© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/02 04. Januar 2002


Mit allen Mitteln bekämpfen
Österreich: Die Wiener Forderung nach zusätzlichen zweisprachigen Ortstafeln weckt alte Ängste in Kärnten
Carl Gustaf Ströhm

Außerhalb Österreichs vermag man sich unter dem Begriff „Ortstafelstreit“ wenig vorzustellen. Und selbst innerhalb der Alpenrepublik unterscheiden sich die Standpunkte, je nachdem, ob man ein Kärntner oder etwa ein Wiener ist. In Kärnten, dem südlichsten Bundesland Österreichs, gehen die Wogen hoch, weil der Wiener Verfassungsgerichtshof vor Weihnachten entschieden hat, daß in Zukunft nicht wie bisher Gemeinden mit 25 Prozent slowenischem Bevölkerungsanteil zweisprachige - deutsche und slowenische - Ortstafeln aufzustellen haben, sondern daß diese bereits ab zehn Prozent Anteil zu geschehen habe.

Was zunächst wie ein routinemäßiger Verwaltungsakt aussieht, war im Land nördlich der Karawanken bis vor kurzem Sprengstoff. Entlang der österreichischen Südgrenze lebt hier eine „autochthone“ slowenische Minderheit, deren Zahl zwischen 21.191 (Volkszählung 1991) und bis zu 50.000 Köpfe (laut Rat der Kärntner Slowenen) betragen soll. Zwischen der deutsch-kärntnerischen und der slowenisch-kärntnerischen Bevölkerung herrschte lange Zeit latente Spannung. Die Slowenen beschuldigten das Mehrheitsvolk, man wolle sie germanisieren. Die Deutschkärntner wiederum sahen das Gespenst der Slowenisierung vor sich. Es beginne mit zweisprachigen Ortstafeln - und am Ende werde behauptet, dieser Teil Kärntens sei ja eigentlich slowenisch und müsse an den südlichen Nachbarstaat angegliedert werden. Zur Zeit ist dieser Nachbar klein, aber noch vor einem Jahrzehnt standen an der Karawankengrenze jugoslawische Grenzpolizisten mit dem roten Partisanenstern auf der Mütze.

Seit dem Untergang der k.u.k.-Monarchie - und zum Teil auch vorher - hat sich zwischen Slowenen und „Deutsch-Österreichern“ vieles angesammelt. Da war am Ende des ersten Weltkrieges der „Abwehrkampf“: Eilig und improvisiert aufgestellte Freiwilligenverbände schlugen 1919/20 die bis nach Klagenfurt und an den Wörthersee vorgedrungenen südslawischen Truppen zurück, die Kärnten für das neue Belgrader Königreich erobern wollten. Noch heute stehen Gedenksteine an den Stellen der entscheidenden Gefechte - einer mit der Inschrift: „Bis hierher und nicht weiter/kamen die serbischen Reiter“. In einer Volksabstimmung votierten die Kärntner für den Verbleib bei Österreich, nur einige kleine Zipfel kamen zum späteren Jugoslawien.

Während der NS-Zeit wendete sich das Blatt: die Slowenen wurden drangsaliert, verfolgt, zwangsumgesiedelt. Im Gebirge formierten sich slowenische Partisanen, die wiederum die deutsch-kärntnerische Bevölkerung in Schrecken versetzten. Im Mai 1945 drangen Tito-Partisanen bis in die Landeshauptstadt Klagenfurt vor: Kärnten sollte nicht nur slawisiert, sondern zugleich auch unter dem roten Stern bolschewisiert werden. Damals, im Sommer 1945, zwangen Panzer der britischen Besatzungsmacht die Tito-Partisanen mit schußbereiten Kanonen zum Abzug. Kärnten blieb „frei und ungeteilt“.

Allerdings: Vorher hatten Titos Partisanen unter der deutsch-kärntnerischen Bevölkerung blutige Ernte gehalten. Es gab Erschießungen, und mehr als 300 Personen wurden verhaftet und außer Landes verschleppt. Sie sind nie wieder zurückgekehrt. Zurück blieb die „Urangst“ vor den Slawen, die noch ein drittes Mal wiederkommen könnten. Bei den Kärntner Slowenen blieb das Mißtrauen gegen die „germanische Woge“, welche die Minderheit wegspülen und ihrer Identität berauben werde - auch unter demokratischen Vorzeichen und unter dem Schutz des Artikel 7 des Staatsvertrages von 1955 zwischen Wien und den vier Siegermächten, der einen extensiven Minderheitenschutz vorsah.

