© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/02 01. Februar 2002

 
Pankraz,
Otto Schily und die Macht der Simulation

Pankraz ist immer wieder erstaunt darüber, wie viele Parallelen es doch zwischen den Praktiken der ehemaligen DDR-Stasi und den Praktiken des bundesdeutschen „Verfassungsschutzes“ gibt. Während sich die Inland-Geheimdienste anderer demokratisch verfaßter Länder damit begnügen (bzw. von ihren Regierungen darauf festgelegt werden), Berichte zu schreiben, Informationen zu sammeln, strikt „passiv“ zu bleiben, betreibt der BRD-Verfassungsschutz, genau wie die Stasi von einst, aktive Politik an den an sich dafür vorgesehenen Verfassungsorganen vorbei, und zwar Politik von der trübseligsten Art, Einschüchterungspolitik, Provokationspolitik, Zerstörungspolitik.

Die Stasi benahm sich, als operiere sie in Feindesland,und so auch der Verfassungsschutz. Hier wie dort wurden bzw. werden bestimmte soziale Milieus bewußt und planmäßig „zersetzt“, wie der Fachjargon dafür lautet, künstlich kriminalisiert und mit verbotenem Vokabular aufgeladen. Menschen und ganze Gruppen werden heimtückisch aufeinandergehetzt, man schreckt nicht einmal davor zurück, eindeutig terroristische Handlungen zu begehen, um sie danach den „Zersetzten“ in die Schuhe zu schieben.

Jedes Gefühl für Fairneß und Qualität ist dispensiert. Die Agenten und Provokateure dürfen von der übelsten (un)mora-lischen Disposition sein; je übler, umso willkommener. Besonders hat man es auf notorische Achtgroschenjungen abgesehen, die für lächerlichste Beträge selbst ihre Großmutter ans Messer liefern würden. Bevorzugt werden weiter seelisch völlig labile Wichtigtuer und trostlose Nachtschattengewächse, die nichts mit sich anzufangen wissen und in der Spitzelei und Provoziererei so etwas wie ihre „Lebensaufgabe“ finden.

Was die Bespitzelten und Provozierten betrifft, so baute die Stasi gegen sie oft noch ein Extra-Szenario auf, in voller Öffentlichkeit. Vor ihre Wohnungen wurden Beobachtungsautos plaziert, uniformierte Aufpasser folgten ihren Behörden- und Spaziergängen, die Nachbarn wurden angehalten, sich vor ihnen zu hüten, sich von ihnen zu distanzieren oder auch ihrerseits Berichte über sie abzuliefern.

Parallel dazu veröffentlichen die heutigen Verfassungsschutzämter (auch das ist einmalig in der demokratischen Welt) regelmäßig spezielle Beobachtungslisten über ihre Opfer. Diese Opfer sind in den allermeisten Fällen weder verurteilt noch auch nur angeklagt, aber indem man verkündet, daß sie „unter Beobachtung“ stehen, erreicht man dasselbe wie die Stasi mit ihren Beobachtungsautos: Die Delinquenten werden bürgerlich ausgegrenzt, stigmatisiert, in ihren Berufs- und Lebenschancen eingeschränkt, in vielen Fällen massiv eingeschüchtert.

Hinzugekommen ist im Vergleich zu früher die Fiktionalisierung und die Simulation. In der DDR hielt sich solcherlei Fiktionieren und Simulieren noch in Grenzen. Sascha Anderson und Rainer Schedlinski bauten im Auftrag der Stasi in Ost-Berlin eine literarische Existentialisten- und Dissidentenszene auf, um echte Existentialisten und Dissidenten unter Kontrolle zu bekommen, aber die alten stalinistischen Methoden, wo mißliebigen Zeitgenossen komplett aus der Luft gegriffene Verbrechen angehängt wurden, zu denen sie sich dann im Prozeß „bekennen“ mußten, waren damals schon aus der Mode gekommen.

Jetzt, unter Schily und Beckstein, geht man wieder hinter Anderson und Schedlinski zurück. Ähnlich wie in der Stalin-Zeit werden „Zeugen“ berufen, die den Angeklagten Taten unterschieben, die sie selbst begangen haben, respektive von denen die Behörde möchte, daß sie begangen worden wären, damit endlich ein Prozeß geführt werden kann. Politisch-justizielle Wirklichkeit wird abgelöst durch staatlich organisierte Simulation von Verbrechen, die es gar nicht gegeben hat, bzw. die von den „Zeugen“ begangen wurden.

Ist das nun ein Tribut des Staates an die moderne Medienwelt mit ihren fiktiven Veranstaltungen, oder benutzt der Staat die Medien, um ganz bewußt Verbrechen vorzutäuschen und ein künstliches Bürgerkriegsklima zu erzeugen, in dem sich gewisse Zwecke leichter erreichen lassen als in friedlichen Zeiten? Jedenfalls funktioniert das Zusammenspiel vorzüglich. Als vor bald anderthalb Jahren die Medien „Sebnitz“ erfanden, reagierte die Berliner Regierung, als hätte sie darauf gewartet. Der Kanzler empfing in feierlicher Aufführung das vorgebliche „Opfer“, um ihm sein „Beileid“ auszusprechen, und das Verbotsverfahren gegen die NPD wurde mit Volldampf auf den Weg gebracht, angefahren außer von der Regierung von Bundestag und Bundesrat.

Daß sich das Bundesverfassungsgericht quergelegt hat, mutet bei alledem fast wie ein Regiefehler an. Gibt es denn wirklich noch unabhängige Richter in Deutschland? Oder hatten die Karlsruher nur früher als die Berliner erkannt, daß bei Eröffnung der mündlichen Verhandlung der Skandal erst richtig fett geworden wäre, daß die „Zeugen“ sich reihenweise als V-Männer hätten outen müssen und der ganze Vorgang als Fiktion durchschaut worden wäre?

Wie auch immer, hier endet der Vergleich mit den Stasi-Verhältnissen (bis auf weiteres zumindest). Die „Dienste“ mögen sich weitgehend ähnlich geworden sein, das Gerichtswesen zeigt Unterschiede. Die Würde der „Dritten Gewalt“ hierzulande (Verfassungsgericht) hat dem Zangengriff aus „Zweiter Gewalt“ (Regierung) und „Vierter Gewalt“ (die Medien mit ihren Simulationen) standgehalten.

Doch wo blieb die angeblich alles entscheidende „Erste Gewalt“ (Bundestag/Bundesrat) mit ihren vielen Kontrollmöglichkeiten? Sie machte brav alles mit, was ihr Zweite Gewalt und Vierte Gewalt vorgaben und blamierte sich als Gummilöwe. Die Schwachstelle dieser Republik, so scheint es, liegt bei der Ersten Gewalt.


 
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