© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/02 25. Januar 2002

 
Der Flug des Falken
Kino: „O“ von Tim Blake Nelson adaptiert Shakespeares „Othello“
Ellen Kositza

Shakespeares „Othello“ auf amerikanisch: Odin James (Mekhi Pfifer) ist der einzige Schwarze auf einer honorigen Privatschule im amerikanischen Süden. Weil er der herausragende Star der schulischen Basketball-Mannschaft ist und wegen seines durch und durch einnehmenden, aufrichtigen Wesens ist er ein beliebter Mitschüler. Odin liebt die Rektorentochter Desi (Julia Stiles), es ist eine ernsthafte und tiefe Verbindung. Seine Hautfarbe erscheint Odin (Attraktivität! Potenz! Sportlichkeit!) mehr als Vorzug denn als Makel, eine diskriminierende Äußerung nimmt er nicht wirklich ernst.

Odin wird von dem Trainer des Basketball-Teams (Martin Sheen)einem Sohn gleich geliebt, sein leiblicher Sohn Hugo (Josh Hartnett) jedoch blickt neidisch auf Odin. Nach außen sein bester Freund, schmiedet er hinterrücks Intrigen gegen Odin, den er zugleich bewundert und haßt.

Odin ist in seiner mitreißenden Vitalität der Falke unter gurrenden weißen Tauben, das sind die Symbole, die sich durch die Geschichte ziehen. Mißgunst und neidische Anspielungen erreichen ihn in seiner unprätentiösen Überlegenheit zunächst nicht. Doch Hugo setzt dort an, wo Odin einen Großteil seiner Selbstsicherheit bezieht - bei seiner Liebe zu Desi. Leise streut der vorgebliche Freund Zweifel und weiß sie mit ungewollter Hilfe des gesamten Freundeskreises zu erhärten, bis für Odin gewiß scheint, daß Desi ihn betrügt. Dann wird aus dem braven Mohr ein Rasender.

Es ist ein sehr amerikanischer Film, der auf hochpathetische Sequenzen setzt, auf den Flug des Falken, auf dramatische Korbwürfe vor exstatisch jubelndem Publikum, auf den immer noch als erotischen Tabubruch inszenierten Kontrast von nackter schwarzer auf weißer Haut. Das Handlungsmuster ist eng an die klassische Vorlage gebunden und doch klar vom alten Venedig in die jugendliche American Society verlegt, derart wird aus der unschuldigen Desdemona die treue, doch kesse Desi, aus dem Intriganten Fähnrich Jago wird Hugo, Rodrigo heißt Roger und der vermeintliche Konkurrent Cassio wird hier Mike Casio genannt.

Unter der Bindung an den klassischen Stoff leidet die hochmoderne Verfilmung bezüglich der Schlüssigkeit in der Handlung. Shakespeares feinsinnige Dialoge voller Mißverständnisse und Jagos gewiefte Rankünen lassen sich nicht ins von praller Leiblichkeit durchsetzte pubertäre Liebesleid offener Gesellschaften übertragen: Odin und Desi werden als so innig miteinander verbunden dargestellt, ein Jungpärchen, dessen aufgeklärte Liebe in einem liberalen Offen-über-alles-sprechen-können wurzelt, so daß es eigentlich unerklärlich ist, warum „O“ keinen anderen Umgang mit den Verdächtigungen findet als die finale Bluttat. Von einer exzellenten Literaturverfilmung zu sprechen, wäre zu hoch gegriffen, dennoch ist diese hochmoderne, hip-hop-getränkte, drogeninfiltrierte Shakespeare-Adaption allemal sehenswerter und trotz aller Abstriche interessanter als der mediokre Beziehungskitsch, der die Masse gängiger „Liebesfilme“ ausmacht.

„O“ wurde bereits 1999 fertiggestellt, immer neue Amokläufe an amerikanischen High-Schools unterbanden bislang den Schritt auf die Leinwand. Das dürfte nicht allein auf die Pietät der Filmemacher zurückzuführen sein. Bill Clinton und der amerikanische Kongreß waren seinerzeit harsch mit der Filmindustrie ins Gericht gegangen, zudem laufen gegen mehrere Filmemacher mehrere Schadensersatzklagen über insgesamt 130 Millionen Dollar von Hinterbliebenen solcher Attentate: Hatte doch der „Littleton-Killer“ damals erklärt, von der Filmszene in „The Basketball-Diaries“ inspiriert worden zu sein, in der Leonardo di Caprio mit wehendem schwarzen Mantel die verhaßten Mitschüler niedermetzelt.


 
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