© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/01 07. Dezember 2001

 
Aufbau Ost mit gnadenloser Abgrenzung
Sachsen-Anhalt: Die Etablierung der Schill-Partei wird von ersten personellen Querelen begleitet
Peter Freitag

Im Streit um den neuen Koordinator der Schill-Partei für Sachsen-Anhalt, Ulrich Marseille, sehen manche Berichterstatter den Anfang vom Ende einer Ausdehnung der Partei Rechtsstaatlicher Offensive. Marseille habe engagierte Aktivisten, die in Sachsen-Anhalt einen Schill-Ableger gründen wollten, vergrault, weil er als „Prototyp des cleveren, aber skrupellosen Wessi“ (Der Spiegel) gilt. Hintergrund für die Vorwürfe sind gerichtliche Auseinandersetzungen des Klinikbetreibers Marseille zum einen mit der Gemeinnützigen Wohnungsgesellschaft in Halle-Neustadt, von der er ohne Erfolg Schadensersatz für eine Fehlinvestition in Plattenbauten forderte, und zum anderen mit dem Sozialministerium in Magdeburg, das seine Pflegeeinrichtungen nicht im von ihm gewünschten Umfang fördern möchte. Daß ihnen nun ein „arroganter Wessi vor die Nase gesetzt“ worden sei, erinnere an die Zustände in der DVU, so die Kritik in Teilen der Partei.

Doch obwohl der Bundeswehroffizier Norbert Hoiczyk, der bereits als künftiger Landtagsabgeordneter gehandelt worden war, sein Interesse an Schill nunmehr verloren hat und mit anderen Enttäuschten Mittwoch vergangener Woche die „Rechtsstaatliche Bürgerpartei“ gründete, erhält das „Original“ weiteren Zulauf. „500 Mitglieder haben wir bereits, über 1.000 Anträge liegen vor“, erläuterte Toni Rupprecht, Pressesprecher des Koordinators für Sachsen-Anhalt, gegenüber der JF die Ausweitung der Schill-Partei. In Magdeburg werde am kommenden Montag der erste Ortsverband gegründet, weitere folgten dann flächendeckend. Eine Spaltung liege nicht vor, so Rupprecht, es hätte sich „nur eine Handvoll“ verabschiedet. Ihre Abkehr von der Schill-Partei stellte er in den Zusammenhang mit dem Parteiaustritt von Torsten Uhrhammer, der als Marseilles Vorgänger Koordinator für Sachsen-Anhalt war. Darüber könne es jedoch kein Bedauern geben, so Rupprecht, denn wer im Aufnahmeantrag wissentlich falsche Angaben gemacht habe, sei formal nie Mitglied der Partei gewesen.

Uhrhammer hatte Ende November die Partei verlassen müssen, nachdem herausgekommen war, daß er 1987 für kurze Zeit Mitglied der Deutschen Volksunion war. Uhrhammer äußerte gegenüber der JUNGEN FREIHEIT Verständnis für die Notwendigkeit seines Austritts. Daß sich die Schill-Partei vehement gegen im Verfassungsschutzbericht erwähnte Parteien und deren ehemaligen Mitglieder abgegrenzt habe, sei eine Voraussetzung für ihren Erfolg und ihre Koalitionsfähigkeit gewesen. „Ich halte diesen Kurs für richtig, deswegen habe ich auch sofort meine Ämter und mein Mandat niedergelegt“, so Uhrhammer: „Es ist der politischen Realität gegenüber adäquat.“ Die Übermacht linksliberaler Eliten bedinge eben, daß Parteien rechts der Union unter hohem Abgrenzungsdruck stünden, ganz im Gegensatz zur Tolerierung von Extremisten bei den Grünen oder der PDS. „Mir wäre eine Gesellschaft, in der dies nicht so ist, lieber“, meinte der Jura-Student. Die formale Abgrenzung von anderen Rechtsparteien habe die Erschließung breiterer Wählerschichten erleichtert, und nur so habe man Honoratioren als Mitglieder und Multiplikatoren der Partei gewinnen können. Dies alles seien Grund-voraussetzungen für das Ziel, politische Veränderungen herbeizuführen. In der Zukunft sehe er für die Schill-Partei jedoch einen gewissen Diskussionsbedarf, was die formale Abgrenzung ohne Ansehen der jeweiligen Person betrifft. „Ich halte die inhaltliche Abgrenzung für wichtiger und notwendig. Es muß klar sein: Wer gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist, hat in einer konservativen Partei nichts zu suchen!“ so Uhrhammer.

Die Vergabe des für Sachsen-Anhalt zuständigen Koordinationsposten an das ehemalige CDU-Mitglied Marseille, an dem sich nun die Gemüter erhitzen, muß für Schill jedoch nicht zwangsläufig zum Eigentor werden. Denn neben seinen in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzenden finanziellen Mitteln verfügt der 45jährige Hamburger über professionelle Management-Fertigkei-ten. Davon könnte nicht nur ein werbewirksames Signal an wirtschaftlich erfolgreiche, bürgerliche Interessenten ausgehen, sondern auch eine abschreckende Wirkung auf unerwünschte „Querulanten“ (Schill). Denn bei aller postulierter Basisnähe sorgten die Berichte von „wilden“ Gründungsversammlungen bei den Verantwortlichen in Hamburg wahrscheinlich nicht nur für Freude. Eine straffere, professionelle Führung der Aufbauarbeit in Sachsen-Anhalt könnte der Richtlinienkompetenz des Parteivorsitzenden zu mehr Geltung verhelfen.

Am Montag wurden in Magdeburg bereits die Verantwortlichen des zukünftigen Landesverbands für drei sachpolitische Bereiche der Öffentlichkeit vorgestellt: Der Dessauer Richter Patrick Bürow wird zuständig sein für den Bereich Innere Sicherheit, die Magdeburger Lehrerin Angelika Wolters für Schulpolitik und der Werningeröder Professor Michael Kausch für die Schwerpunktthemen Wirtschaft und Arbeitsplätze. Kausch war 30 Jahre SPD-Mitglied, saß von 1994 bis 1996 sogar im Landesvorstand der Partei, von der er sich kürzlich wegen ihrer verfehlten Politik im Streit trennte.

Für die Wahlen in Sachsen-Anhalt sagte der Parteienforscher Karl-Rudolf Korte auf einem Kongreß der Hamburger SPD zum Thema „Rechtspopulismus auf dem Vormarsch?“ der Schill-Partei gute Chancen voraus, während sein Kollege Frank Decker meinte: „Vieles spricht dafür, daß der Höhepunkt von Herrn Schills Karriere überschritten ist. Verlassen sollte man sich darauf nicht.“


 
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