© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/02 25. Januar 2002

 
„Wir erstreiten unsere Rechte“
Nadeem Elyas, Vorsitzender des Zentralrates der Muslime, über das Schächt-Urteil und die Zukunft des Islam in Deutschland
Moritz Schwarz

Herr Dr. Elyas, der muslimische Metzger Rüstem Altinküpe hat am Dienstag voriger Woche vor dem Bundesverfassungsgericht das Recht erstritten, in Deutschland nach islamischer Sitte Schlachttiere zu schächten. Zum ersten Mal hat das höchste deutsche Gericht in einer ein ethisches Tabu betreffenden Frage gegen die eigene Kultur entschieden.

Elyas: Diese Entscheidung bedeutet das Erstreiten eines Grundrechts für alle Muslime in Deutschland. Sie werden verstehen, daß wir diese Entscheidung sehr begrüßen.

Sie haben den Prozeß des Herrn Altinküpe finanziell unterstützt.

Elyas: Richtig, denn bislang herrschte in der Bundesrepublik Deutschland eine Ungleichbehandlung von Juden - denen das Schächten erlaubt ist - und Muslimen. Diese Ungerechtigkeit galt es zu beheben, deshalb haben wir uns natürlich auch finanziell engagiert. Das Schächt-Verbot bzw. auch die Ausnahmegenehmigungsregelung seit 1995 hat die Muslime in Deutschland in Bedrängnis gebracht: Entweder mußten wir auf teures Fleisch aus dem Ausland zurückgreifen, das qualitativ meist schlecht und von dem auch nicht sicher war, ob es wirklich von einem geschächteten Tier stammte, oder auf Fleisch verzichten, was auf die Dauer nicht zumutbar ist.

Viele Muslime haben illegal geschächtet.

Elyas: Was nicht im Sinne des Islam ist und erst recht nicht im Sinne des Tierschutzes.

Die deutschen Tierschützer sind empört über das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes.

Elyas: Wir sind der festen Überzeugung, daß das islamische Schächten eine der humansten Schlachtmethoden ist. Wenn die Schlagadern, Speise- und Luftröhre des Tieres mit geeigneten Messern und fachmännisch mit einem Schnitt durchtrennt werden, erfolgt eine momentane Blutleere im Gehirn, die eine sofortige Betäubung mit sich bringt.

Nach Angaben der Tierschützer kommen bei einem geschächteten Rind erst nach 35 Sekunden die Hirnströme zum Erliegen. Über eine halbe Minute spürt das Tier seine durchschnittene Kehle und quält sich zu Tode.

Elyas: Ein wissenschaftlicher Beweis, daß das Schlachten mit Betäubung tatsächlich weniger Leid für das Tier bringt, ist bislang nicht erbracht. Tatsächlich sind wir sehr daran interessiert, daß der Tierschutz gewährleistet ist - und zwar aus eigener Überzeugung. Wir bieten uns den Tierschützern als Partner an, etwa indem wir versuchen, das private Schächten zu unterbinden.

Ein vorzeitiger Exitus läßt sich durch professionelle Betäubung in der Regel vermeiden.

Elyas: Eine falsche Handhabung der Betäubung, das zeigt die Erfahrung, ist aber nicht auszuschließen, besonders nicht bei den kommerziellen Schlachthöfen. Und die Vermischung von verbotenem mit erlaubtem Fleisch führt im Islam zum Verbot solchen „ungeklärten“ Fleisches.

Warum darf das Tier beim Schächten nicht betäubt werden?

Elyas: Weil ein Teil der Tiere bei der Betäubung ums Leben kommt. Solche Tiere gelten dann nicht als geschächtet, sondern als Kadaver, und Fleisch von verendeten Tieren ist uns streng verboten.

Nach Maßgabe der in diesen Fragen eine führende Rolle spielenden Al-Azhar-Universität in Kairo ist es durchaus gestattet, das Fleisch von betäubten Tieren zu essen.

Elyas: Diese Erlaubnis stammt von Anfang der achtziger Jahre und ist nicht „verwendbar“, weil Al-Azhar von einer anderen gesellschaftlichen Situation der Muslime in Deutschland, von einer großen Bedrängnis ausging. Es war Al-Azhar nur bekannt, daß das deutsche Gesetz für diesen Fall eine Ausnahmeregel vorsieht. Außerdem gab es damals noch kaum muslimische Metzger in Deutschland, die sachgemäß nach islamischen Regeln hätten Schächten können.

Müssen Sie nicht auch gegenüber Ihrem Gastland gewisse Konzessionen machen, schließlich erlaubt der Islam, in bestimmten Situationen durchaus auch ungeschächtetes Fleisch zu essen.

Elyas: Der Islam sieht so eine Möglichkeit nur für den Notfall vor. Es ist aber nicht plausibel, daß 3,2 Millionen Muslime in Deutschland auf Dauer in einer Notsituation leben. Mit Notlage ist dagegen eine existenziell bedrohliche Situation gemeint, in der sich die Muslime nicht befinden.

