© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/01 01/02 21. Dezember / 28. Dezember 2001

 
Das Ende der Illusionen ist gekommen
Großbritannien: Bericht zu den Rassenunruhen veröffentlicht / Scharfe Debatte um britische Leitkultur
Catherine Owerman

Fünf Monate nach den blutigen Rassenunruhen in den englischen Städten Bradford, Oldham und Burnley (siehe auch JF 31-32/01 und 49/01) hat eine von der Regierung Blair eingesetzte Untersuchungskommission unter Vorsitz von Ted Candle ihren Bericht zur Frage der Rassenbeziehungen veröffentlicht. Jetzt ist es amtlich: Es gibt in Großbritannien ein massives „Rassenproblem“. Statt eines friedlichen Miteinanders von weißen Briten und asiatischen Einwanderern haben sich Parallelgesellschaften gebildet. Feindselig oder zumindest mißtrauisch stehen sich verschiedene Welten gegenüber. Die multikulturellen Illusionen sind geplatzt.

Was alle wußten, und doch niemand auszusprechen wagte, wird endlich diskutiert: Asiatische Einwanderer und ihre Nachkommen haben in manchen englischen Industriestädten ganze Viertel unter ihre Kontrolle gebracht, mit eigenen Vereinen und Geschäften. In Schulen mit fast reinen Ausländerklassen findet keine Integration mehr statt. Weiße Briten und Ausländer, die den beruflichen Aufstieg geschafft haben, flüchten. Der Bericht spricht nicht von Ghettos, aber von „parallelen Lebenssphären“, die kaum noch Berührungspunkte mit der britischen Kultur aufwiesen. Ein junger Mann pakistanischer Abstammung, den die Candle-Kommission mehrfach befragte, wird mit den Worten zitiert: „Wenn ich von diesem Treffen wieder in mein Viertel komme, sehe ich dort kein einziges weißes Gesicht, bis ich nächste Woche wieder hier bin.“

Anhänger der Ideologie der Multikultur glaubten, die Spannungen ließen sich durch Totschweigen aus der Welt schaffen. Ausdrücklich schreibt dazu der Bericht, die Lage sei durch das Fehlen einer „ehrlichen und robusten Debatte“ verschlimmert worden, „da die Leute sich den sensiblen Themen Rasse, Religion und Kultur nur auf Zehenspitzen nähern“. Ein Sprecher von Premierminister Blair, sonst einer der Vorreiter, wenn es die „Pluralität Britanniens“ zu „feiern“ gilt, stimmte zu: Es sei falsch, „eine Art Selbstzensur der politischen Korrektheit zu üben, weil wir über Rassen reden.“ Dagegen argumentierten Vertreter der muslimischen Gemeinden wie üblich, rechte Gruppierungen könnten von einer offenen Diskussion profitieren. Nach Ansicht von Rhiad Ahmad, dem Vize-Bürgermeister von Oldham, trifft seine asiatischen Landsleute keine Schuld. Durch allgegenwärtigen „Faschismus und Rassismus“ würden sie an den Rand gedrängt.

Schon vor der Veröffentlichung des Candle-Berichts hatte Innenminister David Blunkett in einem Radiointerview über die zerrütteten Rassenbeziehungen gesprochen. Für ein „gesundes Zusammenleben“ sei es nötig, daß sich alle, auch die Zuwanderer, als Briten fühlten. Vor einer Einbürgerung sollte ein Englischtest verpflichtend sein, um ein Minimum an Kommunikationsfähigkeit sicherzustellen. Erst ein Drittel der etwa 80.000 jährlichen Einbürgerungskandidaten unterzieht sich einer solchen Prüfung. Heiratet ein Asiate mit britischem Paß einen Partner aus dem Heimatland, so erhält der automatisch die britische Staatsbürgerschaft. Für Aufregung sorgte Blunketts Bemerkung, Einwanderer müßten sich „britischen Normen“ anpassen. „Wir haben Normen des Annehmbaren, und diejenigen, die in unser Heim kommen - denn das ist es ja - sollten diese Normen akzeptieren, so wie wir es tun würden, wenn wir ins Ausland fahren.“

