© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/01 30. November 2001

 
Aufregende Verbrecherjagd
Musical: Erich Kästners „Emil und die Detektive“ in Berlin
Monika Ewert

Erich Kästners „Emil und die Detektive“ erschien 1929 und wurde bisher in 57 Sprachen übersetzt. Bereits ein Jahr nach Erscheinen des Buches, gab es eine von Kästner erarbeitete Bühnenfassung, die 1930 im Theater am Schiffbauerdamm in Berlin unter der Regie von Karlheinz Martin uraufgeführt wurde und wie der Roman großen Erfolg hatte. 1931 folgte dann die erste Verfilmung von „Emil und die Detektive“, eine Ufa-Produktion unter der Regie von Gerhard Lamprecht; das Drehbuch schrieb Billy Wilder.

Jetzt gibt es die erste Musical-Version - übrigens auch die einzige von den Erben Kästners autorisierte Musiktheater-Fassung des Buches. Die Handlung des Stella-Musicals spielt wie der Roman Kästners im Berlin der zwanziger Jahre. So stammen auch viele Dialoge aus dem Buch, und die Liedtexte (Buch & Liedtexte: Wolfgang Adenberg) orientieren sich an den Gedichten Erich Kästners.

Diese Hommage an Erich Kästner wird durch die Figur des Erzählers (Peter Gavajda) verkörpert, der immer auf der Bühne präsent ist und die Zuschauer durch das Musical führt. Die Omnipräsenz Kästners wird am deutlichsten in der Schlußszene, nach der Aufklärung des Falles durch Emil und die Detektive, wenn sich der Journalist als „Berthold Bürger“ vorstellt: Unter eben diesem Pseudonym überlebte der Schriftsteller das Dritte Reich.

„Emil und die Detektive“ ist aber nicht nur eine Hommage an Erich Kästner, sondern auch an das Berlin der zwanziger Jahre. So sprechen viele der Schauspieler mit Berliner Dialekt und die Musik von Marc Schubring ahmt mit Witz, Charme und Gassenhauercharakter ebenso den Stil dieser Zeit nach wie das Bühnenbild und die Kostüme von Christoph Weyers. Die Bühnenbilder und Requisiten sind auf Holz, Styropor und Leinwand gemalt und können blitzschnell auf- und umgebaut werden. Dank der verschiebbaren Kulissen entsteht in wenigen Sekunden ein völlig anderer Schauplatz. Die architektonischen Elemente, technischen Gegenstände und das zweidimensionale Mobiliar sind jeweils der Architektur, Technik und Mode um 1930 nachempfunden. Die bildliche Darstellung der Bühne lehnt sich an die Plakatkunst der zwanziger Jahre an und wirkt sehr plakativ - wie ein überdimensionales Bilderbuch. Bühnenbild und Kostüme sind dem Illustrationsstil von Walter Trier, dem Illustrator von Erich Kästners Büchern, nachempfunden. Die „Bildlichkeit“ der Kostüme geht sogar soweit, daß die Knöpfe, Taschen und Falten fast alle nur aufgemalt sind, um den „Bilderbuchcharakter“ des Bühnenbildes zu betonen; auch die Straßenbahn, Autos, Hunde und sogar Menschen sind aus Styropor - nur das Fahrrad, mit dem Pony Hütchen (Yaima Zimny) über die Bühne fährt, ist echt.

Bis auf einige Videoprojektionen im Hintergrund der Bühne wird bei „Emil und den Detektiven“ auf den Einsatz modernster Technik verzichtet. Mit einfachen Mitteln konzentriert man sich hier auf das Wesentliche. Manchmal ist weniger eben mehr.

Regisseur Michael Pinkerton (der als künstlerischer Direktor von Stella für alle Musicalproduktionen verantwortlich ist) hat eine temporeiche, spannende und lustige Inszenierung erarbeitet, die sich sehen und vor allem auch hören lassen kann. Musik und Szenen gehen ineinander über, die Dialoge sind häufig mit Musik unterlegt. Bei jeder Vorstellung spielt eine zehnköpfige Kapelle (Musikalische Leitung: Christoph Hagel) live im Stil der zwanziger Jahre - das wichtigste Instrument ist jedoch die Hupe von Gustav (Falk-Arne Goßler), die geradezu leitmotivisch eingesetzt wird und eine zentrale Rolle im Stück spielt: Durch sie wird der erste Kontakt zwischen Gustav und Emil hergestellt, und mit ihr hupt Gustav seine Bande zusammen, um Emil bei der Jagd auf den Bösewicht Grundeis (Holger Hauer), der Emil im Zug sein Geld gestohlen hat, zu unterstützen. In dem Lied „Detektive jesucht!“ gibt Gustav dann ein virtuoses Hupkonzert zum Besten, das zusammen mit seiner „Berliner Schnauze“ eine grandiose Mischung ergibt.

Die Stars des Abends sind die insgesamt 19 Kinder, alle Nachwuchsdarsteller aus Berlin und Brandenburg. Es ist erstaunlich, mit welcher Souveränität sie sich nach der kurzen Probenzeit auf der Bühne bewegen und singen, da macht es auch nichts, daß der Liedtext manchmal nicht richtig zu verstehen ist, vor allem in Szenen, wo alle Kinder gemeinsam singen („Ein guter Morgen“, „Lüge“). Das liegt aber eher daran, daß an einigen Stellen das Tempo sehr schnell ist und zu viel Text in die Takte gequetscht wurde.

Diese Stellen vergißt man aber schnell, da das Publikum ständig in das Geschehen involviert wird: Die „Telefonzentrale“ vom „Kleinen Dienstag“ befindet sich in einer Loge, Pony Hütchen und ihre Großmutter (Dagmar Biener) gehen auf ihrem Weg zum Bahnhof Friedrichstraße, wo sie Emil abholen wollen, mitten durch die Zuschauer, und später jagen Emil und die Detektive Grundeis in einer wilden Verfolgungsjagd quer durch den Saal. Diese Lebendigkeit prägt das gesamte Musical - was nicht zuletzt an den hervorragenden Darstellern liegt, die ihre jeweilige Rolle mit viel Elan und sehr überzeugend spielen. Das Premerien-Publikum dankte es mit heftigem Applaus.

 

„Emil und die Detektive“ ist bis zum 6. Januar 2002 im Musical Theater Berlin, Marlene-Dietrich-Platz 1, zu sehen. Spieltermine und Reservierungen sind unter Tel: 0 18 05 / 44 44 erhältlich.


 
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