© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/02 25. Januar 2002

 
Kolumne
Der Wille zählt
Klaus Motschmann

Die gegenwärtigen hektischen Auseinandersetzungen um die Wirtschaftspolitik im allgemeinen und die Arbeitsmarktpolitik im besonderen bestätigen wieder einmal eine durch reiche geschichtliche Erfahrungen abgesicherte Erkenntnis: Daß es zuverlässige wirtschaftliche Prognosen selbst für den relativ kurzen Zeitraum einer Legislaturperiode nicht gibt. Es kann sie nicht geben, weil unter den gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen unserer Zeit eine einigermaßen dauerhafte und gleichzeitige Lösung der wichtigsten Probleme: Vollbeschäftigung - Geldwertstabilität - Wirtschaftswachstum - außenwirtschaftliches Gleichgewicht nicht erreicht werden kann - es sei denn, die Verantwortlichen verfügen über magische Kräfte. Warum das so ist, kann in seriösen wirtschaftswissenschaftlichen Lehrbüchern unter dem Stichwort „Magisches Viereck“ (gelegentlich auch schon „Vieleck“) nachgelesen werden.

Dazu gehört die mehr und mehr in Vergessenheit geratene Tatsache, daß die Lösung wirtschaftlicher Probleme in entscheidendem Maße von religiösen, kulturellen, traditionellen, psychologischen und anderen nicht-ökonomischen Faktoren bestimt wird, von der sogenannten coniunctio rerum omnium, das heißt einer schicksalhaften „Verknüpfung aller Dinge“, die unser gesamtes Dasein beinflussen. Daher der Begriff Konjunktur.

Eine grobe Mißachtung dieses Zusammenhanges liegt bereits dann vor, wenn die Lösung aller wirtschaftlichen Probleme immer wieder auf dem Wege der Bereitstellung von immer mehr Kapital versucht wird. Die beste Kapitalausstattung nutzt wenig, wenn man sich nicht mehr bewußt ist, daß der entscheidende Produktionsfaktor nach wie vor Arbeit ist. Was Carl von Clausewitz im Blick auf die Leistungsfähigkeit einer Armee festgestellt hat, läßt sich mutatis mutandis auf die Wertschöpfung übertragen: „Sie drückt sich durch ein Produkt aus, dessen Faktoren sich nicht trennen lassen, nämlich: Die Größe der vorhandenen Mittel und die Stärke der Willenskraft“ (Vom Kriege, 1832). Wenn allerdings die Stärke der Willenskraft in unserem Volke wegen der systematischen Pflege der „Null-Bock-Mentalität“ weiterhin derart niedrig ist, dann sind alle noch so gut finanzierten Konjunktur- und Arbeitsbeschaffungsprogramme vergebens.

Wann beginnt man endlich wieder einmal über diesen Zusammenhang nachzudenken? Vielleicht bietet die vielzitierte Pisa-Studie auch dafür einen Anstoß. Konkrete wirtschaftsgeschichtliche Beispiele könnten auch dem deutschen Wiederaufbau nach 1945 entnommen werden.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaft an der Hochschule der Künste in Berlin


 
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