© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/01 01/02 21. Dezember / 28. Dezember 2001

 
Stoibers Nagelprobe
Zuwanderung: Die Abstimmung über Schilys Zuwanderungspläne wird den Bundestags-Wahlkampf beeinflussen
Paul Rosen

Fest steht im Streit um die Zuwanderung bislang nur eines: Am 6. Februar wird der Bundesrat über das Gesetzesvorhaben zu entscheiden haben. Aber ob die Länderkammer den von Innenminister Otto Schily vorbereiteten und von der rot-grünen Koalition getragenen Entwurf passieren läßt, ist eine entscheidende Frage für die Union. Wenn es Schily gelingt, aus dem brüchig wirkenden bürgerlichen Oppositionsblock Stimmen herauszubrechen und das Paket durchzubringen, stirbt ein für die CDU/CSU wichtiges Wahlkampfthema. Die Ausländerpolitik würde im Wahlkampfkonzept keine Rolle mehr spielen können, wenn man selbst den rot-grünen Vorstellungen mit einigen Leihstimmen durch die Gremien geholfen hätte. Freuen könnten sich dann der frühere Hamburger Amtsrichter Ronald Barnabas Schill, dessen Partei das Thema wie eine reife Frucht in den Schoß fallen würde.

Die Kritikpunkte an den Zuwanderungsplänen der Koalition sind hinreichend bekannt: Angesichts einer Arbeitslosenzahl, die bald wieder über vier Millionen liegen könnte, wäre es nach Ansicht der meisten Oppositionspolitiker unverantwortlich, wenn man den Arbeitsämtern erlauben würde, bei regionalem Bedarf die Zuwanderung von nicht qualifizierten ausländischen Arbeitskräften zu erlauben. Auch die demographischen Probleme in Deutschland werden, so eine Argumentationslinie des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, nicht gelöst, wenn man 30jährige Zuwanderer ins Land strömen läßt, während 45jährige Deutsche heute in vielen Fällen als nur noch schwer vermittelbar gelten.

Es stellt sich außerdem die Frage, ob in Regionen wie München, wo es Arbeitskräftemangel und einen bereits sehr hohen Ausländeranteil gibt, die Integrationsfähigkeit nicht überfordert werden würde, wenn die Zuwanderung weiter erhöht würde. Schon heute hat die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland pro Jahr neue Ausländer in der Größenordnung der Einwohnerzahl der Stadt Dortmund zu integrieren.

Experten im Ausländerrecht in der Berliner Unionsfraktion weisen zudem darauf hin, daß es nach dem 11. September ein völlig falsches Signal wäre, wenn die Asyl- und Aufenthaltsgründe noch erweitert werden, zumal sich herausgestellt hat, daß Deutschland Ruhe- und Rückzugsraum für ausländische Terroristen war und vielleicht noch ist. Deshalb geht Schily in die falsche Richtung: Statt die Ausweisungs- und Abschiebevorschriften zu vereinfachen und die Einreise nach Deutschland durch strengere Regelungen im Visa-Recht zu verschärfen, erleichtert er die Einreise und den Verbleib in Deutschland.

Die innenpolitische Debatte verläuft wie immer: Schily wirft Stoiber vor, den Gesetzestext nicht genau gelesen zu haben. In Wirklichkeit wolle er eine Begrenzung und Steuerung der Zuwanderung, läßt der SPD-Innenminister wissen. Der CSU-Chef wirft Schily und der rot-grünen Koalition dagegen vor, die wahren Absichten des Gesetzentwurfs kunstvoll zu verschleiern und die Bürger hinters Licht zu führen. Zwar will der Bayer keine Unterschriftenaktion gegen das Zuwanderungsgesetz wie zuletzt gegen das rot-grüne Projekt einer doppelten Staatsbürgerschaft, aber in München wird sehr wohl überlegt, die Bundestagswahl am 22. September nächsten Jahres zu einer Volksabstimmung über die Zuwanderungspolitik zu machen.

