© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/01 07. Dezember 2001

 
Kolumne
Dumm verkauft
Heinrich Lummer

Gewiß hat Demokratie etwas mit dem Willen des Volkes zu tun, der in Mehrheitsentscheidungen zum Ausdruck kommt. Aber nicht immer wird die vox populi als vox dei angesehen. Die repräsentative Demokratie ermöglicht es, in wichtigen Entscheidungen am Willen des Volkes vorbei zu regieren. So geschehen bei der Einführung des Euro, Grundfragen der Ausländerpolitik und wohl auch beim möglichen Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan.

Man hofft jeweils, das Volk werde solche Entscheidungen später begreifen und für gut befinden. So werde man sich an den Verlust der D-Mark gewöhnen und den Euro gut finden. Gut demokratisch ist das nicht - aber es gibt Schlimmeres.

Da hatten wir nun Vorschläge für ein neues Zuwanderungsgesetz aus dem Hause Schily. Der gewandelte Innenminister hatte einen Entwurf vorgelegt, den die Opposition ganz gut fand. Aber dann kamen die Verhandlungen in der Koalition und die Ausdehnung der Zuwanderungsmöglichkeiten aufgrund nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung. Die Grünen hatten dem Entwurf des Innenministers die Zähne gezogen. Es gibt im Volke eine Mehrheit für eine Verschärfung der ausländerrechtlichen Bestimmungen im Sinne einer Einschränkung der Zuwanderung. Aber es gibt die Grünen im Parlament, die Vertreter von weniger als zehn Prozent der Wähler, die die Türen nach Deutschland weiter öffnen möchten und es gibt den demokratieverfälschenden Grundsatz, keine wechselnden Mehrheiten zu akzeptieren, obwohl sich CDU und SPD auf eine gemeinsame Linie einigen könnten, die im Parlament und im Volk eine breite Basis hätte. Die große Regierungspartei darf nicht mit der größten Oppositionspartei übereinstimmen. Gerade dann, wenn es um existentielle Fragen des Landes geht, darf es nicht möglich sein, daß der kleine, oft sehr kleine Koalitionspartner das Schicksal des Landes bestimmt. Da wedelt nämlich der Schwanz mit dem Hund und die Demokratie nimmt dabei auf Dauer Schaden.

Gerade in Sachen Zuwanderung und Ausländer ist immer wieder am Volk vorbei regiert worden. Das ist ein enormes Demokratiedefizit in unserem Lande. Man sollte es beheben, auch indem wechselnde Mehrheiten in wichtigen Fragen akzeptiert werden. Sonst kommt irgendwann die Rache des Volkes durch einen Schill. Wie sagte doch der frühere amerikanische Präsident Lincoln: „Man kann das ganze Volk eine Zeit lang für dumm verkaufen und einen Teil des Volkes die ganze Zeit, aber man kann nicht das ganze Volk die ganze Zeit für dumm verkaufen.“

 

Heinrich Lummer, Berliner Innensenator a.D., war bis 1998 Bundestagsabgeordneter der CDU.


 
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