© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/02 01. Februar 2002

 
Ausspähen, aufhetzen, ausschalten
Verfassungsschutz: Entstehung, Praxis und Affären des bundesdeutschen Inlandsgeheimdienstes
Josef Schüßlburner

Nichts unterstreicht den deutschen Sonderweg Bundesrepublik gegenüber der westlichen Demokratienorm mehr als die groteske Bedeutung, die der als „Verfassungsschutz“ firmierende Inlandsgeheimdienst als innenpolitisches Herrschaftsinstrument hat. Bezeichnend ist die ungenierte Aussage im Anhang „50 Jahre Verfassungsschutz und politischer Extremismus in Nordrhein-Westfalen“ des VS-Berichts von NRW über 1998: „Die Tätigkeitsergebnisse des Verfassungsschutzes konnten sich während der ersten Jahre der bundesdeutschen Demokratie gerade in Nordrhein-Westfalen sehen lassen. Obwohl an Rhein und Ruhr die KPD vor der NS-Herrschaft vielfach die stärkste politische Kraft gewesen war, konnte hier mit seiner Hilfe die Tätigkeit der Partei und ihrer Hilfsorganisationen auf ein überschaubares Niveau heruntergedrückt werden.“

Parteien auf „überschaubares Niveau“ herunterdrücken

Amtlich wird da gesagt: Anders als nach dem Lehrbuch der (westlichen) Demokratie hat danach nicht der Wähler die KPD „auf ein überschaubares Niveau heruntergedrückt“, sondern die Geheimdienstinterventionen in den parteipolitischen Prozeß. Dementsprechend muß es der bundesdeutsche Inlandsgeheimdienst als einen dienstlichen Mißerfolg ansehen, wenn eine Wahl doch einmal anders als geplant ausgeht, was sich dann etwa der VS-Bundesbericht 1998 nur mit dem „großen Kapitaleinssatz“ der DVU in Sachsen-Anhalt erklären kann. Da muß dann „Demokraten“, denen bekanntlich derartiges Geld nicht zur Verfügung steht, geholfen werden. Wie dies aussieht, ist gerade durch den Skandal um das NPD-Verbotsverfahren, der eigentlich nichts Neues gezeigt hat, deutlich geworden: So ist die Erkenntnis gesichert, daß V-Leute des „Verfassungsschutzes“ vor dem KPD-Verbot in einzelnen Gremien dieser staatlich bekämpften Partei über die Mehrheit verfügt hatten. Dieses staatlich subventionierte Personal hat dabei manche Vorkommnisse erst geschaffen, gegen die dann wieder VS-Einsätze „notwendig“ waren. Warum sollte nicht für die nunmehr zu verbietende NPD gelten, was sich schon bei der KPD zugetragen hat?

Nachdem der Antikommunismus vorbei ist, werden die seit Besatzungszeiten eingespielten Methoden wieder „gegen Rechts“ angewandt: Aus der Menge der die bundesdeutsche Verfassungswirklichkeit kennzeichnenden Fälle sei nur der des Herrn Bösch herausgegriffen, der vom zuständigen Geheimdienst bei den Republikanern eingeschleust worden war, um durch besonders „kräftige“ Aussagen den Vorwurf des „Extremismus“ gegen diese Partei erst zu begründen. Dafür ist in der Bundesrepublik aufgrund der im freien Westen unbekannten ideologisch ausgerichteten Parteiverbotskonzeption lediglich Verbalradikalismus nötig, wie etwa fragwürdige Aussagen zu Auschwitz. Im Falle eines „drohenden“ wahlpolitischen Durchbruchs der entsprechenden Oppositionspartei haben es dann die über den Geheimdienst verfügenden Kräfte in der Hand, mittels der eingeschleusten V-Leute die gegnerische Partei von innen her zerstören zu lassen. Damit es jedoch erst gar nicht zu einem Wahlerfolg kommt, wird durch die amtliche Bekanntgabe der geheimdienstlichen Überwachung, die so schreckliche Sachen wie „falsches Menschenbild“, „Verneinung deutscher Schuld“, „Antisemitismus“, insbesondere „latenten“ und ähnlichen Staatsblödsinn „offenbart“, sichergestellt, daß nicht nur die Wähler ausbleiben, sondern sich innerhalb der „herunterzudrückenden“ Oppositionspartei entsprechendes gegenseitiges Mißtrauen breit macht. Der Zerfall von DVU-Fraktionen dürfte zumindest teilweise mit der geheimdienstlichen Unterwanderung zu erklären sein. So wurde in der Bremer Fraktion ein VS-Mann identifiziert.

Sinn des „Herunterdrückens“ ist natürlich, die Sperrwirkung der Fünf-Prozent-Klausel für neue Kräfte, in der BRD „Extremisten“ genannt, ins Unüberwindliche zu potenzieren: Die Einschleusung von agent provocateurs, amtliche Diffamierung durch VS-Berichte etc. führen im Interesse beamteter Parteimitglieder zur Abgrenzungsmanie und damit zur Aufspaltung politischer Strömungen, die sich ohne die Aktivitäten des Inlandgeheimdienstes zur Überwindung dieser Hürde zusammentun würden.

Was sind die Gründe für diese merkwürdige Demokratievariante? Die junge Bundesrepublik und die Westmächte hatten es mit einem außenpolitischen Todfeind zu tun, dessen charakteristisches Herrschaftsinstrument der Einsatz des Geheimdienstes gewesen ist. Begriffe wie „KGB“ und „Stasi“ sprechen da für sich. Diese Konstellation, insbesondere das „innerdeutsche Verhältnis“, macht verständlich, daß Bundesrepublik und Westalliierte nicht auf den Einsatz von Geheimdiensten, auch gegenüber der als Agentur der feindlichen SBZ anzusehenden KPD verzichten konnten.

Der Einsatz des Geheimdienstes durch den Kommunismus als kennzeichnendes Herrschaftsinstrument hat wiederum eine russische Vorgeschichte, die auf die von Zar Nikolaus I. im Jahr 1826 begründete Polizeibehörde, die „Dritte Abteilung Seiner Majestät höchsteigenen Kanzlei“ zurückführt, deren Aufgabe darin bestand, politische Opposition insbesondere durch Infiltrieren so zu lenken, daß sie nur das wollen würde, was der Regierung des Zaren als richtig dünkte. Diese Gedankenpolizei, die einerseits von der paternalistischen Vorstellung geprägt war, die Untertanen rechtzeitig vor falschen, zur Illegalität führenden Gedanken zu bewahren, stellt andererseits eine bemerkenswerte Rezeption des demokratischen Identitätsgedankens dar, wie er mit den Beobachtungsbehörden der Französischen Revolution vorgezeichnet war, die diese zum wesentlichen Mittel eines totalitären Wertekollektivismus gemacht hatte. Die russische Rezeption lief darauf hinaus, daß die vom Westen adaptierten Verfassungsinstitutionen im Scheinkonstitutionalismus weitgehend wirkungslos blieben, da sie rechtzeitig vom Geheimdienst unterwandert waren. Diese Art von Geheimdienstkontrolle ist demnach kennzeichnend für ein Verwestlichungsregime, das aber nie richtig „Westen“ wird.

Seine Nachahmung hat die zaristischen Subatowschtschina schließlich mit dem spätsowjetischen Konzept Perestroika/Glasnost gefunden: Der Geheimdienst gründet oder unterwandert danach Oppositionsparteien, um Pluralismus vorzuspiegeln, den man dann mittels „innerparteilicher Demokratie“ wieder beenden kann, wenn er außer Kontrolle gerät. Oder man schwächt staatlicherseits die Opposition durch Gründung konkurrierender Parteien, teilweise zweifelhafter Art, die die Opposition als solche diskreditieren. So ist etwa die Existenz der „rechtsextremistischen“ Pamjat-Bewegung schon in der Vor-Gorbatschow Ära zu erklären. Wirkliche Kenner der sowjetischen Politik haben einen derartigen Scheinpluralismus schon vor dem Erscheinen des vom Geheimdienstchef und hardliner Andropov aufgebauten Demokratisierungshelden Gorbatschow vorausgesagt. Der Zweck der Übung sollte sein, den Kommunismus zu erneuern, gleichzeitig aber zu verhindern, daß er durch den wirklichen Pluralismus abgeschafft würde. Die Geheimdienstagenten an führender Stelle der „Opposition“ hätten dann rechtzeitig unter Berufung auf eine „faschistische Gefahr“ dafür sorgen sollen, daß der (Schein-)Pluralismus wieder rückgängig gemacht würde. Diese Taktik hat die Wende-SED mit Schmierereien am sowjetischen Ehrenmal durch die Stasi und Übernahme der BRD-Ideologievokabel „Ausländerfeindlichkeit“ auch versucht.

Indirekte Steuerung sicherte die US-Interessen

Der Einsatz des Geheimdienstes bot sich auch den USA, in deren politischer Tradition diese Einrichtung kaum eine Rolle gespielt hatte, nicht nur deshalb an, weil sie sich auf die Methoden des Gegenspielers Sowjetunion einstellen mußten, sondern auch, weil die geheimdienstliche Herrschaftsmethodik das Dilemma aufzulösen versprach, in Deutschland Demokratie auszurufen und gleichzeitig eine Besatzungsherrschaft zu etablieren. Die indirekte Steuerung sollte gewährleisten, daß die Deutschen als Demokraten das wollen, was den US-Interessen entspricht oder sich als „Nichtdemokraten“ so benehmen würden, wie es nun einmal „Nazis“ tun (die bekanntlich Hakenkreuze schmieren). Für die US-Herrschaft in Deutschland waren daher die „Berührungspunkte zwischen öffentlicher Meinung und ihrem Gegenteil, dem Geheimdienst“ (Mosberg, Re-education) kennzeichnend. Bereits der Polizeibrief der Alliierten bei der Abfassung des Grundgesetzes, aber auch die auf Artikel 87 Grundgesetz (GG) bezogene Nr. 6 des Genehmigungsschreibens zum GG machen das besondere Interesse der Alliierten an der Geheimdienstkontrolle deutlich. Den Besatzungsbehörden ist es bei der von ihnen geforderten Trennung von Polizei- und Geheimdiensten um die Verhinderung einer nicht ihrer Kontrolle unterliegenden deutschen „Zentralstelle“ gegangen, und damit um die Sicherstellung ihrer Kontrolle über das Bundesamt für Verfassungsschutz durch alliierte Nachrichtendienstoffiziere.

Mit dem Inlandsgeheimdienst, der auf Anregung der CIA als „Verfassungsschutz“ bezeichnet wurde, scheint die politische Steuerung der Bundesrepublik vorgenommen worden zu sein. In den bundesdeutschen Anfangsjahren konnten Führungspositionen dieses Amtes nur mit Zustimmung der Alliierten besetzt werden, die über die vom Amt vorzunehmenden Sicherheitsüberprüfungen auch ihr Veto gegen Besetzungen höherer Dienststellen im gesamten Bereich der Bundesverwaltung einlegen konnten.

Über das Ausmaß an geheimdienstlicher Steuerung der Bundesrepublik hat zuletzt der WDR am 26. Mai 1999 unter dem bezeichnenden Titel Germany made in USA einen Einblick verschafft. Diese Dokumentation aus jüngst freigegebenem Material der National Archives der USA, die allerdings unterstellt, diese Steuerung hätte in den sechziger Jahren aufgehört, belegt die Infiltration: Neben Geldzahlungen an deutsche „demokratische“ Politiker ging es dabei vor allem um Maßnahmen, mit denen der US-Geheimdienst die dauerhafte bestimmende Einflußnahme der USA auf die politisch-kulturellen Verhältnisse in Westdeutschland nach dem Krieg ins Werk setzte. Beim Zusammenwirken „gegen Rechts“ gab es dabei allerdings auch immer eine gemeinsame Interessenlage mit dem sowjetischen Gegenspieler.

1959 organisierte der KGB Hakenkreuzschmierereien

Wesentliche Wendemarkierungen der bundesdeutschen Entwicklung „gegen Rechts“ haben denn auch etwas mit Geheimdienstoperationen zu tun, wenngleich man naturgemäß nur (begründete) Vermutungen anstellen kann, die als „Verschwörungstheorien“ oder „Diffamierungen“ verleumdet werden können. Hervorzuheben sind die vom KGB 1959 organisierten Hakenkreuzschmierereien an jüdischen Einrichtungen in Köln. Dieser Vorfall führte zur ersten Welle der „Vergangenheitsbewältigung“, die Ludwigsburger Zentralstelle wurde eingerichtet, Strafrechtsverschärfung „gegen Rechts“ beschlossen (Umbenennung des Paragraph 130 StGB in „Volksverhetzung“) und eine Rechtspartei, die Deutsche Reichspartei, war erledigt. Als weiteres ist der Brandanschlag von Solingen vom 29. Mai 1993 zu nennen. Dieses Ereignis hatte zur Folge, daß bei den Bundestagswahlen von 1994 der als möglich erscheinende Einzug der Republikaner in den Bundestag gescheitert ist. Beim Strafverfahren gegen drei Verdächtige stellte sich heraus, daß diese von einem V-Mann des maßgeblichen NRW-Verfassungsschutzes, Bernd Schmitt, im Kampfsport und wohl auch ideologisch „ausgebildet“ worden sind. Über den unaufgeklärten Anschlag in Düsseldorf, der die „Anständigen“ zum NPD-Verbotsantrag veranlaßt hat, können nur Vermutungen nach der Cui- bono-Frage angestellt werden.

Da zu diskriminierende Parteien in der einen oder anderen Weise geheimdienstlich kontrolliert oder zur Unwirksamkeit verurteilt sind, stellt sich die Frage, warum man eine solche Partei eigentlich noch verbieten muß: Die bizarre, durch den Begriff „Verfassungsschutz“ veredelte Bedeutung des Inlandsgeheimdienstes hat jedoch die ideologische Parteiverbotskonzeption zur Voraussetzung, die „man“ sich wieder einmal vom Verfassungsgericht bestätigen lassen will. Diese ideologische Verbotskonzeption stellt einen Anreiz dar, V-Leute zur Förderung des Verbalradikalismus einzusetzen Deshalb wäre die Überwindung des bundesdeutschen Ideologie- und Ideenverbotes angesagt, da „noch mehr Verfassungsschutz“, daß heißt V-Männer, zu einer Art Perestroika-Demokratie führen muß.

 

Josef Schüßlburner hat in seinen Beiträgen zu dem von Knütter / Winckler herausgegebenen Buch „Der Verfassungsschutz. Auf der Suche nach dem verlorenen Feind“ (JF 45/01) eine rechtsstaatliche Alternative zum ideologisch ausgerichteten Verfassungsschutz skizziert.


 
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