© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/02 11. Januar 2002

 
BLICK NACH OSTEN
Doppelte moralische Buchführung
Carl Gustaf Ströhm

Wenn von Slowenien die Rede ist, überwiegen freundliche, manchmal auch gönnerhaft-herablassende Töne. Seht her, die artigen kleinen Slowenen: Sie haben drei Viertel aller EU-Verhandlungskapitel abgeschlossen. Die EU-Kommission bescheinigt ihnen „politische Reife“. Sie sind der einzige Nachfolgestaat Tito-Jugoslawiens ohne nennenswerte Korruption. Kritisch vermerkt wird ein immer noch zu großer Einfluß des Staates in Teilbereichen der Wirtschaft und eine noch ausstehende Reform des Finanzwesens im Sinne liberalisierter Investitionsmöglichkeiten des Auslands.

Das „Ländchen“ - wie die zwei Millionen Slowenen ihre Heimat nennen - hat 2001 pro Kopf ein Bruttoinlandsprodukt von über 10.000 Euro erwirtschaftet. Was also sollte EU und Nato daran hindern, das Land (so groß wie Rheinland-Pfalz) schleunigst als Vollmitglied aufzunehmen? Die Präsidenten der USA und Rußlands, Bush und Putin, werteten Slowenien sichtbar auf, indem sie ihren ersten Gipfel nicht in Wien, sondern in der alten k.u.k.-Provinzstadt Laibach (Ljubljana) abhielten.

Gewiß, da sind noch die Probleme mit dem Nachbarn Österreich: die wieder aufflackernde Frage der slowenischen Minderheit in Kärnten einerseits und die ungelöste Problematik der Avnoj-Beschlüsse andererseits (jener Tito-Gesetze, welche 1945 alle Volksdeutschen für vogelfrei erklärten). Da wird dann die nicht aufgearbeitete Vergangenheit des kommunistischen Partisanenkrieges 1941-1945 sichtbar, zu dem ein großer Teil der heutigen slowenischen politischen Klasse - da selbst aus der KP hervorgegangen - ein ambivalentes Verhältnis pflegt.

Inmitten der Beitrittsbegeisterung melden sich allerdings auch in Slowenien kritische Stimmen zu Wort, wie Ivan Ribnikar, Wirtschaftsprofessor an der Uni Laibach, in der Zeitung Delo: „Bei uns (in Slowenien) hört man vor allem auf das, was in Brüssel, Washington und in den Hauptstädten der anderen entwickelten Staaten gesagt wird. Zu wenig aber lenken wir das Augenmerk auf das, was dort wirklich getan wird. Bei sich zu Hause tut man dann vieles anders, ganz anders als das, was man anderen empfiehlt.“

Der slowenische Finanzwissenschaftler beschuldigt also den Westen - vor allem die EU - einer Art doppelten moralischen Buchführung: Man verlange von den EU-Kandidaten Dinge, die man selbst bei sich zu leisten weder willens noch imstande sei. Seinen slowenischen Landsleuten hält Ribnikar vor, sie hätten noch nicht gelernt, über Parteigrenzen hinweg nationale Interessen Sloweniens zu verteidigen. Die französischen und britischen „Eliten“ wüßten hingegen genau, wie man das mache. „Bei uns haben wir das noch nicht geklärt“, so Ribnikar.

Die grundlegende Strategie Sloweniens, so der Laibacher Professor vor Weihnachten in Delo, sei „verengt“ auf den Nato- und EU-Beitritt. Dies aber sei gar keine Strategie - denn Strategie sei ein Mittel, durch das man auf einen Zustand einwirken wolle. Aber zum Beitritt Sloweniens in die EU werde es früher oder später „aus sich selber heraus“ kommen. Das als Strategie zu bezeichnen, sei so, als wolle man sich auf ein Floß begeben und verkünden, es sei unser Ziel einen Hafen flußabwärts zu erreichen. „Dorthin gelangt das Floß ganz von alleine. Was unvermeidlich ist, können wir nicht als Strategie bezeichnen.“ Hinter diesen Worten wird eine gewisse Sorge einer kleinen Nation sichtbar, von künftigen Mega-Integrationen verschluckt zu werden. Bezeichnend ist, daß man im Westen solche Stimmen ignoriert.


 
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