© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/02 25. Januar 2002

 
Nichtzahlung wird stillschweigend akzeptiert
Wirtschaftsrecht: Die Pflichtmitgliedschaft von Gewerbetreibenden in Industrie- und Handelskammern bleibt vorerst bestehen
Ronald Gläser

Die Rechtmäßigkeit der Zwangsmitgliedschaft in der Industrie- und Handelskammer ist letzte Woche abermals höchstrichterlich bestätigt worden. Mehrere einzelne Klagen hatten sich zum wiederholten Mal gegen den vorgeschriebenen Korporatismus gerichtet. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat die Fälle nicht einmal zur Entscheidung angenommen.

Unter den Klagen befand sich beispielsweise eine Darmstädter Versicherungsmaklerin, die sich der Beitragszahlung an ihre IHK widersetzte. Gerade kleine Gewerbetreibende, die nebenher einer unternehmerischen Tätigkeit nachgehen, versuchen sich den Pflichten der IHK-Mitgliedschaft zu entziehen. Erfolgt keine Beitragszahlung, so wird dies mancherorts auch stillschweigend akzeptiert.

Aber in regelmäßigen Abständen versuchen gerade Kleinunternehmer immer wieder durch Musterprozesse die Kammerordnung zu stürzen. Erneut hat das Bundesverfassungsgericht jetzt die Auffassung erneuert, daß die Kammern das „Gemeininteresse der gewerblichen Wirtschaft“ repräsentierten.

Die Zwangsmitgliedschaft sei daher legitim und im öffentlichen Interesse. Besonders entscheidend war das Urteil von 1961, das auch den Meisterzwang bestätigte. Der Gesetzgeber ist ebenfalls mit der Aufrechterhaltung des bestehenden IHK-Systems von Zeit zu Zeit befaßt. Die letzte Gesetzesreform 1998 ließ die Pflichtmitgliedschaft unberührt.

Die Kritiker bringen vor, daß das Recht auf freie Berufswahl durch die Mitgliedschaft in der IHK beeinträchtigt werde. Entsprungen ist das Kammerwesen dem Handwerk, wo es auch besonders ausgeprägt ist. Es diente zunächst der kollektiven Privilegiensicherung. Handwerksbetriebe gründen darf nur, wer auch Meister ist. Und wer Meister wird, das entscheidet die Handwerkskammer nach erfolgter Prüfung.

Durch die praktische Einführung eines derartigen Machtkartells läßt sich der Wettbewerb regulieren oder gar unterbinden. In der Handwerksordnung wird ein Gewerbebetrieb als Handwerksbetrieb definiert, „wenn er handwerksmäßig betrieben wird.“ Hinter dieser Leerformel läßt sich jeder Unsinn verstecken.

In einem Gutachten wurde Ende 1996 gerade die traditionelle deutsche Handwerksordnung als eine der Hauptursachen dafür angeführt, daß die Zahl der Unternehmensneugründungen in Deutschland so niedrig sei. Andererseits ereigneten sich die meisten Firmengründungen (und Pleiten) in den letzten Jahren in der IT-Branche. Diese ist so gut wie gar nicht durch Kammern reguliert. Ausbildungs- und damit Meisterberufe gibt es in dieser Branche kaum. Die Tatsache stützt die These, daß das Kammersystem Sand im Getriebe der Volkswirtschaft ist.

Die heutigen IHK-Mitglieder bekommen davon nur wenig zu spüren. Ihre Kritik macht sich vor allem an den aus ihrer Sicht überhöhten und ungerechtfertigten Beiträgen fest. Die Kammern behaupten, sie erbrächten verschiedene Dienstleistungen. Aber nur wenige der Zwangsmitglieder haben auch ein Interesse daran.

Eine Organisation von „IHK-Verweigerern“ wehrt sich seit Jahren gegen die erzwungene Zugehörigkeit. Ein kürzlich vorgelegtes Zehnpunkte-Programm summierte Forderungen für eine Reform des bestehenden Systems. So fordern die Unternehmer die Einführung des One-man-one-vote-Prinzips. Ebenso wird eine Offenlegung der beträchtlichen Finanzhaushalte und eine Trennung von den zahlreichen Beteiligungen verlangt.

Die Haushalte sollten von externen Prüfern unter die Lupe genommen werden, so die IHK-Verweigerer. Damit wird natürlich auf ein Herzstück des Selbstverständnisses abgezielt, da das Kammersystem ja gerade eine Abschottung nach außen bewirken soll. Schließlich setzen sich die IHK-Verweigerer für eine Reduzierung auf die Kernaufgaben und eine Zusammenlegung ein, was den Gesamtapparat deutlich verschlanken würde. Insgesamt ließen sich alle diese Reformansätze verwirklichen, ohne daß das Grundprinzip dadurch beeinträchtigt würde. Organisatorische Widerstände gegen entsprechende Verwandlungen werden dabei zu überwinden sein. Solange werden sich auch weiterhin Gerichte mit dem in Deutschland praktizierten System der IHK-Zwangsmitgliedschaft befassen müssen.


 
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