© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/01 14. Dezember 2001

 
Das Anständige im Falschen
Ausstellung: „Figürliche Bildhauerei und das Dritte Reich“ im Georg-Kolbe-Museum in Berlin
Doris Neujahr

Die Besucher dieser Ausstellung sollten alles, was sie über die Kunst im Dritten Reich wissen - oder zu wissen glauben -, zuvor vergessen und die gezeigten Skulpturen einfach auf sich wirken lassen. Es handelt sich um 15 großformatige, überwiegend zwischen 1933 und 1945 in Deutschland entstandene Plastiken von Hans Blumenthal, Arno Breker, Georg Kolbe, Gerhard Marcks, Richard Scheibe und anderen Bildhauern. Sie werden als eigenständige Kunstwerke, und nicht, wie sonst üblich, in pädagogischer Absicht zur Illustrierung eines verbrecherischen Systems vorgeführt. Die Ausstellung wurde von der Henry-Moore-Foundation gemeinsam mit dem Berliner Kolbe-Museum und dem Gerhard-Marcks-Haus in Bremen konzipiert und zuerst in England gezeigt. Der beibehaltene englische Titel „Taking Positions“ appelliert an den Betrachter, sich ein unvoreingenommenes Urteil zu bilden.

Allein schon die Frage nach der Möglichkeit einer autonomen Kunst im Dritten Reich ist geeignet, die kursierenden Schwarz-Weiß-Bilder vom Leben in der Diktatur zu demontieren.

Diese dualen Projektionen, die hauptsächlich in den siebziger und achtziger Jahren eine pseudo-wissenschaftliche Ausformung erlebten, setzen voraus, daß die nationalsozialistische Politik und Ideologie alle Verästelungen des privaten und gesellschaftlichen Lebens durchdrungen haben und die Kunst deshalb nur eine ihrer Ausdrucksformen gewesen ist. Künstlerische Qualität wird nur Emigranten oder dezidierten NS-Gegnern zugebilligt. Die entsprechenden Publikationen suggerieren mit reißerischen Titeln und Einbänden den Konnex zwischen Kunstproduktion und Holocaust, der erst bewiesen werden müßte.

Doch Quellenforschung findet kaum statt, häufig halten die Forscher es nicht einmal für nötig, die Originalwerke heranzuziehen, sondern sie verlassen sich auf die Abbildungen und Texte vergilbter Kataloge. Das Ergebnis ist eine Fortsetzung der NS-Propaganda unter umgekehrten Vorzeichen: Was damals verworfen wurde, gilt nun als wertvoll, und was zwischen 1933 und 1945 gelobt wurde, ist jetzt unterschiedlos zu verdammen. Die nach der Wiedervereinigung notwendig gewordene Beschäftigung mit DDR-Künstlern hat ein für allemal klargemacht, daß sich diese Gleichsetzung von Politik und Kunst verbietet.

Die kunsthistorischen Wurzeln der ausgestellten Skulpturen liegen in der seit dem späten 19. Jahrhundert entstandenen idealistischen „Ausdrucksplastik“. Darunter werden Skulpturen verstanden, die die Synthese aus symbolischen Motiven und freier Bewegung, aus Abstraktion und Natur, erstrebten. Für viele Betrachter rückte jedoch ein banaler Schönheitsbegriff in den Mittelpunkt, den die NS-Ideologen zum Rassenideal zuspitzten.

Ihre Kunstpolitik gestaltete sich uneinheitlich. Künstler wurden wegen eines bestimmten Werks hochgelobt und wegen eines anderen als „entartet“ diffamiert. Einige verloren 1933 ihre Lehraufträge und wurden an anderer Stelle wieder rehabilitiert. Werke wurden beschlagnahmt, doch der Staat gab auch neue in Auftrag. Das äußere Verhältnis der meisten Bildhauer zum NS-System blieb distanziert.

Ernesto de Fiori, ein Italiener, der im Ersten Weltkrieg die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen hatte, versuchte sich nach der Machtergreifung der NS-Führung mit den Aufsatz „Wie können wir Künstler der Regierung helfen?“ zu empfehlen. Seine 1924 entstandene Bronzefigur „Engländerin“, ein knabenhafter Frauenakt in Stöckelschuhen, der dem Geist der Neuen Sachlichkeit nahesteht, zeigt indes, daß diese Anpassung nur um den Preis der künstlerischen Selbstverleugnung zu haben war, den de Fiori nicht zahlen wollte. 1937 blieb er im Exil.

Die Plastiken selbst bezeugen die inneren Nöte ihrer Schöpfer. An der Statue des „Großen Schreitenden“, die der 1942 in Rußland gefallene Hans Blumenthal geschaffen hat, ist das Selbstbewußtsein eines Künstlers ablesbar, der sich seiner Fähigkeiten zunehmend sicher ist. Andererseits hat die kräftige Jünglingsfigur die angewinkelten Arme vor der Brust gekreuzt, was auf Abwehr, Zögerlichkeit und Verlorenheit schließen läßt.

