© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/02 11. Januar 2002

 
Zitate gegen Rechts
Im Westdeutschen Verlag nichts Neues: Ein Buch über die Neue Rechte und die Berliner Republik
Baal Müller

Als Doktorand kann man es sich im zeitgenössischen Wissenschaftsbetrieb gemütlich machen, wenn man das richtige Thema gewählt hat: Man kassiert Stipendien des Landes Berlin sowie der Studienstiftung der Süddeutschen Zeitung, verbringt seine Zeit mit dem Aneinanderreihen von Zitaten, die gelegentlich durch eigene Kommentare verbunden werden und darf sich freuen, dabei auch noch etwas Nützliches und Mutiges zu tun; schließlich arbeitet man an einer Dissertation über „Die Neue Rechte und die Berliner Republik“, welche laut Untertitel „parallel laufende Wege im Normalisierungsdiskurs“ zum Gegenstand hat.

Unter diesem „Normalisierungsdiskurs“ versteht Schmidt die von ihm überall wahrgenommenen publizistischen Bestrebungen einer auf dem Vormarsch befindlichen Neuen Rechten in Verbindung mit einem angeblich etablierten Konservatismus - er meint damit vor allem die Union -, den aus der „historischen Erfahrung“ resultierenden antinationalen Grundkonsens der alten Bundesrepublik zugunsten eines neuen Nationalismus zu verabschieden.

In vertrauter Antifa-Manier, aber mit wissenschaftlicher Ummäntelung durch Zitat- und Fußnotenkollektaneen, gelingt es ihm, in nahezu allen politischen Entwicklungen des nach seiner Auffassung vollständig souverän gewordenen deutschen Nationalstaates - also in unserem Stück „Euroland“ - die alles verschlingenden Hydrenköpfe des nationalistischen Monstrums auszumachen: zuallererst und immer noch in der Wiedervereinigung, die „gegen den Willen der ostdeutschen Demokratiebewegung“ und der westdeutschen Bedenkenträger obrigkeitlich durchgeboxt worden sei. Dann in den „rassistischen Pogromen gegen Migranten und Flüchtlinge“ - die aus der „Renationalisierung“ Deutschlands und nicht etwa aus der Verwahrlosung der Jugend und moralischen Verrohung von Teilen der Bevölkerung aufgrund der geistigen Altlasten der DDR sowie aus fehlgeleitetem pubertären Protest gegen den omnipräsenten pseudomoralischen Zeigefinger resultieren sollen. Und schließlich in den von ihm phantasmagorierten Bestrebungen von Politik und Medien, sich aus der „Verantwortung für Auschwitz“ herauszustehlen sowie in einer neudeutschen Großmachtpolitik, deren Protagonisten etwa mit der Anerkennung Kroatiens und Sloweniens vorangeprescht seien und den Aktionsradius der Bundeswehr immer weiter ausgedehnt hätten.

