© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/02 11. Januar 2002

 
Kommunaletats speisen die Sozialämter
Steuerpolitik: Viele Städte und Gemeinden sind finanziell am Ende / Forderung nach Soforthilfeprogramm
Bernd-Thomas Ramb

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) hat in seiner Jahresbilanz 2001 und seiner Prognose für das Jahr 2002 ein düsteres Bild der finanziellen Not gezeichnet. Der Präsident des DStGB, Roland Schäfer, fordert von Bund und Ländern ein Sofortprogramm zur kurzfristigen Milderung der hohen Einnahmenausfälle, die den Städten und Gemeinden aufgrund der Steuerreform und der schlechten Konjunkturlage entstehen. Die Investitionsausgaben der Kommunen sind so niedrig wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Statt dessen verkommen die Kommunalhaushalte zu reinen Sozialhilfeämtern. Im Hinblick auf die bevorstehende Bundestagswahl weist der Gemeindebund unverhohlen drohend darauf hin, daß Wahlen in den Städten entschieden würden.

Der Einkommenseinbruch der Kommunen ist zum einen auf die drastisch gesunkenen Gewerbesteuereinnahmen zurückzuführen, die Haupteinnahmequelle der Städte und Gemeinden und die einzige Steuer, deren Höhe von ihnen autonom durch die Bestimmung der Hebesätze festgelegt werden kann. Aufgrund des sich seit Jahresmitte 2001 verschärft abzeichnenden Konjunktureinbruchs sanken die Gewerbesteuern im letzten Jahr um zwölf Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das reißt ein Loch von 2,6 Milliarden Euro in die Gemeindekassen. Nun steigt auch noch der Anteil, den die Kommunen aus den Gewerbesteuereinnahmen an Bund und Länder abzugeben haben, von 20 auf 30 Prozent. Das senkt die Einnahmen der Kommunen in diesem Jahr nochmals um 1,5 Milliarden Euro. Eine erste Forderung des DStGB ist daher die sofortige Rücknahme dieser Steuergesetzänderung.

Auf der Ausgabenseite werden den Gemeinden immer höhere Belastungen auferlegt. So schlägt die diesjährige Kindergelderhöhung mit zusätzlichen rechtsverbindlichen Ausgaben in Höhe von 5,5 Milliarden Euro zu Buche. Der katastrophale Anstieg der Arbeitslosigkeit wirkt gleicht doppelt. Zum einen sinkt das bundesweit erhobene Einkommen-steueraufkommen, an dem die Kommunen prozentual beteiligt sind. Für das abgelaufene Jahr wird mit einem Rückgang des Einkommens aus diesem Topf um 3,5 Prozent gerechnet. Die optimistische Prognose, dieser Posten werde in diesem Jahr wieder ansteigen, ist bereits jetzt schon Makulatur, den sie beruhte auf einem erwarteten Wirtschaftswachstum von drei Prozent. Bei realistisch zu erwartenden 0,7 Prozent Wirtschaftswachstum können die Gemeinden froh sein, wenn ihre Einnahmen aus der Einkommensteuerbeteiligung nicht noch weiter absinken.

Zum anderen bewirkt die dauerhafte Arbeitslosigkeit eine steigende Belastung der Kommunalausgaben im Rahmen der Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Im letzten Jahr erreichten die Sozialausgaben der Gemeinden die Rekordsumme von 20 Milliarden Euro - Tendenz steigend. Jeder dritte Arbeitslose zählt als Langzeitarbeitsloser mit Anspruch auf Arbeitslosen- oder Sozialhilfe, die von den Gemeinden finanziert wird. Umgekehrt stehen von den 2,8 Millionen Sozialhilfeempfängern nur etwa eine Million dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Für die Kommunen bedeutet dies somit eine Dauerbelastung, die sie zudem mit Niedriglohnjobs kaum mildern dürften.

Geringere Einnahmen und höhere soziale Ausgaben lassen den Spielraum für Sachinvestitionen auf Nullwerte schrumpfen. An eine Senkung der Schuldenlast, die aktuell insgesamt 1,2 Billionen Euro beträgt, können die Gemeinden schon gar nicht denken. Das Problem ist nicht neu. Bereits seit 1990 sinken die Neuinvestitionen der Westkommunen kontinuierlich. Die Gemeinden der neuen Länder konnten wenigstens bis 1995 einen leichten Anstieg vermelden. Nun brechen aber auch dort die Neuinvestitionen um fast die Hälfe ein. Insgesamt sind die kommunalen Investitionen im letzten Jahr auf ihren geringsten Wert seit dem Kriegsende abgesackt.

Die Probleme der Bauindustrie sind nicht zuletzt auf die mangelhaften Investitionsmöglichkeiten der Kommunen zurückzuführen, denn 70 Prozent der Bauleistungen werden von kommunalen Trägern geordert. In Zahlen ausgedrückt, fehlen gegenüber 1991 jährlich für 5,5 Milliarden Euro Investitionsaufträge. Die Folgen sind nicht nur arbeitslose Bauarbeiter und insolvente Baufirmen, sondern auch marode Schulgebäude, sanierungsbedürftige Kanal- und Wasserleitungen, Schlaglöcher in den Straßen und zur Schließung anstehende Schwimmbäder. Dabei hat das Deutsche Institut für Urbanistik einen Investitionsbedarf von 473 Milliarden Euro geschätzt, der in den nächsten zehn Jahren zu erbringen ist, wenn die Lebensqualität in Deutschland nicht drastisch sinken soll.

Kein Wunder also, wenn der Deutsche Städte- und Gemeindebund Alarm schlägt und nicht nur ein Soforthilfeprogramm fordert, sondern auch an eine dauerhafte Reform der Gemeindefinanzierung denkt. Dabei werden abenteuerliche Vorschläge nicht ausgespart. So scheut der DStGB in seiner Not beispielsweise nicht vor der Forderung nach einer Ausweitung der Gewerbesteuerpflicht für Freiberufler zurück. Mehr Sinn macht da seine Bitte, von unsinnigen bürokratischen und kostspieligen Aufgaben befreit zu werden. „Im Bereich des Umwelt- und Naturschutzes werden den Städten und Gemeinden sowohl durch europäische als auch durch nationale Vorgaben immer weitere Standards auferlegt, die ein Mehr an Bürokratie und Kosten bei nicht erkennbarem Gewinn für die Umwelt bewirken“, so die Klage. Was auch immer die Politiker an Reformvorstellungen zu den Kommunalfinanzen entwickeln, viel Zeit haben sie nicht mehr. Zumal die nächsten Wahlen anstehen.


 
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