Gerhard Marcks, der ein Wechselbad aus Verfolgung und Duldung erlebte, kam mit seiner „Schwimmerin II“ dem NS-Körperideal zweifellos entgegen. Doch vermittelt die junge Frau, die sich die Schwimmhaube über den Kopf zieht, in ihrer inneren Konzentration eine unendliche Distanz zur Außenwelt. Zwar wurde Georg Kolbes 1935 entstandener „Junger Streiter“ von den Nationalsozialisten als zeitgemäßer Ausdruck ihrer eigenen Weltanschauung gewürdigt, doch mit Kolbes Intention hatte das nicht zu tun. Mit der Arbeit an der Statue hatte er versucht, den Tod seiner Frau zu verarbeiten. Seine Figur enthält soviel humane Würde, Sanftheit und Nachdenklichkeit, daß das Urteil der NS-Kritiker auf einem Mißverständnis beruhen muß.

Sogar bei Arno Breker, der nun wirklich ein Favorit und Nutznießer des NS-Regimes war, sind Differenzierungen angebracht. Sein für Hitlers Neue Reichskanzlei vorgesehener „Wager“ stellt mitnichten einen blindwütigen, nationalsozialistischen Glaubenskrieger dar. Der wohlproportionierte junge Mann hat seine Rechte weich in die Hüfte gestützt, der Kopf wendet sich mit leichter Drehung an ein imaginäres Publikum, der linke Arm ist angewinkelt und greift andeutungsweise in den Raum: Ein moderner, kommunikativer Typ, der mit seiner tänzelnden Leichtigkeit einem Dandy, einem männlichen Mannequin oder dem gezierten Innenarchitekten aus einem Woody-Allen-Film entspricht. Noch die martialische Figur des „Verwundeten“, die Breker nach der Fotografie eines gestürzten Radsportlers schuf, verfügt über einen ästhetischen Eigenwert. Die Kopfbinde drückt den Zustand der Verwundung aus, aber der durch die gebückte Haltung eingeschlossene Schmerz liegt außerhalb des Körpers. Der Gesichtsausdruck erinnert an Schlüters „Masken des sterbenden Kriegers“, die feingearbeiteten Hände und Füße an Michelangelos „David“. Diese 1942 fertiggestellte Skulptur wurde in Deutschland kaum noch gezeigt, die Assoziationen an die Kriegslage waren zu deutlich.

In den Aufsätzen des Katalogs werden die äußeren Bedingungen des Kunstschaffens detailliert untersucht. Dabei zeigt es sich, daß die deutsche Wirklichkeit zwischen 1933 und 1945 vom Ideal der Gleichschaltung weit entfernt war. Es existierten durchaus Nischen und Zwischenräume, die sich aus dem Führungschaos und der Konkurrenz zwischen Reichs- und Gaubehörden, Akademien, Ministerien und eifersüchtigen Provinzfürsten ergaben. Noch 1939 konnten die muskelbepackten Figuren des offiziell hofierten Josef Thorak in der Zeitung als „thoraxwütig“ verspottet werden. Der kunstsinnige Reichsstatthalter Baldur von Schirach ließ 1943 in Wien eine Ausstellung zur „Jungen Kunst im Deutschen Reich“ eröffnen, die in Berlin als „entartete Kunst unter der Schirmherrschaft der Partei“ bezeichnet wurde. Die Bildende Kunst war für die Nationalsozialisten ohnehin nur ein Nebenkriegsschauplatz. Dem Bürgertum blieb es weitgehend unbenommen, sich am tradierten Kunstmarkt zu bedienen, was systemfernen Künstlern wiederum ihre Existenz ermöglichte. Solche Details machen das Dritte Reich nicht sympathischer. Ihre Kenntnis ist aber nötig, um in zahllosen individuellen Verhaltensweisen - nicht nur der Künstler - den verzweifelten Versuch zu erkennen, im falschen Dasein des Staates für sich persönlich ein halbwegs anständiges zu führen.

Ab den fünfziger Jahren fand in der Bundesrepublik ein Paradigmenwechsel statt, in dessen Verlauf die figürliche Plastik - und Malerei - mit Totalitarismus, Diktatur und rassistischen Züchtungsphantasien gleichgesetzt und abstrakte Kunst zum Siegel auf die Ankunft im freiheitlichen Westen erhoben wurde. Diese Argumentation war propagandistisch um so erfolgreicher, weil parallel dazu die DDR jedwede abstrakten Versuche als Zeichen westlicher Dekadenz verdammte. Im innerdeutschen Künstlerstreit der 1990er Jahre feierte dieser Konflikt des Kalten Krieges unfrohe Urständ.

Die Ausstellung ist ab dem 20. Januar auch im Gerhard-Marcks-Haus in Bremen zu sehen. Wer keine Gelegenheit zu einem Besuch hat, sollte wenigstens den ausgezeichneten, thematisches Neuland beschreitenden Katalog erwerben.

 

Fototext: Plastik „Gefesselter Prometheus“ von Gerhard Marcks


 
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