Das Schächten ist für Menschen des christlichen Kulturkreises, der keinen Blutritus kennt, ein äußerst schockierender Vorgang. Ist das von Ihnen miterwirkte Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht eine eklatante Mißachtung der Sitten Ihres Gastlandes?

Elyas: Für einen Menschen von heute ist jedes Schlachten an sich eine schockierende Angelegenheit. Es geht dabei doch um die Tötung eines Lebewesens. Schlimm genug sind die Mißstände, die in den Schlachthöfen der Massentierhaltung herrschen, die gilt es anzuprangern. Im übrigen verstehen wir nicht, warum das muslimische Schächten nun schockiert, während das jüdische Schächten bislang ohne jeden Protest in Deutschland praktiziert wurde.

Die Presse spricht bezüglich des Karlsruher Urteils von einem „Schock für die Mehrheit“.

Elyas: Wir versuchen, um Verständnis bei der Restgesellschaft zu werben, doch wir glauben, daß viele diese Frage von falschen Gesichtspunkten aus beurteilen. Denn während es bei den Grausamkeiten der regulären Massentierhaltung um Fleischkonsum geht, geht es bei uns Muslimen um eine Frage der inneren Überzeugung und des existenziellen Bedarfs.

Betrachten Sie Deutschland noch als christliches Land?

Elyas: Fast alle Muslime in Deutschland gehen davon aus, daß sie in einem multikulturellen Land leben, das aber christlich geprägt ist. Das heißt, die Berücksichtigung der kulturellen Traditionen dieses Landes müssen in Einklang stehen mit den verfassungsmäßigen Grundrechten seiner Bewohner. Wir Muslime in Deutschland wollen keinen Konflikt mit der Gesellschaft, sondern unsere elementaren Rechte, die schließlich bis in die Haushalte unserer Familien hineinwirken.

Wie soll „multikulturell mit christlicher Prägung“ funktionieren? Entweder ist die aus dem Christentum kommende Kultur verbindlich oder nicht.

Elyas: Wir leben in einer Kultur, die ihren Ursprung im Christentum hat, die aber im Laufe der Zeit auch beeinflußt wurde, zum Beispiel vom Judentum. In Deutschland ist man bereit, jüdisches Leben zu tolerieren, obwohl man ein christliches Land ist. Das regelt das Grundgesetz. Mehr fordern wir Muslime auch nicht.

Spielt das oft gehörte Argument, in Deutschland werde den Muslimen erlaubt, was den Christen in muslimischen Ländern nie erlaubt werden würde, für Sie eine Rolle?

Elyas: Die Debatte muß auf einer anderen Grundannahme geführt werden, nämlich: Nach welchen Prinzipien wollen wir unser Land gestalten? Nach unserem Grundgesetz oder nach der Anarchie und dem Unrecht anderswo?

Der Islam beansprucht also die völlige Gleichberechtigung mit dem Christentum in Deutschland?

Elyas: Die Grundrechte müssen jedem zustehen. Nicht nur uns, auch allen anderen Menschen in Deutschland - das ist der Geist des Grundgesetzes. Dafür stehen wir Muslime auch ein. Es geht nicht darum, aus Deutschland ein islamisches Land zu machen, sondern um elementare Grundrechte, die seit Jahrzehnten den Muslimen hier vorenthalten wurden.

Das religiöse Bekenntnis, daß das Kopftuch darstellt, ist in der Schule verboten, weil Kirche und Staat getrennt sind. Das Schächten ist erlaubt, weil der moderne Wert der Gleichberechtigung mehr wiegt, als die christliche Tradition dieses Landes. Irritiert Sie nicht, daß der deutsche Staat seine Entscheidungen in Islam-Fragen offenbar nicht mit Respekt vor dem Islam oder dem Christentum trifft, sondern darin stets eine atheistische Haltung zum Ausdruck kommt - wird Ihnen bei so viel Gottlosigkeit in Deutschland nicht manchmal mulmig?

Elyas: Nein, wir Muslime in Deutschland nehmen den Staat so an, wie er ist. In Deutschland haben wir es mit einem säkularen Staat zu tun, der Religionsfreiheit gewährt und sich weltanschaulich neutral verhält. Wenn den Religionsgemeinschaften Recht zugesprochen wird, ist das faktisch die Respekterweisung.

Ist anzunehmen, daß es nach diesem Entscheid zu einer ganzen Reihe weiterer Islam-Urteile in Deutschland kommen wird?

Elyas: Ich sehe nicht so viele Themen anstehen, die durch diesen Richterspruch nun losgetreten werden könnten.

Wird es im Kopftuchstreit zwischen dem Land Baden-Württemberg und der moslemischen Lehrerin Ludin nun auch zu einem Anruf des Bundesverfassungsgerichts kommen?