Erschwerend wirkte sich die Tatsache aus, daß der damalige Nachbar Österreichs Jugoslawien hieß und zumindest ein Teil der Kärntner Slowenen mit dem Titoismus liebäugelte, obwohl ihnen natürlich klar war, daß der Lebensstandard in Österreich unvergleichlich höher war. Heute gibt es auf der anderen Seite der Grenze die kleine, zwei Millionen umfassende Republik Slowenien - aber bei manchen Kärntnern ist das Mißtrauen geblieben.

In Wien hat man die Kärntner Problematik oft nicht begriffen oder nicht begreifen wollen. Der jüngste Spruch des österreichischen Verfassungsgerichtshofs ist ein typischer Fall: Hier wurde - wahrscheinlich unbeabsichtigt - von den Verfassungsrichtern eine politische Lawine losgetreten. Das slowenische Minderheitenproblem, das sich bisher - übrigens auch und gerade unter dem Landeshauptmann Jörg Haider ganz positiv entwickelte, wurde plötzlich wieder brisant und gefährlich. Manche behaupten sogar, das sei mit Absicht geschehen. Die zum Teil noch unter „roter“ Ägide ernannten Verfassungsrichter haben jedenfalls - möglicherweise ahnungslos - einen Sprengsatz an die ÖVP-FPÖ-Koalition gelegt.

Haider hat daraufhin den Rücktritt des Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs, Ludwig Adamovich, gefordert und angekündigt, den Entscheid „mit allen Mitteln“ - auch einem Volksentscheid - zu bekämpfen. Der Wiener FPÖ-Klubobmann Peter Westenthaler bezeichnete das Urteil hinsichtlich der Zehn-Prozent-Ortstafeln als „skurril“. Interessant ist jedenfalls, daß auch die Kärntner SPÖ und ÖVP Haiders Poltern nicht unbedingt verurteilen, sondern sich in der Sache weitgehend mit ihm einig sind. Das Urteil des Verfassungsgerichts schmeckt nach Parteilichkeit, zumindest aber zeugt es von Instinktlosigkeit.

Schon einmal hat die Kärntner Bevölkerung mit Massendemonstrationen das Aufstellen zweisprachiger Ortstafeln verhindert. Das war 1972 und führte zum Sturz des damaligen sozialistischen Landeshauptmanns Hans Sima. Auch der beliebte SPÖ-Bundeskanzler Bruno Kreisky wurde seinerzeit von den Klagenfurtern ausgepfiffen.

Man kann natürlich (so wie mancher Wiener Linke) sagen, alle diese Angstreaktionen seien unsinnig und es mache nichts, ob da einige Dutzend mehr slowenische Ortstafeln stehen. Doch in Kärnten zeigt sich wieder einmal, daß politisches Agieren und Reagieren nicht immer „national“ abgeschätzt werden kann. Europa hin oder her - die meisten Kärntner wollen keine Slowenen sein. Auf der anderen Seite bekennen sich die Slowenen neuerdings zu ihrem „Volkstum“: Ein wenig Slowenentum gilt sogar als chic. Aber auch und gerade der Fall Kärnten zeigt, daß eine „Multi-kulti“-Situation zwar nach außen sehr attraktiv wirkt, nach innen aber mehr Probleme schafft, als sie zu lösen. Wenn radikale Elemente der slowenischen Minderheit erst einmal erkannt haben, daß man unter dem Mantel der „Menschenrechte“ alles mögliche einfordern und dazu die nötige Unruhe fabrizieren kann, wird das Minderheitenproblem in Kärnten kein Einzelfall bleiben.

 

Volksgruppen in Österreich

Slowenen 50.000

Kroaten 40.000 bis 50.000

Ungarn 20.000 bis 30.000

Tschechen10.000 bis 20.000

Zigeuner 10.000 bis 20.000

Slowaken 5.000 bis 10.000

Geschätzte Größe der anerkannten autotochthonen Volksgruppen seit mindestens drei Generationen in Österreich wohnhaft, österreichische Staatsbürgerschaft

 

Fototext: Inkorporierter vom Kärntner Heimatdienst: Die erfolgreiche Volksabstimmung vom 10. Oktober 1920 wird jedes Jahr offiziell gefeiert


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen