© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/02 01. Februar 2002

 
Die Gegenwart wird nur erduldet
„Wer Narren liebt, hat heute sein Vergnügen“: Im Leopold Stocker Verlag ist ein bemerkenswerter Gedichtband erschienen
Tobias Wimbauer

Peregrinus nennt sich der Dichter, in der Anonymität bleiben wollend, dessen in fünf Teile („Das harte Brot“, „Jahreszeitenlieder“, „O Liebe, dein Hauch“, „Bekenntnis“ und „Spurensicherung“) gegliederter Gedichtband „Im Gegenlicht“ im V.F. Semmler Verlag in Graz jüngst erschienen ist. Peregrinus formt aus der Wehmut, die ihn als wohl Konservativer in der heutigen Zeit beschleicht, seine Verse, gleichsam aus der Sicht der Gegen-Warte; „Fremd im Feindesland“, das, nach den Kriegen, auch das eigene Vaterland ist.

Dachte der Autor bei der Wahl seines Pseudonyms an den falco peregrinus, den Wanderfalken, der einst dem Stauferkaiser Friedrich II. Sinnbild der Schönheit und der Erhabenheit war, und der im 20. Jahrhundert Symbol der d.j.11 wurde? Es wäre dies eine Tradition, in die sich der Band einfügen ließe.

„Zeitgemäß“ will der Dichter nicht sein. Er beschwört, in Kenntnis der alten Gesetze des Metrums und des Reimes, das Vergängliche und das Vergangene, die erhabene Schönheit des immerdar Bestehenden, ohne darüber der Nostalgie verhaftet zu sein. Hoffnung und Zuversicht sind auf das Morgen gerichtet, die Gegenwart wird nur erduldet: „Wer Narren liebt, hat heute sein Vergnügen“, heißt es in „Aus den Fugen“. Der Hoffnung wird im Gedicht „Olymp“ Ausdruck verliehen: „Doch auch die Lorbeerhaine sind nicht mehr. / Dort flicht der Esel selig Distelkränze / Und läßt sich huldigen durch wüste Tänze. /.../ Man sagt, ein Gott entkam. Als Eremit / Bastelt er in der Höhle Dynamit“. Nietzsche klingt in diesen Zeilen an, der Gott mit dem Dynamit im „Olymp“, die wachsenden Wüsten im „Prolog“.

„Am Gertraudensteg“ ist ein Gedicht überschrieben, das den Untergang des alten Deutschland betrauert. Am Gertraudensteg fanden 1945 die letzten Kämpfe um Berlin statt: „Unten am Gertraudensteg / Dort verlor die Welt den Weg / Gestern, tausend Jahre her / Hinterm Tränenmeer./…/ Unten am Gertraudensteg / Löschten Blut und Tränen alles aus, / Nun stehen wir für immer ohne Haus.” Die letzten Bomben sind gefallen, der letzte Schuß ist verhallt; das Haus steht sowohl für die Wohnstatt des Einzelnen als auch für das Haus des Volkes: die Nation. Mit dem letzten Schuß ist sie verwundet und verendet.

Die letzten Gedichte des Bandes müssen vereint gelesen werden. Das lyrische Ich ist bei den Besiegten: „Ich stehe fassungslos, ja, selbst verfemt“, denn, so heißt es im Gedicht „Im alten Land“, „Einsam, verfemt, die Stimmen, die dich loben.“ Das Vaterland ist von den „eigenen Erben“ verschrien. Das Deutschtum kann der Einzelne jedoch noch wahren: in der Natur und in der Sprache, dem Gedicht. „O schlagend Herz der Deutschen, sage, was blieb?“ heißt es im vorletzten Gedicht des Bandes. „Was aber bleibet, stiften die Dichter“, dichtete Hölderlin. Das Lied ist der letzte Hort des geistigen Vaterlandes.

Peregrinus: Im Gegenlicht. Lieder zum Lesen. V.F. Semmler im Leopold Stocker Verlag, Graz 2001, 80 Seiten, 14,30 Euro


 
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