabende, an denen man geneigt sein mag, sich langmütig fremden Emotionen hinzugeben.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen