© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/02 18. Januar 2002

 
Das Militär als Opfer
Über die Eignung der Bundeswehr zum Weltpolizisten
Klaus Ulrich Hammel

Nach mühsamem Vorlauf und einer Verlegung voller Hindernisse - die Wettergötter hatten offenbar Vorbehalte gegen Bundeswehrsoldaten - patroullieren mittlerweile deutsche Fallschirmjäger in Kabul, als erweiterte Palastwache sozusagen, im Rahmen der UN-Schutztruppe für die afghanische Übergangsregierung. Das Auslaufen des deutschen Flottenverbandes zur „Terroristenjagd“ am Horn von Afrika, ohne klaren Auftrag und Einsatzraum, bietet den Karikaturisten der größeren Blätter der Tagespresse ein Feld für ironische Kommentare.

Hierbei wäre Stoff für längere Diskussionen leicht zu finden. Das Thema muß jedoch ein anderes sein: Gehen wir von diesen Präzedenzfällen aus, wo auf der Welt und zu welchen Zwecken auch immer werden künftig deutsche Soldaten nicht eingesetzt? Implizit mit dieser Frage verbunden sind weitere Fragen: Auf Grund welcher deutscher politischer Interessen und auf Grund welchen Selbstverständnisses als Staat werden Bundeswehrsoldaten in allen Teilen der Welt Krisen schlichten, Konfliktparteien trennen oder für den Erhalt der allgemeinen Menschenrechte ihr Leben einsetzen?

Der gegenwärtige Einsatz, das zeigen weniger die Differenzen zwischen den politischen Parteien als die Einwände vereinzelter kritischer Experten oder eines Teils der Medien, erfolgt nicht zur Wahrnehmung deutscher Interessen. Es sei denn, der Konkurrenzdruck unter den Bündnispartnern der USA und das Einknicken vor dem Vorwurf „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ wird als politisches Kalkül definiert.

Mit dem im April 1999 in Washington beschlossenen „Neuen Strategischen Konzept“ der Nato wurde das bisherige Nato-Vertragsgebiet dahingehend erweitert, daß entstehende Bedrohungen, die auf das Nato-Gebiet übergreifen könnten, schon im Vorfeld bekämpft werden sollen. Eine genaue räumliche Festlegung erfolgte damals nicht. Frankreich und Deutschland hatten sich seinerzeit gegen das Verlangen der USA gestellt, die Abwehr von Bedrohungen weltweit zu verstehen. Mittlerweile sind diese deutschen Einwände durch die politische Entwicklung obsolet, wenn auch festzustellen ist, daß die UN-Schutztruppe nicht unter die Einsatzdefinitionen der Nato fällt.

Es gilt zu wiederholen, der deutschen politischen Zusage zu einem erweiterten Aufgabenspektrum folgten keinerlei angemessene Maßnahmen hinsichtlich der Anpassung der Struktur und der finanziellen Ausstattung der Streitkräfte.

Wer nach Kabul geht, der geht auf entsprechenden Druck der „internationalen Gemeinschaft“ auch in den Kongo oder auf die Philippinen. Selbst wenn die erwähnten strukturellen Anpassungen und eine ausreichende Ausstattung mit Kräften und Mitteln erfolgen würde (und damit die permanente Überforderung der Streitkräfte beseitigt) - wie wirkt sich das vollkommen neue Aufgabenspektrum auf das innere Selbstverständnis der Streitkräfte aus?

Den Erklärungen der Politiker und führenden Militärs entnehmen wir, die Inhalte des Soldateneides, „der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen“ sowie „das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“ decken auch die neuen Aufgabenfelder ab.

Sehen das die Betroffenen, das heißt die Soldaten und ihre Angehörigen, auch so? Ist langfristig die Opferbereitschaft der deutschen Bevölkerung nicht nur hinsichtlich finanzieller Aufwendungen, sondern im Extremfall auch der Hingabe des Lebens deutscher Soldaten für wenig konkrete Ziele, wie die internationale Sicherheit und die Durchsetzung allgemeiner Menschenrechte, gegeben? Noch dazu, wenn diese oft nur den Vorwand für die Durchsetzung nationaler Interessen dominierender Bündnispartner abgeben?

Warnzeichen für immer stärker anwachsende Vorbehalte sind schon länger gegeben: Das Aufkommen der Freiwilligenbewerber ist deutlich zurückgegangen, für das Jahr 2001 wird von einem neuen Höchststand der Kriegsdienstverweigerer seit Gründung der Bundeswehr ausgegangen. Die anfängliche Begeisterung in der Truppe für Auslandseinsätze ist gesunken, Forderungen nach Geld und angemessenem Komfort während des Einsatzes haben einen hohen Stellenwert. Die Vorschläge zur Abschaffung der Wehrpflicht werden immer begründeter gestellt, da nur „freiwillige“ Wehrpflichtige in den Einsatz gehen. General Kujat hat für das Frühjahr eine Überprüfungsschleife für die Realisierbarkeit der neuen Bundeswehrkonzeption angekündigt.

Wichtiger als Untersuchungen über einen adäquaten Umfang oder neue Führungsmittel wäre dabei aber eine geistige Auseinandersetzung unter Einbeziehung repräsentativer Gruppierungen der Bevölkerung - damit sind nicht nur die Gewerkschaften, die Kirchen oder die Arbeitgeberverbände gemeint - über die Rolle, die Deutschland im Konzert europäischer Mächte spielen will. Daraus ergäbe sich vielleicht eine Aufgabenzuweisung an die Bundeswehr, die nicht zu ständigen ad hoc-Maßnahmen zwingt und Rahmen festlegt, um sich auch bestimmten Einsätzen zu verweigern und damit für absehbare Zeit die Akzeptanz der Bevölkerung sicherstellt.

 

Klaus Ulrich Hammel, Oberst a. D., war zuletzt Chef des Stabes Wehrbereichskommando IV/1, Gebirgsdivision.


 
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