© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/02 11. Januar 2002

 
Geschliffen und kompetent
Nachruf: Zum Tod des Kritikers Hans-Jörg von Jena
Angelika Willig

Wir hätten seine Schüler sein können. Als Hans-Jörg von Jena Anfang der neunziger Jahre zur JUNGEN FREIHEIT stieß, herrschte eine gewisse Befangenheit. Man merkte, daß hier Wert auf Anstand gelegt wurde. Ein Schüler war es in der Tat, der den Studienrat für Deutsch und Geschichte am Kant-Gymnasium in Berlin-Spandau auf unser Blatt aufmerksam gemacht hatte. Unter dem Pseudonym Harald Rauch begann er in freier Mitarbeit hauptsächlich Musik- und Theaterkritiken für die JUNGE FREIHEIT zu schreiben. Wir wußten wenig von ihm. Die journalistische Herkunft vom Spandauer Volksblatt machte ihn in unserer Augen noch nicht zum Vollprofi. Eher verbuchten wir ihn unter dem Typ „Lehrer mit höheren Ambitionen“, auf den man bei freien Mitarbeitern immer wieder stößt. Seine Beiträge konnte keiner von uns richtig beurteilen. Sie klangen glatt und fließend, sicher und mühelos. Es fehlte jene kulturkritische Polemik, die Dilettanten beeindruckt und ohne detaillierte Kenntnisse auskommt.

Dabei überhörte man manche Zwischentöne. Das Moderne und Skandalöse verfing nicht bei Hans-Jörg von Jena: Weder reagierte er mit unangebrachtem Enthusiasmus noch mit dem Entsetzen, das Konservative angesichts einer Bayreuther Premiere bereits erwarten. Er hörte sich die Sache lieber erst mal an. Diese ruhige Sachlichkeit wirkte in unserem Kreis eher unheimlich. Da schien sich jemand für Musik und Theater mehr zu interessieren als für ihre ideologische Ausschlachtung. Intellektuelle Moden prallten an ihm ab wie an einem Felsen. Vielleicht hatte das auch mit der finanziellen Unabhängigkeit durch den Lehrerberuf zu tun. „Gut zu verkaufen“ brauchte er sich nicht. Man mußte ihn einfach machen lassen und hoffen, daß Qualität ihr Publikum findet.

Nach seiner Pensionierung legte von Jena sein Pseudonym ab und schrieb nun unter seinem richtigen Namen in der JUNGEN FREIHEIT, publizierte aber weiterhin auch in der Welt oder der Süddeutschen Zeitung. Diese Ungebundenheit und reibungslose Zusammenarbeit funktionierte bis wenige Tage vor seinem Tod am 25. Dezember 2001; sein letzter Beitrag in der JF, eine Kritik der Neuenfels-Inszenierung von Shakespeares „Titus Andronikus“ am Deutschen Theater in Berlin, erschien noch am 21. Dezember.

Einen Fehler muß man Hans-Jörg von Jena ankreiden: seine große Bescheidenheit. Die Gesprächsrunde „Der spitze Kreis“ im Berliner Offenen Kanal über kulturelle Ereignisse ist mit dem „Literarischen Quartett“ verglichen worden. Und nur wenig Aufhebens machte von Jena um den Vorsitz des Verbandes deutscher Kritiker, den er von 1988 bis 1991 und dann noch einmal 1992/93 innehatte.

Als von Jena einmal mit stiller Begeisterung von einer Japan-Tournee der Berliner Philharmoniker berichtete, die er begleiten durfte, erkannte man für einen Augenblick die Verbundenheit des alten Berliners mit dem Orchester seiner Heimatstadt, das zu einem der besten Orchester der Welt geworden war. Über alle Grenzen hinweg.

Gibt es eine „ewige Kunst“, die von sich wandelnden Wirklichkeiten unabhängig ist? Nein, aber es gibt ein europäisches Bürgertum, das die Grundlagen unserer Kultur geschaffen und seinen Ausdruck unter aller Albernheit und Geschmacklosigkeit unzerstörbar hinterlassen hat. Dafür steht der Gesinnungsadlige Hans-Jörg von Jena. Am 11. Januar wäre er 71 Jahre alt geworden. Die Beisetzung findet an diesem Sonnabend in Berlin-Wilmersdorf statt.


 
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