© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/01 30. November 2001

 
Der Wunsch nach einem nationalen Diskurs
Politische Bildung: Das Institut für Staatspolitik veranstaltete sein 3. Berliner Kolleg
Wolfgang Saur

Ins noble Ambiente eines festlich gestimmten Klassizismus hatte am vergangenen Samstag das Institut für Staatspolitik zu seinem 3. Berliner Kolleg geladen. Unter den Augen des olympischen Goethe fand dort in angeregter Atmosphäre die Tagung im Beisein von 60 Gästen statt. Für die konzeptionell souveräne Leitung und umsichtige Moderation sorgten Karlheinz Weißmann und Götz Kubitschek. Beide wurden unterstützt durch den ehemaligen Generalbundesanwalt Alexander von Stahl und den CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann. Gemeinsam mit Kubitschek stellten diese die ersten Studien einer ambitionierten wissenschaftlichen Reihe vor, die in den Projektgruppen des Instituts erarbeitet wird. Diese auch formal ansprechend gestalteten Hefte beziehen sich auf die Themenfelder Migration, Kampagne gegen Rechts und nationale Identität. Am Samstag wurden sie in Gestalt beziehungsreicher Referate präsentiert.

Alexander von Stahl begann mit dem „Aufstand der Anständigen. Hintergründe und Erklärungsansätze“: Die lesenswerte Studie widmet sich den aktuellen Kampagnen und rekapituliert in sorgfältigen Beschreibungen Ereignisse wie die Walser-Bubis-Debatte (1998), den Streit um Sebnitz oder das Düsseldorfer Bombenattentat im Juli 2000. Diese Vorgänge verknüpft sie mit langfristigen Strukturveränderungen, etwa den Antirassismus-Initiativen der EU, arbeitet eine Fülle von Material ein und gewinnt aus dieser analytischen Anstrengung ein Teilprofil unserer Gesellschaft, die uns hier eines ihrer kältesten Gesichter, ihrer zynischsten Aspekte zuwendet. Im „nachideologischen Zeitalter“ erleben wir die Ideologieproduktion in vollem Gang.

Es wird ersichtlich, daß die „gelenkte Empörung“, die Dämonisierung von „Rechts“ als dem „Bösen schlechthin“ auf eine „Art negativer Sinnstiftung in einer Gesellschaft“ abzielt, welche die „Bestände des Gemeinsinns verbraucht hat“. In unserer nur mehr funktionell integrierten Technokratie regieren „Symptome des utilitaristischen Kalküls, der Status-Konkurrenz und der strategischen Rationalität“ (Dubiel). Ein solches System vermag die Menschen emotional nicht zu befriedigen und keine Sinndimension freizusetzen. Deshalb webt man neuerdings so gerne am Schleier einer „Zivilreligion“, die das Vakuum überdecken und die traditionellen Religionen beerben soll.

Die Arbeitsgruppe beobachtet die „Durchsetzung eines neuen Werteparadigmas“, qua multiethnische Gesellschaft. Diese radikalliberale Utopie bekämpft nicht nur die Idee einer „homogenen Gemeinschaft“, sondern stigmatisiert im Entgrenzungsrausch das anthropologische Grundbedürfnis nach Kontur und Strukturierung überhaupt. Hinter den angeblich emanzipatorischen Initiativen erscheint ein nihilistischer Furor, der auf den Punkt positiver Selbstbestimmung überhaupt abzielt.

Holocaust-Konferenz in Stockholm als Markstein

Unheimlich ist es zu sehen, wie sich Gruppen, Institutionen und Bestrebungen, national und international, zu einem Syndrom vernetzen und hinter der schimmernden Wehr ihrer hypermoralischen Umtriebe das nackte Interessenkalkül hervortritt. Ein wichtiger Markstein dieser Aktivitäten war die Stockholmer Holocaust-Konferenz im Januar 2000, von der auch die Ächtung Österreichs ausgehen sollte. Die dort verabschiedete Erklärung beurteilt das Institut als „Gründungsurkunde einer politisch korrekten antifaschistischen Internationale“. Carl Schmitt sagt, Elite sind die, deren Soziologie nicht geschrieben werden darf. Es sei zum Ruhm des Instituts gesagt, daß es sich auf dieses unbehagliche Geschäft ein Stück weit eingelassen hat und einige Faktoren freilegt, die an der Umwandlung unseres Landes in einen „antifaschistischen Ideologiestaat“ (Hornung) beteiligt sind, wozu von Stahl als erfahrener Jurist manches Detail beisteuern konnte. In seinen Ausführungen (über Kriminalitätsstatistik, Kriterienkataloge, Medienverhalten u. a. m.) wurde vieles deutlich von jener „gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit“, die das, was sie für „gegebene Realität“ hält, erst erzeugt.

