© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/02 25. Januar 2002

 
Zorro zieht in die letzte Schlacht
Wahlen in Frankreich II: Front National-Chef Le Pen könnte wieder ein Überraschungserfolg gelingen
Charles Brant

Aktuellen Umfragen zufolge scheint sich überraschend Jean-Marie Le Pen als „Dritter Mann“ bei den Präsidentschaftswahlen zu entpuppen. Mit 74 Jahren ist Le Pen noch nicht am Ende seines politischen Lebens angelangt. Die anstehenden Präsidentschaftswahlen hat er sich zu seiner letzten Schlacht auserkoren. Obwohl ihn die politischen Kommentatoren definitiv im Abseits sehen, erreicht er bei Umfragen ein Ergebnis von bis zu zwölf Prozent. Schon eine Sofres-Umfrage, die Le Monde am 6. November auf ihrer Titelseite kommentierte, prophezeite dem Vorsitzenden des Front National (FN) elf Prozent der Wählerstimmen. Entgegen allen Erwartungen der Kommentatoren wird der „Dritte Mann“ der ersten Wahlrunde am 21. April weder Jean-Pierre Chevènement noch François Bayrou vom liberalen Parteienbund UDF heißen - geschweige Noël Mamère von den Grünen.

Im November ging Le Monde davon aus, daß Le Pen „stillschweigend“ von der internationalen Krise profitiere. Hinter diesem Kürzel verbirgt sich die Tatsache, daß Le Pen vor allen anderen die Gefahren des Islamismus und, damit verbunden, der nordafrikanischen Einwanderung nach Frankreich aufgezeigt hat. In der Tat haben die Ereignisse der vergangenen Monate deutlich gemacht, daß sämtliche Fragen, die der FN in die politische Diskussion geworfen hat, von brennender Aktualität sind - so brennend, daß sich selbst Präsident Jacques Chirac und die Linke gezwungen sahen, ihren innenpolitischen Kurs zu ändern.

Die Fehleinschätzung der Kommentatoren beruht darauf, daß sie ihre eigenen Wünsche für Wirklichkeit halten. Sie haben das Schweigen der Franzosen mißverstanden, die im wahrsten Sinne des Wortes überwältigt sind, daß sich die wüsten Vorhersagen des Bretonen bewahrheitet haben. Sie sind davon ausgegangen, daß der von Bruno Mégret initiierte Bruch ihn ein für allemal an den Rand gedrängt habe, und daß der Bann, den das Mediensystem dieser Kassandra auferlegte, ihn zugleich aus dem Augenmerk der Wähler verbannte. Die Realität sieht anders aus. „Le Pen spricht aus, was die Franzosen insgeheim denken“: Dieser Slogan seiner Parteigänger beschreibt seinen Erfolgskurs.

Le Pens Anwesenheit in der politischen Arena bleibt nicht ohne Folgen. Wenn er seine Position bei den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr hält, kann der FN-Vorsitzende zum Zünglein an der Waage bei dem zu erwartenden Duell zwischen Chirac und seinem Premierminister Lionel Jospin werden - eine Perspektive, die Chiracs RPR zu Recht fürchtet. Le Pen hat seine Abneigung gegenüber dem amtierenden Präsidenten nie verhehlt. Und Chirac seinerseits hat ihm nie Anlaß gegeben, seine Meinung zu ändern. Kein Wunder also, daß sich die Parteispitze Gedanken macht, wie sich dieser „Störfaktor“, der die rechte Wählerschaft gefährlich beeinflussen könnte, minimieren läßt: indem man Charles Pasquas‘ Kandidatur begünstigt, obwohl er als Abtrünniger gilt und die Skandale ihm an den Fersen kleben wie sein Schatten? Oder etwa die von Philippe de Villiers (Monarchist, „Mouvement pour la France“), die von Christine Boutin (57jährige Familienpolitikerin), die von Chevènement gar oder gar die Bruno Mégrets? In jedem Fall muß man ein breites Wählerspektrum einfangen, damit der Ausgang der zweiten Wahlrunde möglichst wenig von Le Pen abhängt.

Der politische Wind weht aus der richtigen Richtung für Le Pen. Aus dem Machtkampf mit Mégret ist er als Sieger hervorgegangen. Sein Profil als Ausgestoßener des Systems mit den Tugenden eines Rächers, wie man ihn aus dem Western kennt, kann ihm in dieser letzten Schlacht nur zu Hilfe kommen. Ein letztes Mal für Le Pen zu stimmen, das ist für viele Franzosen die Gelegenheit, dem „System“ noch einmal einen Vogel zu zeigen. Dennoch sind die Dynamik und der Enthusiasmus, die den Wahlkampf von 1988 zum Selbstläufer werden ließen, 2002 unvorstellbar. Sein Temperament hat dem Bretonen einen Teil seiner Freunde gekostet; sein fortgeschrittenes Alter fordert ebenfalls Tribut. Für die Franzosen ist ein neues Zeitalter angebrochen.

Zur Zeit bemüht sich Le Pen, die fünfhundert Unterschriften zu sammeln, die laut Wahlgesetz notwendig sind, um sich als Kandidat aufstellen zu lassen. Sämtliche gewählten Volksvertreter sind zur Unterschrift berechtigt: Stadt- und Regionalräte, Bürgermeister, Abgeordnete und Senatoren. Angeblich sind Verhandlungen im Gange, die Vertreter von Mégrets Mouvement National Républicain (MNR) zu einer Unterschrift für Le Pen zu bewegen. Mégret selbst kommt bei Umfragen höchstens auf zwei Prozent, und die 120 gewählten Vertreter des MNR reichen nicht aus, ihn zu einer Kandidatur zu berechtigen.

Wenn kein Wunder geschieht, ist Mégret aus dem Rennen. Seine Niederlage ist die Strafe für einen politischen Ehrgeiz ohne jede Strategie und Phantasie. Der „Thronfolger“, der den „Kalifen“ allzu gerne abgelöst hätte und sich als französischer Gianfranco Fini zu vermarkten suchte, konnte die Erwartungen nicht erfüllen, die sein Ruf als „effizienter Techniker“ zu versprechen schien. Mégret war nicht in der Lage, dem MNR eine eigene Identität zu verleihen. Statt dessen wurde er als geklonte Miniatur des FN gesehen, der es sowohl an Geld als auch an Ideen mangelt. Der Bruch mit Pierre Vial, dem früheren Grece-Generalsekretär und heutigen Stabschef der Bewegung „Terre et Peuple“ (Boden und Volk), hat ihm ebenfalls geschadet und den MNR einen Teil seiner Mitglieder gekostet.

Der Streit, der seit Monaten latent vor sich hin schwelte, entzündete sich zum einen an Mégrets „pro-amerikanischen“ Stellungnahmen nach den Attentaten vom 11. September. Der zweite Knackpunkt war Mégrets Äußerung, Jospin sei „schlimmer als Chirac“ - die Umkehrung einer Floskel Le Pens und ein deutlicher Hinweis auf den zweiten Durchgang der Präsidentschaftswahlen. Grund genug für Vials Verdacht, Mégret lasse sich instrumentalisieren.

Alles in allem wird Le Pen wohl mit einem Paukenschlag von der politischen Bühne scheiden, ohne irgendeinen Erben zu hinterlassen. Nach dem 21. April wird die radikale Rechte Frankreichs wieder dort angelangt sein, wo sie einst begonnen hat: im Abseits.


 
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