© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/01 01/02 21. Dezember / 28. Dezember 2001 |
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LOCKERUNGSÜBUNGEN Dabei gewesen Karl Heinzen Nein, der 17. Dezember wird den 11. September in der künftigen Erinnerung der Menschen an das Jahr 2001 nicht verdrängen können, aber dennoch ist es sehr gut möglich, daß dereinst, vielleicht in 20 oder 25 Jahren, die dann deutsche Prominenz in den Medien darüber sinnieren wird, wo sie, sofern sie zu diesem Zeitpunkt schon auf unserem Kontinent gelebt hat, ihr erstes Euro-Starter-Kit in den Händen halten dürfte. Dann werden natürlich auch die Gedanken der Bürger zurückeilen und sich die Bank- oder Sparkassenfiliale vorzustellen versuchen, in der sie damals in der Schlange standen wie die Teenies in der Autogrammstunde, gut eingepackt in wattierte Kunstfaserjacken oder Schlußverkaufsmäntel des Vorjahres, denn es war kalt draußen, ein Winter, der jeder CO2-Klimakatastrophe zu spotten drohte. Ein Hauch von Christkindlmarktglühweingeruch, dem Odem so mancher Mitbewerber um das Tütchen voller Zeichen einer neuen Zeit entwichen, erfüllte das ansonsten doch so sehr auf unterkühlte Funktionalität und Diskretion ausgerichtete Ambiente zwischen Kontoauszugsdrucker und Privatkundenberatungstheke mit weihnachtlicher Behaglichkeit. Hätte man in dieser Stimmung, auch wenn es dem politischen Stellenwert des Ereignisses angemessen gewesen wäre und die Nation doch nur so selten als Schicksalsgemeinschaft zu empfinden ist, wirklich Champagner ausschenken können? Sicher, man hätte ja nicht nein gesagt, insbesondere dann nicht, wenn man, etwa von der Europäischen Zentralbank, eingeladen gewesen wäre. Auch ein paar Häppchen wären nicht schlecht gewesen oder ein Süppchen, das hätte auch sozusagen erinnerungspolitische Vernunft bewiesen, derartiges anzubieten, weil die Menschen große Ereignisse lieber mit Dingen in Verbindung bringen, die sie in diesem Moment selber betreffen, mit einem Zahnarzttermin zum Beispiel oder einem vereisten Autotürschloß oder eben einem überraschenden Imbiß. War es aber andererseits nicht der unvergessene Johannes Rau gewesen, der uns daran erinnert hatte, daß wir nicht immer nur danach fragen sollten, was unser Land für uns tun kann, in diesem Fall also Häppchen anbieten oder Süppchen ausschenken, sondern auch einmal danach, was wir für unser Land tun können, also in der Schlange stehen und über die noch ausstehenden Weihnachtseinkäufe nachdenken? Oder dem Mitmenschen in der Schlange ein wenig Aufmerksamkeit schenken, historische Augenblicke sind ja auch immer sehr kommunikativ und gut geeignet, Freundschaften fürs Leben zu schließen. Worüber man wohl damals am Ort des Geschehens gesprochen haben mag? Über die Erklärung von Laeken vielleicht und das Signal, das von ihr ausgehen würde? Oder über die Dringlichkeit eines europäischen Verfassungsentwurfs? Das weiß so lange danach niemand mehr so recht zu sagen. Das Starter-Kit jedenfalls liegt in der Glasvitrine unangetastet neben dem in einer Auktion ersteigerten Betonstück, das aus dem Ground Zero stammen soll. Es ist schön, dabei gewesen zu sein. |