© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/01 14. Dezember 2001

 
Pankraz,
Max Weber und die innerweltliche Askese

In der von Pankraz benutzten alten Ausgabe von Max Webers „Gesammelten Aufsätzen zur Religionssoziologie“ (Tübingen 1920) ist als Ersterscheinungstermin der beiden berühmten Aufsätze „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ das Jahr 1901 genannt, dabei erschienen die Arbeiten - laut Wilhelm Hennis u. a. - nicht vor 1904. Fast könnte man glauben, Weber habe in der noch von ihm selbst besorgten Ausgabe die Termine absichtlich vorverlegt, um den „Jahrhundertcharakter“ seiner Untersuchung zu unterstreichen. Es handelt sich ja tatsächlich um Epochenaufsätze, um „die wohl berühmtesten Wissenschaftsaufsätze des zwanzigsten Jahrhunderts“ (Hennis).

Was las man darin? Daß es Luther und Calvin gewesen seien, die uns den Kapitalismus eingebrockt hätten. Nicht die Rückwendung der Renaissance zur Antike habe die kapitalistischen Produktionskräfte entfaltet, sondern das Insistieren der Protestanten (vorgebildet in gewissen Theorien des großen Kirchenvaters Augustinus), daß der Mensch seinem Schöpfer stets als je einzelner gegenüberstehe und allein von dessen Gnade abhängig sei.

Wenn der Mensch nur von der Gnade Gottes abhängig ist, so überlegte Calvin, wenn weder gute Werke noch kirchliche Gnadenmittel und nicht einmal der „Glaube an sich“ Erlösung garantieren, wie kann ich denn dann überhaupt leben? Hilft wirklich nur die Hoffnung auf Jesus Christus? Machen wir es uns da nicht zu leicht, dergestalt, daß jeder Schurke sagen kann: „Ich sündige frisch vor mich hin und vertraue der Gnade Jesu“? Nein, so leicht dürfen wir es uns um Himmels willen nicht machen.

Sondern im Gegenteil: Wir müssen es uns schwer machen, absichtlich schwer machen, müssen rackern und schuften - und wenn wir dabei zu etwas kommen, so ist das ein Zeichen, das einzige Zeichen, daß uns Gott liebt, daß wir zu seinen Auserwählten gehören und auch seiner ewigen Gunst teilhaftig sein werden.

Das also war der Beginn jener „innerweltlichen Askese“, die Max Weber so überzeugend als die Voraussetzung und den Beginn des Industrialismus und Kapitalismus analysiert. „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen“ - diese biblische Seinsbeschreibung wurde da zu einem erbarmungslosen Sollenssatz erweitert, wurde ins schier Wahnwitzige vorgetrieben.

„Wehe, wenn du nicht im Schweiße deines Angesichts dein Brot ißt“, hieß es nun bei asketischen protestantischen Sekten, bei den Puritanern. Jedes Rasten und Genughaben ist von Übel, immer weiter treibt dich die Peitsche des Gebots. Zwar sind Arbeitserfolge, ökonomische Erfolge Zeichen dafür, daß wir wirklich zu den Auserwählten zählen - könnten, Garantien dafür sind sie aber nicht. Ein Aktienverfall, ein Konkurs, und schon stehen wir auf der Seite der Verworfenen und Verdammten.

In dieser Perspektive wurde nicht mehr gearbeitet, um die Arbeitskraft zu restituieren und den Kreislauf des Lebens sicherzustellen, ja, es wurde nicht einmal mehr gearbeitet, um einen Vorrat anzusammeln und das Erarbeitete eines schönen, heiteren Tages genußreich zu verfrühstücken. Sondern es wurde um der Arbeit willen gearbeitet, und zwar in Richtung auf „Mehrwert“, auf einen Surplus, der sofort wieder in die laufende Produktion hineingesteckt werden mußte.

Weshalb ja auch die Puritaner am Ende gar nicht mehr fähig waren, das Leben zu genießen, wie viele Reichtümer sie auch angehäuft haben mochten. Sie waren Bilderstürmer, und sie waren von einer überstrengen, säuerlichen Sexualmoral, sie prügelten ihre Frauen und Kinder methodisch, Alkohol durfte nicht ausgeschenkt werden, zumal sonntags nicht, die Theater wurden geschlossen, Shakespeare wurde verdammt, jeder Gewinn wurde gleich wieder in ein neues Geschäft gesteckt.

Eines der kostbarsten Güter wurde die Zeit. Sie durfte um Himmels und der Erlösung willen nicht mehr „verschwendet“ werden, denn Zeit war Geld. Wenn sie sich schon nicht künstlich verlängern ließ, so konnte man sie doch „optimieren“, optimal nutzen. Im berüchtigten Handbuch der Puritaner, in Richard Baxters „Christian Directory“ von 1664, hieß es dazu:

„Du mußt deine Zeit gut anwenden, und das heißt, dir bewußt sein: Jede Minute ist kostbar. Denke daran, wie unwiederbringlich die Zeit ist, die vergangen ist. Ergreife sie, ergreife sie, oder sie ist für immer verloren. Denn alle Menschen auf dieser Erde mit all ihrer Kraft und all ihrer Klugheit können nicht eine Minute, ja nicht einmal eine Sekunde zurückrufen, wenn sie einmal vergangen sind.“

Das also war durch den Protestantismus aus dem befreiten Individuum, dem „entfesselten Prometheus“ geworden, von dem die Humanisten der Renaissance so geschwärmt hatten: ein von der Angst um sein Seelenheil vorangetriebener, in ein Netz von Notwendigkeiten eingespannter, mit jeder Minute geizender, zum Lebensgenuß unfähiger Puritaner. Aber diese Figur hatte Zukunft, sie war das Erfolgsmodell par excellence, sie zog die moderne Technik herauf.

Denn wenn Zeit Geld und jede Minute kostbar war, wenn der Produktionsprozeß so scharf und effizient kalkuliert und organisiert werden mußte wie nur irgend möglich, dann war jeder technische Fingerzeig dazu nur allzu willkommen. Und Technik bedeutete Wissenschaft, Rationalität, das Ausspähen und Erkennen auch kleinster Gewinnchancen, kleinster Platzvorteile, kleinster Vorsprünge. Und man durfte dabei sogar noch ein gutes Gewissen haben, durfte sich im Wohlwollen und in der Gnade Gottes wissen. Was wollte man mehr?

Sollte Max Weber das Erscheinen seiner beiden berühmten Aufsätze wirklich (bewußt oder unbewußt) vordatiert haben, so darf man darin ein Überwältigtsein von der eigenen Theorie sehen. Auch er selbst wollte die Zeit pressen. Dabei stand der Tod schon vor der Tür. 1920 starb Weber, vierundfünfzig Jahre alt.


 
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