Die Ablehnungsfront in den Ländern droht zu bröckeln

Das ginge natürlich nur, wenn Schilys Projekt nicht mit Hilfe von Unionsstimmen aus den großen Koalitionen in Brandenburg und Bremen oder mit Hilfe des Saarlandes durch den Bundesrat gebracht werden würde. Die Christdemokraten, besonders in Brandenburg, dessen vier Landesstimmen im Bundesrat für Schily reichen würden, zeigen sich schwankend. Sie denken an den Erhalt ihrer Koalition und wollen die Bildung einer rot-dunkelroten Regierung in Potsdam auf jeden Fall verhindern. Die CDU müßte die Große Koalition, wollte sie einen Rest Glaubwürdigkeit behalten, auf jeden Fall verlassen, sollte sich Ministerpräsident Manfred Stolpe über die verabredete Neutralität des Landes im Bundesrat hinwegsetzen und dem Zuwanderungsgesetz zur notwendigen Mehrheit verhelfen.

Während die CSU unbeirrt an ihrer klar ablehnenden Haltung festhält, kommen aus der Bundes-CDU unterschiedliche Signale. Parteichefin Angela Merkel zeigt sich offiziell ablehnend. Intern wird im Berliner Adenauerhaus jedoch überlegt, ob man den Kampf gegen die Zuwanderung nicht aufgeben soll, um ein „hartes“ Wahlkampfthema zu vermeiden und lieber auf Wirtschaftsthemen zu setzen. Schließlich habe die Wirtschaft, ließ Unionsfraktionschef Friedrich Merz bereits wissen, die Wahlkämpfe seit 1976 bestimmt.

Damit hängt auch die berüchtigte K-Frage zusammen: Ein Wahlkampf ohne Zuwanderungs- und Auslandspolitik würde Merkel besser gefallen als Stoiber; der Bayer müßte sich nach der Niederlage im Bundesrat überlegen, ob er überhaupt noch als Kandidat antreten könnte. Eine besonder Rolle spielt in diesem Zusammenhang der saarländische Ministerpräsident Peter Müller, der Chef der CDU-Zuwanderungskommission. Müller ließ in einem Hintergrundgespräch vor Journalisten in Berlin durchblicken, daß er gegen Merkel als Kanzlerkandidatin sei, und daß die anderen Unions-Ministerpräsidenten eine Kandidatur der Rostocker Pastorentochter auch ablehnen würden.

In den Parteigremien der CDU tobt ein heftiger Streit

Davon soll die Parteichefin nach in Berlin umlaufenden Gerüchten erfahren und den Vorgang selbst an die Medien gespielt haben, um Müller auf diese Weise bloßzustellen und wieder einzuordnen. Müllers Vorstoß verwunderte um so mehr, als daß er bisher der Parteichefin nahestand. Die Irritationen im CDU-Lager haben aber einen Hintergrund: In den Gremien tobt ein Streit, ob man nach dem Vorbild in Hamburg das Aufkommen neuer bürgerlicher Parteien nutzen könnte, um Mehrheiten in Parlamenten zu bekommen. Vor allem sieht man das Scheitern des Versuchs, in Berlin eine Ampelkoalition zu bilden und die FDP wieder von den Sozialdemokraten weg ins bürgerliche Lager zurückzurudern. Und Schill habe man, so glaubt man im Adenauerhaus, als Partner ohnehin fest in der Tasche.

Dabei spielt die CDU, was ihre Zukunft angeht, mit dem Feuer. Wenn sie auf Schill oder andere Parteien setzt, ist ihre bisher unbestrittene Führungsrolle im bürgerlichen Lager dahin. Doch für das Land wäre das Aufbrechen zementierter Parteistrukturen vielleicht eine Chance. Schaun wir mal.

Asylbeweber beim Ausfüllen von Unterlagen vor der Zweigstelle des Bundesamtes für die Aner-kennung ausländischer Flüchtlinge in Düsseldorf: Staatlich oder nichtstaatlich unterdrückt


 
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