© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/01 23. November 2001

 
Kein Krieg für den „Schweinetrog“ Berlin
Rolf Steininger beschreibt die wohlwollende Akzeptanz von Adenauer und den Westmächten zum Mauerbau
Rolf Helfert

Ich bin ein Berliner“, lautete der berühmte, oft wiederholte Spruch John F. Kennedys, den der amerikanische Präsident im Juni 1963 verkündete. Millionen dankbarer, aber auch naiver Deutscher zollen den Amerikanern dafür bis heute ihren Dank. Eigentlich hätte Kennedy sa­gen müssen: „Ich bin ein West-Berliner“. So lautet zumindest die Kernthese Rolf Steiningers, Geschichtsprofessor und Leiter des Institutes für Zeitgeschichte an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, der über die Berlinkrise von 1958 bis 1963 schreibt, an deren Ende Deutschland endgültig gespalten war. Bei etlichen Deutschen dürfte, sofern sie Steininger lesen, Bitternis und Ernüchterung entstehen.

Die Berlinkrise, welche die Gefahr eines Atomkrieges barg, blieb untrennbar mit der deut­schen Frage insgesamt verknüpft. Steininger belegt eindrucksvoll, daß die Westmächte letzt­lich nur den Status Quo zu erhalten beabsichtigten. Die deutsche Teilung nahmen sie äußerst gelassen hin: Vor allem Briten und Franzosen hielten den Mauerbau für den Endpunkt des Prozesses der deutschen Spaltung, die ihnen keineswegs ungelegen kam.

Seit Anfang 1961, als Kennedy das höchste Amt der USA erhielt, folgte Washington sukzes­siv britischen Vorgaben. West-Berlin erschien dem amerikanischen Präsidenten im Grunde lästig. Deutsche Politiker, meinte er, sollten „ihre Schnauzen ruhig in den Schweinetrog Berlin stecken“. Folgerichtig glaubte der erste Mann der freien Welt, daß es „einfach idiotisch“ sei, im Falle eines Mauerbaues Krieg zu führen, da „wir doch alle wissen, daß Deutschland wahrscheinlich nie mehr wiedervereinigt wird!“ Kennedy war auch bereit, einen Friedensvertrag zwischen Moskau und Ost-Berlin zu tolerieren, sofern das Recht der Westmächte, freien Zugang nach Berlin zu erhalten, nicht Schaden litt. Schon jetzt erwogen westliche Diplomaten, die DDR anzuerkennen.

Der vierte im Bunde hieß Konrad Adenauer. Nichts verabscheute der katholische Rheinlän­der so sehr wie eine etwaige „Neutralisierung“ Deutschlands, worin Adenauer das Böse schlechthin sah. Die Amerikaner wußten, daß ihr greiser Bundesgenosse „bis zum letzten Atemzug für die weitere Integration seiner Republik in die atlantische Gemeinschaft kämpft“. Chruschtschow hatte Adenauer längst duchschaut; dessen öffentliche Beschwörung der deut­schen Einheit sei nur „Show“; eigentlich wolle Adenauer die Wiedervereinigung nicht. Die britische Regierung beurteilte den westdeutschen Kanzler nicht anders. Adenauer habe „nie­mals an die Wiedervereinigung geglaubt“, weil ein gesamtdeutscher Staat zu viele Probleme hervorrufe. Besonders erzürne Adenauer „daß die SPD dort dann eine Mehrheit hat“. Am Tage des Mauerbaues vermochte Adenauer keinen Grund zu erkennen, sich künstlich aufzuregen. Ebenso stumpf reagierten die Westmächte. Sie hatten den Sowjets klar gemacht, daß sie militärische Gewalt anwendeten und notfalls einen Krieg riskierten, falls ihnen Moskau den Zugang nach West-Berlin verwehrte. Aber der amerikanische Präsident hatte schon frühzeitig betont, daß er nur für West-Berlin eintrete.

Selbstverständlich hätte Kennedy gegen die Mauer gewaltsam vorgehen können, zumal Washington in nuklearer Hinsicht Moskau weit überlegen war. Solches vermieden Kennedy, McMillan und de Gaulle nicht nur deshalb, weil sie diesen bewaffneten Konflikt fürchteten. Moskau den Mauerbau zu untersagen, zog die unliebsame Konsequenz nach sich, Deutschlands Einheit herstellen zu müssen. Hingegen bedeutete es für die USA einen enormen Gesichtsverlust, West-Berlin preiszugeben. Bei vielen Deutschen aber, die am 13. August überrascht wurden, sank schlagartig das Ver­trauen in den Westen. Damals fiel, schreibt Steininger, ein Vorhang, „hinter dem die Bühne leer war“. Die Westmächte, am meisten wohl Großbritannien, hatten die genarrten Deutschen erfolgreich hinter das Licht geführt. Seit 1962/63 versandete die Berlinfrage im Zeichen allmählicher Entspannungspolitik.

Steininger hat nicht nur zahlreiche Akten gesichtet. Es gelang ihm auch, verästelte, bisweilen widerspruchsvolle Spuren angelsächsischer Diplomatie zu erforschen, ohne je die Übersicht zu verlieren. Ein Standardwerk liegt vor, das die heutige und künftige Diskussion sicher be­einflussen wird.

Rolf Steininger: Der Mauerbau. Die Westmächte und Adenauer in der Berlinkrise 1958-1963. Olzog Verlag, München 2001, 411 Seiten, 36 Mark


 
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