© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/01 14. Dezember 2001

 
Ulrich Marseille
Hamburger Geldadel
von Peter Freitag

Weil Deutschland mehr und mehr zur Geronto-Republik wird, gibt es für das Geschäft mit der Verwaltung des Alterns und seiner Leiden, einschließlich der diskreten Abwicklung des Todes, praktisch eine Erfolgsgarantie. Wer dies erkannt hat, sichert sich Schürfrechte an dieser tief in den Volkskörper reichenden Goldader. So zum Beispiel Ulrich Marseille, geboren 1955 und Mehrheitsgesellschafter der „Marseille Kliniken AG“. Das Unternehmen gehört heute mit einem Jahresumsatz in dreistelliger Millionenhöhe zu den größten privaten Gesundheitsdienstleistern Deutschlands, betreibt hauptsächlich Senioren-Wohnparks, aber auch Behindertenheime und Rehabilitationskliniken.

Nach der Wiedervereinigung expandierte man erfolgreich nach Mitteldeutschland, wo die realsozialistischen „Feierabendheime“ privatisiert wurden. Die Idee, mit dem Dienst am Nächsten auch das eigene Wohlergehen im Diesseits zu steigern, gilt in calvinistisch geprägten Ländern nicht als unsittlich. Doch ausgerechnet in Brandenburg, wo diese Richtung der Reformation nicht ohne Einfluß blieb, stieß die Geschäftsidee des „in Gesundheit machenden“ Juristen auf erbitterten Widerstand. Doch wie viele, denen ihr Lebensglück nicht gleich in die Wiege gelegt worden ist, gab der als Ulrich Hansel geborene und früh verwaiste Nachwuchs-Unternehmer nicht kampflos auf. Daß seine Methoden - Organisation von Demonstrationen „seiner“ Heiminsassen und finanzielle Förderung der CDU - nicht gerade fein waren, wird Marseille, wie er seit seiner Adoption durch den Firmengründer Theo Marseille heißt, derzeit gerade wieder vorgehalten. Denn erneut soll er als erfolgversprechender Osterweiterer fungieren, indem er für seinen neuen Parteifreund Ronald Schill im Landtagswahlkampf um Sachsen-Anhalt nach Wählerstimmen jenseits der dreißig Prozent schürft.

Auch in diesem Landstrich macht es Marseille den empfindlichen Nasen von Medien und Konkurrenz leicht, die Witterung nach unzulässiger Verknüpfung von geschäftlichen und politischen Interessen aufzunehmen. Erinnert wird an seine gerichtliche Auseinandersetzung um Landeszuschüsse einerseits und Entschädigungen wegen einer Fehlinvestiton in Hallenser Plattenbauten andererseits. Da in beiden Fällen Marseille bisher unterlegen war, hegen seine Gegner nun den Verdacht, er könne mit politischer Einflußnahme doch noch reüssieren wollen. Marseille hatte sich bereits bei den Kommunalwahlen in Halle 1999 durch Unterstützung einer lokalen Bürgergruppierung politische eingemischt. Daß einer, der hochhinaus will, immer das Risiko einer Bruchlandung eingeht, erfuhr Marseille jedoch nicht nur als Geschäftsmann: Im Frühjahr 2001 kam sein Jet in Hamburg von der Landebahn ab und überschlug sich. Der Pilot und Ulrich Marseille blieben unverletzt und um die Erfahrung bereichert, daß unter den Wolken die Freiheit nicht grenzenlos ist.


 
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