Blunkett sagte, er wolle keine erzwungene Integration, aber die Entwicklung hin zu „rassischen Ghettos“ müsse umgekehrt werden. Asiatische Interessenvertreter widersprachen heftig. Die Forderungen nach einem Englischtest oder „britischen Normen des Annehmbaren“ seien unverschämt. Um den Innenminister lächerlich zu machen, wurden Vergleiche mit Lord Tebbits absurdem „Cricket-Test“ angestellt. Dieser setzte Patriotismus mit Unterstützung für die englische Mannschaft gleich. Auch die „Faschismuskeule“ wurde eifrig geschwungen: „Ich sehe schon, wie die British National Party im nächsten Wählkampf diese Worte zitieren wird“, entrüstete sich Ahmad aus Oldham, wo die rechtsgerichtete Partei von Nick Griffin bei den letzten Wahlen ein Ergebnis von 16 Prozent erreichte.

Offenbar ist Blunkett entschlossen, die Mauer des Schweigens zu durchbrechen. Wie sein Vorgänger Jack Straw, den er vor sechs Monaten ablöste, ist er nun der Buhmann der linksliberalen Szene. Als Innenminister, der nach einer Augenkrankheit in jungen Jahren völlig erblindet ist, muß er seine Ohren nutzen. Er hört Volkes Stimme und räumt mit falschen Annahmen auf. Früher hoffte man, jüngere Einwanderer würden sich leichter integrieren als ihre Eltern. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Ebenso wird das Schlagwort „Multikultur“ jetzt von Blunkett negativ assoziiert.

Der Daily Telegraph, eine der vier großen nationalen Qualitätszeitungen, schrieb ungewohnt deutlich: Die Ideologie der Multikultur sei das Kind einer Abneigung der eigenen Kultur und Geschichte. „Es ist die traurige Wahrheit“, so ein Kommentar, „daß manche Politiker aktiv eine Balkanisierung Britanniens anstreben.“ Das geschehe mit dem Ziel, die Wählerstimmen bei ethnischen Minderheiten zu sichern. „Die Wahrheit ist, daß diejenigen, die am lautesten nach einer multikulturellen Gesellschaft schreien, tatsächlich eine Art Antikultur fördern.“ Die asiatischen Jugendlichen in Oldham, die Fenster einwarfen und Geschäfte plünderten, seien „das entwurzelte Produkt eines multikulturellen Schulsystems.“

Eine ganze Industrie von Dolmetschern, „Ethnostreetworkern“, Rassismus-Beratern und dergleichen profitiert von der Zersplitterung der Gesellschaft. Ihre Netzwerke sorgen dafür, daß Gegner der Masseneinwanderung an den medialen „Rassismus“-Pranger gestellt werden. Ein prominentes Opfer war Ray Honeyford, der Anfang der Achtziger Jahre vor asiatisch dominierten Ghettos warnte. Gegen Honeyford, damals Direktor der Drummond Mittelschule in Bradford, hetzten Einwanderungslobbyisten, bis er seinen Posten aufgeben mußte. In einem Gastkommentar für den Daily Telegraph schreibt er aus leidvoller Erfahrung über „Lehrer, die gezwungen werden, Rassimus-Bewußtseinsseminare zu besuchen, wo weißen Leuten ein Schuldbewußtsein eingepflanzt wird wegen ihrer Geschichte und Tradition.“ Nun dreht Honeyford den Spieß um: Man sollte die „Rassismus-Industrie“ abschaffen, damit eine unverkrampfte Debatte möglich sei. Der Bericht der Candle-Kommission hat eine Lawine ausgelöst, die einige Tabus der politischen Korrektheit unter sich begraben hat.

 

Fototext: Asiatisch-stämmige und weiße Briten bei Krawallen in Bradford: In der nordenglischen Stadt kam es mehrmals zu Straßenschlachten


 
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