Elyas: Dieser Fall ist ganz anders geartet, hier geht es auch um den Beamtenstatus und um die Beeinflussung anderer in ihrem Recht auf negative Religionsfreiheit. Aber der Kopftuchstreit ist nichts Neues, das begleitet uns schon seit zehn Jahren.

Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat es abgelehnt, daß der Islamrat und der Zentralrat der Muslime in Deutschland Islam-Unterricht erteilen. Dagegen klagen Sie nun ebenfalls.

Elyas: Natürlich, hier geht es um ein elementares Recht der Muslime in Deutschland. Es hilft niemandem, wenn Generationen von Muslimen ohne religiöse Ethik und Moral erzogen werden, ohne das ihnen die integrativen Grundwerte der Religion - in Deutsch und unter Staatsaufsicht - vermittelt werden.

Warum befürworten Sie die Zuwanderung - was hat das mit Ihrer Aufgabe zu tun, für die Integration hier lebender Muslime zu sorgen?

Elyas: Wir sind der Meinung, daß die Situation der Immigranten in Deutschland im Interesse der gesamten Gesellschaft besser werden muß. Es muß ausreichend Rechtssicherheit für den Einzelnen geschaffen werden, damit dessen Produktivität sich auch voll entfalten kann. Nachdem nun endlich zugegeben wurde, daß Deutschland ein Einwanderungsland ist, kann die Zuwanderung sinnvoll geregelt werden. Wir hoffen, daß bei dieser Regelung auch die kulturellen Aspekte berücksichtigt werden, so daß nicht eine Kultur bevorzugt oder benachteiligt wird.

Sie wollen also nicht nur die Rechte der Muslime hier durchsetzten, sondern auch die Einwanderung weiterer Muslime ermöglichen?

Elyas: Zuwanderung bedeutet naturgemäß die Einwanderung neuer Immigranten. Um die Interessen dieser Menschen - Muslime wie Nicht-Muslime - müssen wir uns natürlich alle kümmern. Wenn die Qualifikation des Einzelnen gegeben ist, darf er allein wegen seines Glaubens nicht benachteiligt werden.

Wie stehen Sie zu dem Begriff „Leitkultur“?

Elyas: Die christliche Prägung Deutschlands ist eine Realität, die akzeptiert werden muß, die aber keinen Führungsanspruch darstellt. Die Führung von Staat und Gesellschaft regelt das Grundgesetz.

Gesetze sind Regelwerke und keine Richtungsentscheidungen. Einen Zustand der Multikulturalität gibt es in der Realität nicht - am Ende entscheidet doch die dominierende Kultur, welchen Weg alle zu gehen haben.

Elyas: Das entscheiden die Leute, die legitimiert sind, Gesetze zu erlassen. Je nachdem, wie diese geprägt sind, bestimmt sich der Kurs. Wenn die Entscheidungsträger sich vom Geist des Grundgesetzes und vom Allgemeininteresse leiten lassen, werden sie nicht gegen eine fruchtbare Multikulturalität sein.

Sie sagen, das Wort „Leitkultur“ bedeute keinen Führungsanspruch, sondern beschreibe eine Realität. Billigen Sie also den Begriff?

Elyas: Der Begriff ist irreführend, weil er einen Führungsanspruch nahelegt.

Sollte das Thema Zuwanderung nach Ihrer Meinung ein Wahlkampfthema werden?

Elyas: Ich hoffe nicht, denn die Zuwanderung stellt ein allgemeines Interesse dar, und es steht bei dieser Frage zu viel auf dem Spiel.

Wäre es nicht im Interesse aller Ausländer in Deutschland, wenn die Deutschen sich durch eine offene Zuwanderungsdiskussion ehrlich und unverstellt artikulieren könnten?

Elyas: Sich ehrlich zu äußern, ist natürlich eine Notwendigkeit, das Thema aber zum Schlachtfeld im Wahlkampf zu machen, sollte nicht zugelassen werden.

Demokratie bedeutet aber doch auch, zur Abstimmung zu stellen. Debattiert werden darf auch in einem autoritären Nachtwächterstaat.

Elyas: Demokratische Einmischung soll natürlich auch gestattet sein, das ist selbstverständlich. Im Wahlkampf droht aber ein Mißbrauch des Themas.

 

Dr. Nadeem Elyas geboren 1945 in Mekka. 1964 kam Nadeem Elyas nach Deutschland, um in Frankfurt am Main Medizin zu studieren. In einem Parallelstudium widmete er sich den Islamwissenschaften. Er ist Mitbegründer zahlreicher muslimischer und interkultureller Vereine und Organisationen. Seit 1995 ist er Vorsitzender des im selben Jahr aus dem „Islamischen Arbeitskreis in Deutschland hervorgegangenen „Zentralrates der Muslime in Deutschland“ (ZMD), der neben dem „Islamrat“ wichtigsten Dachorganisation muslimischer Vereine in Deutschland.

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