© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/02 11. Januar 2002


Erzfeinde drohen mit Atombombe
Asien: Seit der Unabhängigkeit 1947 streiten sich Indien und Pakistan um Kaschmir
Alexander Röhreke

Als Mahmud von Ghazni zu Beginn des 11. Jahrhunderts plündernd und brandschatzend nach Nordindien vordrang, begann die Zeit der moslemischen Eroberungen in Südasien. Seit dieser Zeit datiert der unterschwellige Haß der Hindus, von Generation zu Generation weitergereicht, auf die Jahrhunderte dauernde Muslimherrschaft, die nach 1586 auch Kaschmir umfaßte.

Obwohl ein großer Teil der Bevölkerung Kaschmirs zum Islam konvertierte, setzten die Briten nach der Eroberung des Sikh-Reichs 1846 eine Hindu-Dynastie ein. Hari Singh, letzter der Dogra-Dynastie, erklärte 1947 den Beitritt des mehrheitlich muslimischen Landes zur Indischen Union. Es kam zum ersten indo-pakistanischen Krieg, der 1949 an jener Demarkationslinie endete, an der seit dem Anschlag von Terroristen auf das indische Bundesparlament am 13. Dezember 2001 wieder täglich geschossen wird.

Der Kaschmirkonflikt, der 1965 zum zweiten indo-pakistanischen Krieg führte, hatte in den letzten 15 Jahren eine neue Wendung erfahren, als erstmals einheimische Kräfte auftraten, die die Unabhängigkeit von Indien in dem von der Indischen Union kontrollierten Teil des ehemaligen Fürstentums verlangten. Diese Gruppen, wie die Befreiungsfront für Jammu und Kaschmir (JKLF) oder die Hurriyat-Konferenz, die eine Selbständigkeit Kaschmirs befürworten, sind jedoch zwischen die Mühlräder der indischen Armee und radikaler, von Pakistan geförderter Guerilleros geraten und haben an Einfluß verloren. Militärisch ist die JKLF inzwischen bedeutungslos. Anders hingegen die Organisationen Lashkar-e-Toiba oder Jaish-e-Mohammed: Sie unterhalten im pakistanischen Teil Kaschmirs neben Ausbildungslager eine weitverzweigte Infrastruktur, zu der Koranschulen ebenso gehören wie Saatbanken und soziale Unterstützungsgruppen. Diesen Guerillagruppen wird der Anschlag vom 13. Dezember seitens Delhis zur Last gelegt.

Die Lashkar-e-Toiba zählt viele afghanische, arabische und pakistanische Bürger in ihren Reihen, die noch gegen die Sowjetunion in Afghanistan gekämpft hatten. Dieselbe Strategie, die zur Niederlage Moskaus am Hindukusch führte, sollte in Kaschmir zur Abnutzung und Erschöpfung Indiens dienen. Terror gegen die indischen Truppen in Kaschmir sollte Repressalien gegen die Zivilbevölkerung erwirken, die dadurch gegen die indische Besatzung aufgewiegelt werden konnte.

Die Taktik hatte anfangs Erfolg. Es kam zur Auflösung des Regionalparlaments und zur Suspendierung des Autonomiestatuts. Vor fünf Jahren wurde jedoch die direkte Regierung durch Neu Delhi wieder aufgehoben. Nach den Wahlen von 1996 wurde eine neue Regierung unter Faruk Abdullah gebildet, der schon nach dem Anschlag auf das Regionalparlament von Srinagar vor jetzt einem Jahr, eine militärische Antwort Indiens gefordert hatte. Im Jahr davor, im Frühjahr 1999, hatte es einen Angriff von Exil-Kaschmiri mit Unterstützung von Afghanistankämpfern und drei Bataillonen pakistanischer Gebirgsjäger im Khargilmassiv gegeben, wodurch es beinahe zum Krieg zwischen Indien und Pakistan gekommen wäre.

Pakistan - an Menschen, Militär und Ökonomie Indien weit unterlegen - verfolgte mit dem Ende des sowjetischen Engagements in Afghanistan und dem Beginn des Kaschmiraufstands im Jahr 1989 eine Doppelstrategie zur „Heimholung“ Kaschmirs: Zum einen förderte es die Kräfte im afghanischen Bürgerkrieg, die seinem Ziel dienten, sich für den Fall eines Kriegs mit Indien den Rücken frei zu halten. Die Taliban waren die Folge. Zum anderen instrumentalisierte Pakistans Militär die islamischen Kräfte. Rekrutiert in islamischen Gebetshäusern, wurden viele junge Kaschmiri ebenso wie Pakistaner aus verarmten Familien zu Gotteskriegern ausgebildet. Von den pakistanischen Lagern ging es dann über Schleichwege ins indische Kaschmir, wo viele der idealistischen Jugendlichen im Feuer indischer Patrouillen liegenblieben. Andere hingegen (wie die Lashkar-e-Jabbar oder die Harkat-ul-Mujaheddin) wurden zu rücksichtslosen Terroristen, die kaschmirische Frauen, die sich zu verschleiern weigerten, mit Säureattentaten nachstellten oder Touristen wie den Deutschen Dirk Hasert ermordeten.

Mit dem 11. September brach aber Pakistans Strategie in sich zusammen: Erst mußte es seine Schützlinge, die Taliban, preisgeben und nach dem Siegeszug der Nordallianz eine Pakistan abholde Regierung in Kabul akzeptieren, womit die strategische Glacis verlorenging. Durch das Attentat vom 13. Dezember war es gezwungen, gegen die kaschmirische Guerilla im eigenen Land vorzugehen, um einen Angriff Indiens zu vermeiden, den Pakistan als Staat nicht würde überleben können. Pakistans Militärherrscher Pervez Musharraf steht nun vor dem Scherbenhaufen, den der Zusammenbruch auch des zweiten Teils der Kaschmirstrategie hinterläßt: Er wird sich mit Indien vergleichen müssen und zwar zu den Konditionen Neu-Delhis oder es wird Krieg geben mit allen Implikationen, die ein Krieg zwischen Nuklearmächten mit sich bringt. Militärisch unterlegen und wirtschaftlich am Ende, hat Islamabad sich entschieden, den indischen Forderungen nach Verhaftung des Muslimextremisten erst einmal nachzukommen. Hunderte von Kaschmiraktivisten sind inzwischen verhaftet worden, darunter auch einige der von Indien dringend des Parlamentanschlags Verdächtigten. Ob Musharraf das Nachgeben gegenüber Indien innenpolitisch überlebt, bleibt fraglich. Ohne das Militär als Klammer wäre Pakistan als Staat am Ende. Die fortschreitende Radikalisierung der islamischen Kräfte durch die Ereignisse des letzten Vierteljahrs könnte das pakistanische Militär längerfristig von innen her auflösen. Pakistans Zukunft: Ein Fragezeichen.

Und Indien? Es wird Kaschmir, die wichtigste Korn- und Gemüsekammer des Landes, mit Sicherheit nie aufgeben. Keine Rolle spielt im momentanen Konflikt der Ostteil Kaschmirs. 1962 verlor Indien diese an Tibet grenzenden Gebiete an die Volksrepublik China, 1963 mußte Pakistan Peking nachgeben.


 
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