© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/02 18. Januar 2002

 
Hört die Signale
Auferstehung der Sozialistische Einheitsfront in Berlin
Fritz Schenk

Nach Veröffentlichung des Textes der Berliner Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und PDS gibt es keine Zweifel mehr: Die SED darf sich als rehabilitiert betrachten. Der dialektisch im Sinne des Marxismus/Leninismus bestens ausgerüsteten PDS-Verhandlungsdelegation unter Gregor Gysi ist es gelungen, die SPD-Laienspielschar ihres Gegenübers Wowereit über den Tisch zu ziehen, ohne daß diese das gemerkt haben.

Was den sachlichen Teil angeht, hat die Gysi-Truppe fast wörtlich die Passagen übernommen, die Wowereit schon mit den Grünen und der FDP ausgehandelt hatte. Davor gesetzt hat die PDS aber eine „Präambel“, die mit den Erklärungen der Kommunisten nach 1945 und selbst noch nach der Zwangsvereinigung mit der SPD von 1946 fast identisch ist.

Da ist von der „unabdingbaren Voraussetzung“ die Rede, „alle politischen und gesellschaftlichen Kräfte der Stadt zusammenzuführen“, um Berlin zur „Werkstatt der Einheit“ zu machen. Hier fehlt eigentlich nur noch der Aufruf, die „Nationale Front der DDR“ wiederauferstehen zu lassen, in der die Kommunisten alle anderen Parteien ihres Herrschaftsbereichs zu „Block“-Parteien auf den hinteren Rängen der von ihr beherrschten Einheitslisten degradiert hatten.

Von noch größerer Bedeutung für die PDS dürfte jedoch sein, daß sie die schon bei anderen Anlässen und bei innerparteilichen Klärungen über ihre Vergangenheit gebrauchten Formulierungen in einem Vertrag mit der SPD abgesegnet bekommen hat. So wird zugegeben, daß das SED-Regime ein totalitäres und menschenverachtendes System gewesen ist, die Verantwortung dafür aber allein den damaligen Machthabern in Ost-Berlin und Moskau zugeschrieben. Und so sind die „Distanzierung der PDS von den Unrechtstaten der SED und dem Mauerbau wichtige Schritte zur Aufarbeitung der unheilvollen Geschichte der SED“.

Daß die heute handelnden Personen, die größte Zahl der Mitglieder, die PDS selber (die ja nur den Namen gewechselt hat), die SED ist, wird einfach hinweggewischt - und die SPD unterschreibt das! Kein Wort darüber, daß die Staatssicherheit offiziell „Schild und Schwert der Partei“ und daher nur mit ihren Mitgliedern und Funktionären besetzt war, das heißt, wichtigstes Unterdrückungsinstrument der SED zur Sicherung ihrer totalitären Macht war.

Skandalös ist die Formulierung: „Die Erfahrung des Sieges des Faschismus über die gespaltene Arbeiterbewegung führte in Teilen der Mitgliedschaft von SPD und KPD nach 1945 zum Wunsch nach Vereinigung.“ Tatsächlich hatten die Wiedergründer der SPD um Kurt Schumacher, Ernst Reuter, Ollenhauer, Erler und viele andere beharrlich auf die Mitschuld der Kommunisten am Sieg der Nationalsozialisten hingewiesen, denn schließlich war es Ulbricht gewesen, der Anfang der dreißiger Jahre in Berlin gemeinsam mit Joseph Goebbels, gegen das „verabscheuungswürdige Weimarer System“ aufgetreten war. Die Sozialdemokraten wurden als „Sozialfaschisten“ zu den „Hauptfeinden der Arbeiterklasse“ erklärt und erbarmungslos bekämpft. Das hatte sich sogar in den NS-Konzentrationslagern fortgesetzt, wo die Kommunisten viele Sozialdemokraten gegenüber SS und Gestapo denunziert und vielfach dem Tod ausgeliefert hatten. Den Rest besorgten die Kommunisten unter dem Schutz sowjetischer Bajonette, als sie bis 1948 die SPD ihrer Zone „liquidiert“, tausende Sozialdemokraten verhaftet, vertrieben, hunderte ermordet und ihres Eigentums beraubt hatten. Das alles wird jetzt den SED-Gründern und den sowjetischen Besatzern in die Schuhe geschoben und mit einer pauschalen Entschuldigung vom Tisch gewischt. Mit ihrer Unterschrift unter diese Präambel hätten Wowereit und seine Genossen das gesellschaftspolitische Grundseminar der SED-Parteihochschule auf jeden Fall mit Auszeichnung bestanden.

Doch selbst wenn davon auszugehen ist, daß der neue Sozialismus kein menschenverachtendes Gewaltsystem wird, können wir uns neue sozialistische Experimente schon deshalb nicht leisten, weil die Trümmer des gerade zusammengebrochenen noch längst nicht beseitigt sind.


 
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