Da die Verabschiedung des altbundesrepublikanischen Konsenses, die Bundeswehr ausschließlich zur Landes- oder Bündnisverteidigung, nicht aber für globale Friedensmissionen einzusetzen, nach Friedemann Schmidts Logik selbstverständlich nur „von rechts“ ausgehen konnte, sieht er sich genötigt, den verderblichen Einfluß der Neuen Rechten, den er vor allem anhand der Zeitschrift Criticón zu Zeiten ihres Gründers Caspar von Schrenck-Notzing „nachzuweisen“ sucht, bis in die Politik der rot-grünen Bundesregierung hinein auszudehnen. Während der Konservatismus schon „immer einen potentiellen Ansprechpartner der extremen Rechten“ darstelle und „zu einem erheblichen Teil deren Spiel- und Handlungsraum“ bestimme, hat das nationalistische Virus aufgrund einer fortschreitenden „Erosion der Abgrenzung“ in Schmidts Welt auch die Linke derart erfaßt, daß „viele Beobachter Augen und Ohren nicht trauten“, als Kanzler Schröder nach dem Regierungswechsel den „nationalen Populismus“ seines Vorgängers „etwa mit naßforschen Äußerungen zur Europäischen (Großschreibung im Original, B.M.) Integration, zur Osterweiterung der EU oder zur Endlichkeit von Schadensersatzansprüchen ehemaliger NS-Zwangsarbeiter noch deutlich übertraf.“ Den Leser packt ohrenschlackernde Bestürzung! „Das Anliegen, einer ‚selbstbewußten‘ und ‚erwachsenen Nation‘ den Weg in die ‚Normalität‘ nationalstaatlicher Interessenpolitik zu bahnen“ - Schmidt meint anscheinend die deutsche Politik nach 1989/90 - „schien plötzlich nicht mehr nur die Herzensangelegenheit konservativer Politiker und Leitartikler, sondern auch eine handlungsleitende Prämisse der nunmehr regierenden Mitte-Links-Koalition geworden zu sein“ - und immer stehen die bösen Buben von Criticón dahinter, als „Stichwortgeber” wie als „zuverlässige Indikatoren“ der vermeintlichen Rechtswende.

Mit seinem larmoyanten, nörgelnden Eckenstehertum und seiner auf die „Zivilisationsgewinne“ der Zweistaatlichkeit und „sozialstaatlichen Errungenschaften“ der DDR fixierten Rückwärtsgewandtheit vertritt Schmidt eine altlinke Unbelehrbarkeit, wie sie vom Medienkanzlerpragmatismus längst verabschiedet wurde und allenfalls noch in politikfreien Kuschelecken betreut und in ideologischen Reservaten endgelagert wird. Selbst die abgedroschensten Denkverbote von vorgestern und sogar noch die stalinistische Propaganda bezüglich des Mauerbaus werden als quasireligiöse Dogmen verteidigt, und ihr Bekenner zeigt eine stupide Beharrlichkeit und dienstbeflissene Gründlichkeit, die man gerne als „typisch deutsch“ apostrophieren möchte - würde man damit nicht die Negativklischees von Schmidt und Konsorten nur weiterreichen.

Von theoretischer Arbeit hält Schmidt leider nicht viel, wie er unumwunden zugibt, denn „bewußt wurde weitgehend darauf verzichtet, die ideologischen Wurzeln der Neuen Rechten herauszuarbeiten“. Statt dessen favorisiert er deren empirische Behandlung oder, wie er es, andere getreulich zitierend, nennt, den „Primat des forschungspragmatischen Einlassens auf die Empirie der Neuen Rechten und die qualitativ-detaillierte Quellenanalyse im Sinne einer Vorarbeit für das historische induktive Erschließen des Phänomens“. Frei übersetzt also: Zitate sammeln gegen Rechts! Natürlich kommt dabei der Analyse des „nonverbalen Kontextes“ eine besondere Bedeutung zu, denn was in den Texten selbst nicht zu finden ist, muß eben zwischen den Zeilen stehen, und vor allem dort findet man es allemal, wenn man so genau wie Herr Schmidt weiß, was man sucht. Mit empirischer, ergebnisoffener, fallibistischer Forschung hat solche Schnitzeljagd mit selber ausgestreuten Ideologiefetzen freilich ebensowenig zu tun wie mit theoretischem Nachdenken.

Immerhin bleibt Schmidt das Verdienst, durch gründliche Quellenangaben eine zum Nachschlagen verwendbare Sammlung und Sichtung politischer Literatur vorgelegt zu haben, die in ihrer seismographischen Hellhörigkeit, mit der sie etwa Ende der achtziger Jahre den baldigen Zusammenbruch des Sozialismus voraussagte oder Huntingtons These vom Kampf der Kulturen vorwegnahm, auch heute noch - oder wieder - erstaunt.

Friedemann Schmidt: Die Neue Rechte und die Berliner Republik. Parallel laufende Wege im Normalisierungsdiskurs. Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 2001, 400 Seiten, 39 Euro


 
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