Eine interessante Erkenntnis teilte im Anschluß Götz Kubitschek mit: Das Internet fördert nicht die globale Integration, sondern vielmehr umgekehrt Segregationstendenzen. Die weltweiten Kontaktmöglichkeiten erleichtern die Isolierung von der Umwelt und das virtuelle Zusammengehen mit dem Entfernten. Faßt man diesen Befund allgemeiner, ergibt sich die überraschende Einsicht, daß „gerade diese technologischen Fortschritte ethnischen Minderheiten [ermöglichen], den Kontakt zur eigenen Volks- und Kulturgruppe nachhaltiger zu pflegen als dies früher möglich war. Dies wirkt sich aber als integrationsfeindlicher Faktor aus.“ Türkische Jugendliche in Deutschland konsumieren zum Beispiel fast ausschließlich türkische TV-Programme und werden dadurch intensiv fremdsozialisiert, was mit einer beabsichtigten Integration kaum harmoniert. Tatsächlich bildet ein zentrales Problemfeld der Studie „Zuwanderung nach Deutschland. Chancen - Mythen - Risiken“ die Frage nach der Kompatibilität von Wertvorstellungen und Mentalitäten. Scharfsinnig und faktenreich wurden die „Konfliktpotentiale“ umrissen (Massenzuwanderung, Ghettoisierung, Polarisierung und Mobilisierung), dann zwei „Mythen“ der Zuwanderung kritisch analysiert („Verjüngung“ und „Bereicherung“), die Denkfehler der multikulturalistischen Integrationsideologie und schließlich die Modellvorstellungen des social engineering untersucht. Zum Sperrfeuer des Multikulti-Bereicherungsgewäschs wäre anzumerken, daß es weniger eine intellektuelle Konzeption bezeichnet als banalerweise ein Konsumparadies verheißt, vielleicht typisch für eine Gesellschaft, in der Kultur auf den subjektiven Wellness-Faktor geschrumpft ist.

Folgte abschließend die „Nationale Identität“, die Frage aller Fragen, vorgetragen von Martin Hohmann. Bezeichnend eine Anekdote, die Karlheinz Weißmann vom Besuch des russischen Präsidenten in Berlin erzählte. Putin versuchte seine deutschen Gesprächspartner bei Tisch in einen freundschaftlichen Dialog über die tiefe Wesensverwandtschaft beider Länder zu ziehen. Wer mit dem Denken der Slawophilen und russischen Religionsphilosophen vertraut ist, wird diese Einschätzung teilen. Nicht so unsere Politiker: Als Ignoranten blieben sie einfach stumm. Was Wunder, daß politische Initiativen wie die „Leitkultur“ scheitern. Wer von ihnen wollte diese Begriffe auch füllen? Zumal in einer Situation, in der es linker Sprachpolitik gelungen ist, alle Aspekte positiver Nationalität unter Rechtsverdacht zu bringen und die „einpolige Republik“ herzustellen: Man kann sich nur noch auf den linken Universalismus ausrichten, alles andere verfällt dem Reich der Dämonen. So wird auch die CDU, zumal über den Diskurs vom „Extremismus der Mitte“ in den „Konsens der Vaterlandsverächter“ gezwungen. Die Weigerung unserer Eliten, „nach der Wiedervereinigung ein positives Konzept deutscher Identität zu entwickeln“, wird so manifest.

Die Fremdheit wird sich hierzulande also weiter ausbreiten, ein positives Heimatgefühl als „Ausgleich von Globalisierungsfolgen in der Psyche des modernen Menschen“ erscheint ferner denn je. Daran wird wohl auch die Kritik antinationaler Irrtümer (nationale Identität als „Erfindung“, als „Anachronismus“ und als „Postulat der Rechten“) nicht viel ändern. Ob die Verankerung eines positiven nationalen Diskurses in der Öffentlichkeit, wie es das Institut nach seinem Kolleg hofft, wieder möglich wird, erscheint dem Pessimisten fraglich. Doch schrieb Bernard Willms einst zu Recht: „Wer nationale Identität bestreitet, bestreitet sich selbst; nicht nur etwas, was er ‚hat’, sondern das, was er ‚ist’.“


 
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