© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/02 25. Januar 2002

 
CD: Rock
Wechselndes Ich
Holger Stürenburg

Pete Wylie (42) gilt als einer der schrulligsten Typen der Liverpooler Popszene. Seit über 20 Jahren krebst er durch das Musikgeschäft, nimmt alle Jubeljahre ein herausragendes Album auf und verleiht seinen Bandprojekten stets die wildesten, obskursten Namen. Meist steht jedoch sowieso nur Pete Wylie selbst dahinter, der alle Gitarren spielt und sich von No-Name-Musikern begleiten läßt.

Als Wah! Heat, Wah!, J.F. Wah, The Mighty Wah! oder schlicht als Pete Wylie veröffentlichte er seit Anfang der achtziger Jahre mehrere grandiose Alben, von denen einige soeben von dem britischen Label Sanctuary, liebevoll aufgearbeitet und mit diversen Bonusliedern angereichert, wiederveröffentlicht wurden. Zudem liegt, ebenfalls bei Sanctuary, eine gekonnt zusammengestellte Doppel-CD mit den 32 besten Songs aus Wylies Karriere unter dem Titel „The Handy Wah! whole“ vor, die einen Überblick über das gesamte Schaffen des exzentrischen Briten darlegt.

Im Dezember 1979 trat Wylie als Wah! Heat erstmals in die Öffentlichkeit und die erste Single „Better Scream“ kam auf Anhieb unter die ersten 20 der britischen Independent-Hitparaden. Ein Jahr später nannte sich Wylie nur noch Wah! und veröffentlichte das Album „Nah=Poo-The Art of Bluff“. Dieses liegt nun, mit sieben Bonustracks bestückt, erstmals auf CD vor. Es beinhaltet eine Mischung aus rauhen, rüden Punkklängen und der düsteren, verspielten Theatralik des untergegangenen Art Rock. Songs wie „Other Boys“, „Somesay“ oder „Seven Minutes to Midnight“ sind aufrüttelnd, mitreißend und dramatisch zugleich. Kurz darauf veröffentlichte Wylie eine Kollektion erster Independenthits von Wah! Heat und früher Demoaufnahmen der später auf „Nah=Poo-The Art of Bluff“ erschienenen Songs unter dem Titel „The Maverick Years 80/81“. Diese Aufnahmen klingen noch roher und ungestümer als die späteren LP-Fassungen. Als Bonustrack befindet sich auf der CD-Fassung der „Maverick Years“ auch der 1983er -Hit „The Story of the Blues Part 1 & 2“. Dieser fast achtminütige Talking-Blues über die Radikalisierung Großbritanniens unter Margret Thatcher war kein rüder New Wave mehr, sondern verband deren Leichtigkeit mit warmem Soul und gediegener New Romantic jener Tage.

Im Gefolge von Bands wie Duran Duran oder Spandau Ballet leistete 1984 auch Pete Wylie - diesmal als The Mighty Wah! - mit dem Album „A Word to the Wise Guy“ seinen Beitrag zur New Romantic der mittleren Achtziger. Hymnisch, pathetisch, aber immer augenzwinkernd waren die Songs des ebenfalls bei Sanctuary neu aufgelegten Albums geraten, von denen besonders das Souldrama „Come back“ und das eingängige „Weekends“ hervorzuheben sind. Danach verlor Wylie seinen Plattenvertrag bei WEA, ging zu Virgin und veröffentlichte dort zur Jahreswende 1986/87 unter seinem Geburtsnamen das Album „Sinful“. Zwar wurde dieses (noch?) nicht wiederveröffentlicht, doch befinden sich die wichtigsten Stücke daraus auf der Doppel-CD „The Handy Wah! whole“. Songs wie „If I love you“, „Fortyelevenfortyfour“ oder „Diamond Girl“ (einst nur auf der US-Pressung von „Sinful“ veröffentlicht) zeigen, daß sich Wylie von der etwas selbstherrlichen, narzißtischen New Romantic in die intellektuellere, episch-düstere Stilrichtung eines Marc Almond oder Morrissey entwickelt hatte. Tanzbare Rhythmen verband er mit dramatischen, opulenten Arrangements und bitter-süßlichen Texten.

Der eingeschworene Fan von Pete Wylie sollte sich also die drei wiederveröffentlichten Alben besorgen, während Freunde eingängiger, gitarrenlastiger Rock- und Popmusik made in Britain sich „The Handy Wah! whole“ zulegen sollten, um die ganze Karriere eines der unterschätztesten Wave-rocker und seiner Alter Ego nachvollziehen zu können.


 
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